Steinbach. Wer sich am vergangenen Montag auf einen entspannten, belanglosen Abend freuen wollte, der lag damit ein wenig daneben. Nicht, dass die Veranstaltung im Bürgerhaus gar langweilig oder trocken war, aber ohne sein Gehirn zumindest stellenweise anzuschalten, kam niemand weit. Es war kein belangloses Geplänkel, welches der bekannte Schauspieler Ulrich Gebauer an diesem Abend von sich gab.
Zusammen mit dem Musiker Ralf Schink, der sich den gesamten Abend am Klavier auf der linken Seite der Bühne befand, verwandelte der Schauspieler Ulrich Gebauer viele vergessene lyrische Werke von Erich Kästner in einen fesselnden Monolog, der nur durch die Klänge des Klaviers, betonte Pausen und den Applaus des Publikums für wenige Augenblicke unterbrochen wurde. Auf dem schlichten Bühnenbild befand sich außer einer schwach leuchtenden Straßenlaterne, einem alten Zaun, einer Skyline von Hochhäusern im Hintergrund und dem Klavier nichts, worauf die Aufmerksamkeit der Zuhörenden gelenkt werden konnte. Allein Gebauer und Schink standen im Fokus. Durch das gedimmte Licht und die wenigen Anhaltspunkte, die die Bühne dem Publikum gab, entstand eine intime Beziehung zwischen dem Redner, dessen Stimme die Einzige war, die den Raum füllte, und dem Publikum.
Schlicht angezogen betrat Ulrich Gebauer die Bühne, mit einem grauen Jackett, einer grauen Anzughose und einem karierten Hemd bekleidet. Wieder – nichts, was die Aufmerksamkeit besonders auf sich ziehen würde. So reduzierte sich alles auf das Wichtige an diesem Abend: Gebauers Stimme. Mit dieser begann er sich, nur mit leisen Klaviertönen im Hintergrund, den Werken Erich Kästners zu widmen. Und damit sind nicht die Werke gemeint, die jeder von Erich Kästner kennt. Nicht „Das fliegende Klassenzimmer“, nicht „Emil und die Detektive“ und auch nicht „Das doppelte Lottchen“.
Erich Kästner, der von 1899 bis 1974 lebte, hinterließ nicht nur diese bekannten und brillanten Kinderbücher, obwohl diese eben das sind, an was viele denken, wenn der Name Erich Kästner fällt.
Erwachsene sind unerträglich
Doch dieser Abend im Bürgerhaus widmete sich den vielen vergessenen Gedichten, die Kästner in der Zeit der „Neuen Sachlichkeit“ verfasste, die auf sehr lustige Weise heute immer noch sehr akkurat und zutreffend sind. So sprach Gebauer davon, dass Erwachsene unerträglich sind, obwohl doch eigentlich jedes Kind tadellos war, wie kommt es also zu diesem Wandel im Laufe des Lebens? Auch die Kinder von heute werden später also kleinlich? Thematisiert wurde zudem, dass heutzutage Nahrung in Tablettenform zu sich genommen, Kinder künstlich hergestellt und das Altern gar nicht mehr gekannt würden. All dies klingt nach sehr modernen, zeitnahen Themen und wird aber tatsächlich bereits in sehr ähnlicher Form 1932 von Kästner aufgegriffen, in seinem Gedicht „Die Entwicklung der Menschheit“. Ebenso wie Gebauer jetzt, sprach Kästner satirisch und kritisch über die teils lächerlich wirkende Entwicklung der Gesellschaft, über „neumodische“ Dinge, die es eben damals und heute schon gab. Auch die „Klassefrauen“, die sich ihre Nägel rot lackieren, weil es eben Mode ist, wurden von Kästner früher sowie von Gebauer an diesem Abend aufgegriffen. „Sogenannte Klassefrauen“ heißt dieses Gedicht aus dem Jahre 1930 – und doch scheint es mitsamt der vielen Schönheitsideale und Trends doch sehr aktuell und naheliegend.
Auch die Liebe wurde in Kästners vielen Gedichten natürlich nicht ausgelassen. „Was will das Herz?“, rief Gebauer laut, um die Verzweiflung zu verdeutlichen, die in Kästners Gedicht „Er weiß nicht, ob er sie liebt“ durchsickert. Auch die Klavierklänge veränderten sich, je nach Stimmung des Gedichtes, sowie Gebauers Körpersprache, Mimik und Gestik. Insgesamt entstand ein wechselhaftes lebendiges Spiel auf der Bühne, bei dem viele Emotionen durchlaufen wurden. Doch keineswegs war die Stimmung bedrückt – im Gegenteil! In regelmäßigen Abständen führten viele Zeilen zu herzhaften Lachern im Publikum, auch Gebauer schmunzelte gerne über manche Aussagen Kästners. So im Gedicht „Der Kümmerer“, in dem Kästner schreibt „Der Kümmerer ist zwar ein Mann, doch seine Männlichkeit hält sich in Grenzen“ oder „Der Kümmerer liebt, mit einem Worte, vegetarisch.“. Hier geht es um den Typ Mann, den es früher gab und auch heute in der Gesellschaft gibt, der sich, im Gegenzug zu dem typisch männlichen Prototyp, um Frauen kümmert, nicht auf seine Männlichkeit beharrt, bescheiden ist und nicht immer nur verlangt.
Ralf Schink und Ulrich Gebauer begleiten das Publikum durch eine musikalisch-literarische Reise durch die riesige Welt der Gedichte von Erich Kästner und hinterlassen einen guten Eindruck davon, wie aktuell Kästners Lyrik auch heute noch ist.