Steinbach/Steinbach-Hallenberg. Gemächlich ruckelt der Bus über die Landstraße. Vorbei an goldgelben Feldern und grünen Wiesen. An Bord 54 Steinbacher auf dem Weg vom Taunus in die thüringische Partnerstadt Steinbach-Hallenberg. Darunter allein 14 Mitglieder der Kerbegesellschaft. Alle freuen sich bereits auf das 12. Burgfest, dass in Steinbach-Hallenberg nur alle fünf Jahre gefeiert wird.
Bei der Ankunft in der Bismarckstraße hinter dem Rathaus, steht schon eine Frauengruppe bereit und schwenkt ein Plakat mit rotem Herz und der Aufschrift „Willkommen“. So fühlt sich die Gruppe auch. Unter großem Hallo schütteln sich die Steinbacher von hier und da die Hände. Bürgermeister Markus Böttcher hat sich Zeit für die Gäste genommen. „Willkommen bei uns, wir freuen uns auf ein schönes Fest“, sagt er feierlich. Bürgermeister Steffen Bonk, der mit einer sechsköpfigen Truppe, bereits am Donnerstag per Rad in die Partnerstadt gestartet war, wünscht ebenfalls einen tollen Aufenthalt. Dem kann der Burgvogt Stephan Herwig nur noch eins hinzufügen: „Es lebe die Burg!“„Es lebe die Burg“, donnert die Reisegruppe fröhlich zurück. Den Schlachtruf – so viel sei gesagt - wird sie an diesem Tag noch unzählige Male schmettern.
Das hübsche Rathaus von Steinbach-Hallenberg das um 1900 erbaut wurde, ist eins von vielen schönen Fachwerkhäusern, das die Stadt zu bieten hat. Seine Errichtung besiegelte das Zusammenwachsen des Ober- und Unterdorfs zur Stadt Steinbach-Hallenberg, auch wenn ihr das Stadtrecht erst 1936 verliehen wurde. „Wir sind ein Fachwerkstädtchen“, sagt der Burgvogt. „Man sieht es nur nicht mehr.“ Den Grund hierfür verrät er auch, während einer kleinen Stadtführung. „Fachwerk hielt man damals für „arme Leute-Häuser“ , deshalb hat man sie verputzt. Dadurch konnte die Brandgefahr gesenkt werden, denn früher gab es viele offene Feuerstellen in den Häusern und ein aufsteigender Funke konnte sich schnell in den trockenen Balken einnisten und zu einem Brand führen. Der Burgvogt führt uns über die Hauptstraße, die für das Fest gesperrt wurde und jetzt als Mitmach-Meile mit Kunsthandwerk, einer Feldschmiede von 1857, Open-Air-Schach und Bastelangeboten für Kinder dient, zu einem weiteren schönen Fachwerkhaus. Es ist der sogenannte Heimathof in dem sich auch das Metallhandwerksmuseum befindet. „Vor über tausend Jahren wurde bei uns Eisenerz gefunden. Das ist unsere DNA“, sagt der Burgvogt voller Stolz. Noch heute gibt es in der Region rund 4000 Beschäftigte in der Metallbranche. Im Heimathof ist außerdem die Sonderausstellung „Es lebe die Burg“ zu sehen, bei der heimische Künstler, darunter auch der Burgvogt persönlich, Impressionen der Hallenburg kreativ umgesetzt haben. Die Werke werden am 30. Juni bei einer Versteigerung für den guten Zweck unter den Hammer kommen. Natürlich ist der Burgvogt ohnehin schon eine prominente Persönlichkeit, die von jedermann herzlich gegrüßt wird, doch eventuell könnte sich dieser Status noch erhöhen. Der Vogt, alias Stephan Herwig, ist nämlich kürzlich vom MDR zum Thüringer des Monats ernannt worden. „Jeden Monat gibt es einen neuen Thüringer des Monats und am Jahresende wird unter den zwölf Kandidaten der Thüringer des Jahres bestimmt“, erzählt Herwig aufgeregt. „Bei dieser Wahl – es wird ein Online-Voting sein – kann jeder mitmachen. Der Edelmann setzt dann auch auf die Gunst seiner Freunde aus dem Taunus. Doch da diese Abstimmung noch in weiter Ferne liegt, führt er die Gruppe zunächst einmal durch den wunderschönen Bauerngarten hinter dem Heimathof, in dem Stauden und Kräuter wie zum rote Pfingstrosen, Dill und Salbei wachsen. Wenige Meter weiter stehen wir dann schließlich vor der letzten vollständig erhaltenen Korkenzieher-Werkstatt Europas. Im Mai 2005 wurde das gesamte Gebäude – immerhin ein 260 Tonnen schweres Haus – angehoben und mit Schrittgeschwindigkeit tausend Meter durch den Ort bis zu seinem heutigen Standort gefahren. Um das zu bewerkstelligen mussten sogar Strommasten kurzzeitig lahm gelegt werden. Wäre es nicht einfacher gewesen, das Haus erst ab- und dann wieder aufzubauen? Möglicherweise. „Aber die Seele vom alten Schmied Recknagel, die ist so im Haus geblieben“, sagt der Burgvogt fast ehrfürchtig flüsternd. „Geht einfach mal rein, dann werdet ihr es spüren. Es ist so, als sei er nur kurz in der Mittagspause und komme gleich wieder zurück.“
Zeitreisen macht hungrig und auch kulinarisch gesehen hat Steinbach-Hallenberg viel zu bieten. Ein beliebtes Anlaufziel ist die Bäckerei von Daniel und Thomas Marr. Im Hof gibt es „Pulled Pork“, Rippchen und vieles mehr. Dazu vielleicht noch ein Kreuzbergbier? Dort lässt sich zum Beispiel Steinbach Erster Stadtrat Lars Knobloch einen Currywurst im Brotlaib schmecken. Für den Ausflug in die Partnerstadt hat er seinen Urlaub am Tegernsee unterbrochen. „Meine Eltern stammen zwar beide aus Leipzig, haben mir aber viel von hier erzählt“, berichtet er. An den Straßenständen wird natürlich auch die Original Thüringer Bratwurst gebrutzelt. Ohne sie gekostet zu haben, kann man eigentlich die Heimreise nicht antreten. Wer es lieber süß mag, der sollte den für die Region typischen Schmandkuchen probieren. Stadtverordnetenvorsteher Jürgen Galinski will genauer wissen, was in Südthüringen so in den Kochtopf kommt. Der erste Bürger Steinbachs hat eine umfangreiche Kochbuchsammlung, der er jetzt das Heimatkochbuch aus Steinbach-Hallenberg hinzufügt. Es enthält nicht nur Rezepte, sondern auch viel Wissenswertes rund um die Geschichte der Stadt und ihre Traditionen.
Frisch gestärkt lohnt auch ein Besuch auf der sogenannten Spielwiese. Dort können die Gäste ein großes Mittelalter-Spektakel erleben. Vom Ritterkampf bis zur Gerichtsverhandlung bietet sie viel Vergnügliches. Schmiede, Gaukler, Märchenerzähler oder mittelalterliches Riesenrad machen das Eintauchen in alte Zeiten perfekt. Dort treffe ich auch Kai Hilbig. Der Vorsitzende des Vereinsrings hat Großes vor. Zum ersten Mal soll sich der Vereinsring am Umzug am Sonntag beteiligen. Dazu hat er einen Bollerwagen umgebaut. Ein großes Schild mit der Aufschrift „Steinbachs Vereine grüßen zum Burgfest die Freunde aus der Partnerstadt“, prangt ganz obenauf. Rund 15 bis 20 Personen geleiten den Wagen im Zug mitlaufend. „Die Idee dazu ist spontan entstanden. Am Frühstückstisch habe ich das Ganze mit der Vorsitzenden des Partnerschaftsvereins besprochen und schon war alles geregelt“, sagt er schmunzelnd. Kai Hilbigs Frau Sigrid ist besagte Vorsitzende, der Dienstweg war entsprechend kurz. „Bei einer Städtepartnerschaft ist es ganz wichtig, dass die Menschen einfach Lust haben, sich zu treffen. Ich glaube, diese Partnerschaft hat eine große Zukunft.“
Am Abend gegen 23 Uhr fährt der Bus wieder zurück in den Taunus. Fahrer Günther Weiß fragt beim Losfahren: „Na, hatten Sie einen schönen Tag?“ Ein Scherzkeks ruft von hinten „Es lebe die Burg!“ Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.