Verpuffter Opfergang der Physiker in der Gummizelle

Das Ensemble erntet Applaus für die gute Darstellung einer hochexplosiven Thematik, die fast 60 Jahre nach der Uraufführung aktuell ist wie damals. Foto: HB

Steinbach (HB). Das Bühnenbild sah aus wie eine einzige Gummizelle. Die weiße Wand unter den Oberlichtern war gedämmt und gepolstert, eine Kulisse in der getobt und gestritten wurde. Die Gewalt in Dürenmatts „Die Physiker“ spielte sich im Bürgerhaus hinter verschlossenen Türen ab. Über die Ermordung der drei Krankenschwestern wurde lediglich geredet. In diesem Schweizer Irrenhaus.

Das Ensemble des Tourneetheaters wurde mit freundlichem Beifall verabschiedet. Es machte seine Sache gut, wenngleich es mit dem Starensemble von 1962 nicht konkurrieren konnte. Bei der Premiere des Stücks im Züricher Schauspielhaus standen Hans Christian Blech, Gustav Knuth und Theo Lingen auf der Bühne. Das Stück war damals das meistgespielte im deutschen Sprachraum. Das ist es heutzutage nicht mehr, aber die Problematik immer noch aktuell.

Was in zwei Akten über die Bühne geht, ist in weiten Teilen ein Täuschungsmanöver erster Ordnung. Der berühmte Physiker Möbius mimt den Verrückten mit König Salomon-Visionen, um seine „Weltformel“ zu bewahren, die unschwer als Gebrauchsanweisung für den Bau der Atombombe zu deuten ist. Die Mitpatienten – Beutler alias Newton und Ernesti, der sich Einstein nennt – haben sich im Auftrag der jeweiligen Geheimdienste eingeschlichen, um dem Kollegen Möbius die Allmachts-Formel zu entlocken. Alle Drei bringen ihre Krankenschwestern um, weil sie für Mitwisserinnen gehalten werden. Am Ende obsiegt freilich Fräulein Doktor Mathilda von Zahmd, die leitende Irrenärztin, denn sie hat sich mit Hilfe der Krankenschwestern die Aufzeichnungen des genialen Möbius beschafft. Damit verpufft der Opfergang der Wisschenschaftler, die beschlossen haben, in der Heilanstalt zu bleiben, um die physikalische Entdeckung zu bewahren und vor Mißbrauch zu schützen. Die Botschaft des Dichters lautet: Wissenschaft gerät immer in die falschen Hände.

Dürenmatt wurde beim Schreiben der Physiker von Robert Jungks 1957 erschienenem Buch über das Manhattan-Projekt, die Entwicklung der Atombombe während des Zweiten Weltkriegs, inspiriert. Er hat „Heller als 1000 Sonnen“ in der Weltwoche rezensiert, um die zerstörerische Kraft der Bombe einer breiten Öffentlichkeit als Menetekel vor Augen zu führen. Zur Hochzeit des Kalten Kriegs grassierte die Angst vor einem Atomkrieg.

Die Steinbacher Inszenierung hatte mit dem Boulevardtheater, das auf dieser Bühne in der Regel zu Hause ist, nichts zu tun. Auch wenn sich die beiden Geheimagenten im Schluss-drittel mit gezogenen Pistolen gegenüber standen. Darauf hätte man verzichten können.

Im März steht eine tragikomische „Vater“-Figur auf dem Spielplan, ehe die Saison im April mit „Willkommen bei den Hartmanns“ heiter und beschwingt ausklingt.



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