Ein Schmuckstück, aber kein Personal

Von Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach (HB). Über der Bahnstraße wirbt die Stadt auf Transparenten um Fachkräfte in den Kindergärten. Doch ausgerechnet in der neuen katholischen Kita von St. Bonifatius ist der Effekt gleich Null. Die Einrichtung in der Obergasse wird die Aufnahme von 24 Kindern unter drei Jahren auf absehbare Zeit verschieben müssen. Trotz der Aussicht auf einen wunderschönen Arbeitsplatz sind die fünf Bewerbungsgespräche allesamt erfolglos geblieben.

Kita-Leiterin Barbara Albrecht nennt die Lage einerseits „ernüchternd“, fühlt sich eigentlich aber „sehr glücklich.“ Dazu hat sie allen Grund, denn die Erzieherin, seit 2011 an der Spitze des zwölfköpfigen Teams, das die 100 Ü3-Kinder betreut, hat die Struktur des Neubaus am nördlichen Stadtrand nicht unerheblich beeinflusst. Noch sind nicht alle Kisten ausgepackt. „Wir müssen erst mal sehen, was wir hier alles haben,“ meint die Chefin. Stolz und Freude dominieren, obwohl Corona die angepeilte Kita-Eröffnung am Namenstag von Schutzpatron St. Bonifatius am 5. Juni unmöglich macht. Vor September wird der Tag der offenen Tür nicht stattfinden. Immerhin ist in drei Wochen mit einem Ende der Zwangspause zu rechnen, wenngleich Barbara Albrecht wegen der Sicherheitsregeln zunächst nur mit 50-prozentiger Auslastung rechnet.

Winfried Becker hat dem Bauherrn, der Pfarrei St. Ursula, als Projekt-Bevollmächtigter bereits viel geholfen. Das Mitglied des Verwaltungsrats führte beim Bau des Gemeindezentrums in der Untergasse erfolgreich Regie und lieferte nunmehr sein Meisterstück . Seitdem das Übergangsprovisorium, 28 Con-tainer, die am 1. Mai von der Stadt übernommen wurden, im September 2018 errichtet wurde, hat der 68-jährige Rentner auf der Baustelle Präsenz gezeigt. Für einen Mann des Ehrenamtes ein vorbildliches Engagement, das ganz wesentlich zur terminlichen Punktlandung beigetragen hat.

„Highlight“ mit Bullaugen

Für Becker ist der Flachbau am Rande des Nicolaiwegs ein „optisches Highlight.“ Das hört der Architekt Roland Effgen gerne, der die stoßfeste Plattenfassade mit beige-grauen Horizontalstreifen auflockert und den auf 1000 Quadratmetern angeordneten Räumen mit einem Dutzend Oberlichtern eine Helligkeit verliehen hat, die gute Laune macht. Die sechs Gruppenräume öffnen sich nach Süden zur Brommermann-Siedlung und beherbergen ein Gestaltungselement, das ohne die Finanzspritze des Fördervereins von 28 000 Euro nicht möglich gewesen wäre: Treppenstufen führen hinauf zu Schlupfwinkeln, die hinter Holzwänden verborgen sind. Bemerkenswert auch die drei Bullaugen, durch die man vom 50 Meter langen Flur in den Bewegungsraum schaut, in dem die blauen Turnmatten schon gestapelt sind und eine Sprossenwand ebenfalls zum Inventar des 85 Quadratmeter großen Sportareals gehört.

Ein Markenzeichen ist das um 20 Quadratmeter kleinere Forum, das es ohne Barbara Al-brecht gar nicht geben würde. Es bildet das Scharnier zwischen dem Turnsaal und der Küche, die für alle 124 Kinder ausgelegt ist. Hauseigene Vollverpflegung und kein Catering. In diesem Raum gleich hinter der Eingangstür stellt sich die Leiterin gemeinsames Mittagessen, Spielecken und ein Elterncafé vor.

In diesem Kindergarten heißen die Gruppenräume „Weiher“, „Bach“, „Wiese“, „Berge“, „Wald“ und „Feld“ – Namen, die zur „naturnahen Pädagogik“ (Albrecht) passen, die das „Bewahren der Schöpfung“ (Becker) vermitteln will. Politiker sprechen von Nachhaltigkeit. Die Schönheit der Landschaft sieht man draußen vor der Tür beim Blick auf den Vordertaunus mit dem prägenden Altkönig. Im überwiegend neugestalteten Kita-Garten sollen Kinder unterschiedliche Böden kennenlernen, etwa auf den geschwungenen Stufen aus Quarzitblöcken, gebrochen im nahen Mittelgebirge, auf Splitt, Rindenmulch, Sand und Gras. Abgeschnittene Äste sind zu einer gewundenen Hecke aufgeschichtet worden. Die Anlage zeigt die professionelle Handschrift einer Innenarchitektin.

Lockt das Jobticket?

All dies hat die Interessenten für die drei Erzieherstellen in der U3-Sektion, die erst mit dem Neubau geschaffen wurde, nicht überzeugt, ihren Arbeitsplatz an diesem attraktiven Ort zu wählen. Mal wurde das Gehalt bemängelt, das aber auch andernorts meist nicht wesentlich über 3300 Euro monatlich liegt. Es war Kritik am Fahrplan des Busverkehrs zu hören. Pfarrer Andreas Unfried kennt das Personalproblem, äußerte sich aber zuversichtlich, die Stellen zeitnah besetzen zu können. In Rede steht offenbar ein Jobticket, das die Stadt Steinbach bereits ihrem gesamten Personel zur Verfügung stellt.

Die katholische Kita hat 3,8 Millionen Euro gekostet. Sie profitierte von dem Glücksfall, dass alleine 1,5 Millionen Euro an Bundesmitteln zur Verfügung standen. Die übrigen Kosten haben sich Stadt und Kirchengemeinde geteilt. Der Energiebedarf ,des mit einer Fußboden-Gasheizung ausgestatteten Neubaus unterschreitet den Grenzwert um knapp 30 Prozent. Das freut die Stadt, die 85 Prozent der Betriebgskosten übernimmt.

Die Außenanlage mit künstlicher Hecke und hellem Rindenmulch unterstreicht das Konzept der „naturnahen Pädagogik“, die im Inneren des gestreiften Kita-Gebäudes unter anderem an den Landschaftsnamen der Gruppenräume erkennbar ist. Foto: HB

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