Wo sich die Ameisenbläulinge wohlfühlen

Dunkler Ameisenbläuling. Foto: Katja Fuhr-Boßdorf /pixelio.de

Bad Homburg (hw). Wissenschaftliche Untersuchungen haben für Deutschland einen dramatischen Rückgang der Insektenpopulation aufgezeigt. Hauptgrund ist der Mensch, der Lebensräume einschränkt und die Lebensgrundlagen für Insekten verändert. Die Stadt unternimmt seit vielen Jahren enorme Anstrengungen, um die Natur und die Landschaft einschließlich ihrer Fauna und Flora nachhaltig zu schützen und zu bewahren. Trotzdem sind auch in Bad Homburg Rückgänge in der Insektenpopulation zu verzeichnen. Jetzt wurden dem Magistrat Konzepte vorgestellt, die zur Erhöhung der Insektenvielfalt beitragen sollen. Vorbehaltlich der Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung wurde die Verwaltung beauftragt, die im Konzept aufgeführten Maßnahmen fortzuführen. „Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, welche überragende Bedeutung Insekten für unser Ökosystem haben. Daher sind mir alle Maßnahmen, die der Stärkung von Insektenpopulation dienen, sehr willkommen“, betont Oberbürgermeister Alexander Hetjes.

Wichtig für die Entwicklung einer guten Insektenfauna sind vor allem vielfältig, natürliche Flächen. Hoch gewachsene, artenreiche Wiesen beispielsweise, die länger stehen bleiben, bieten im Gegensatz zu kurzgemähtem Rasen vielen Arten ein Refugium. Schon nach wenigen Jahren der Extensivierung der Pflege ist eine größere Artenvielfalt bei den Pflanzen und den Insekten zu beobachten.

Die Stadtverordnetenversammlung hat 2018 ein durch die Universität Kassel erstelltes Landschafts- und Freiraumentwicklungskonzept für Bad Homburg beschlossen. Die Inhalte des Konzepts waren und sind Grundlage für die weitere Pflege, die Unterhaltung und Maßnahmen zum dauerhaften Erhalt der wichtigen Landschaftsteile Bad Homburgs. Ein wesentlicher Punkt des Konzepts sah eine Bestandskartierung der wichtigen Gruppen in Flora und Fauna vor. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass Bad Homburg das zweitgrößte Vorkommen an Hellen und Dunklen Ameisenbläulingen – zwei besonders seltene und geschützte Tagfalterarten – sowie an seltenen Orchideenarten in Südhessen aufweist. Die wertvollsten und wichtigsten Lebensbereiche der heimischen Fauna befinden sich im Kirdorfer Feld; aber auch in den großen Streuobstbeständen, der Landgräflichen Gartenlandschaft, im Höllsteinpark und in anderen Bereichen sind sehr wertvolle Biotope vorhanden. Auf der Grundlage des Konzepts wurden in Bad Homburg bisherige Maßnahmen zur Erhöhung der Lebensraum und Insektenvielfalt ausgeweitet und neue Maßnahmen umgesetzt. Dabei wurde und wird mit Verbänden wie der Interessengemeinschaft Kirdorfer Feld (IKF), der Hegegemeinschaft Ober-Erlenbach, der Landwirtschaft, den Naturschutzverbänden (BUND, Nabu) und anderen Vereinen und Institutionen kooperiert.

Für die verschiedenen städtischen Flächen und deren jeweilige Nutzung und Unterhaltung ist ein Gesamtkonzept nur schwer darstellbar. Deshalb stimmt die Stadtverwaltung die wesentlichen Grundsätze der extensiven Pflege zwischen den verschiedenen Akteuren im jeweiligen Einzelfall ab. Diese Grundsätze beinhalten:

- Vermehrte standortgerechte Anlage von Wiesen und Blühstreifen

- Verwendung von regionalem Saat- und Pflanzgut

- Extensivierung der Pflege, insbesondere der Mahd.

- Es soll möglichst wenig gemulcht, stattdessen gemäht werden.

- Die Mahd, auch von Rasenflächen, wird höher durchgeführt (vier bis sechs Zentimeter)

- Die Mähfrequenz wird, wo immer möglich, deutlich reduziert

- Auf Blühwiesen soll standardmäßig nicht vor Juni und dann erst wieder Mitte September gemäht werden

- Es sollen bei jeder Mahd immer mindestens zehn Prozent des Aufwuchses stehen bleiben

- Maschinenmahd soll, wenn sinnvoll möglich, durch Schafe ersetzt werden

Blühstreifen dienen vor allem Bienen, Schmetterlingen und anderen Insekten als Nahrungsquelle und Überwinterungsort. „Wer zu Hause vermehrt Wildblumen pflanzt sowie auf Dünger und Insektizide verzichtet, gibt Insekten einen neuen Lebensraum“, sagt Hetjes. Aber auch Vögel, Fledermäuse und andere Tiere profitieren direkt und indirekt von diesen Flächen. Die weitläufigen Wiesen im historischen Kurpark werden bereits seit 1990 zu großen Teilen extensiv gepflegt. Das bedeutet eine deutlich spätere und reduzierte Mahdfolge. Zudem werden außer Pflanzbeeten keine Flächen gedüngt oder mit Pflanzenschutzmitteln behandelt. Heute lässt sich feststellen, dass sich die Erwartungen hinsichtlich der ökologischen Aufwertung und Erhöhung der Biodiversität übererfüllt haben. Insbesondere hat sich die Artenzahl der Pflanzen in den Wiesen deutlich erhöht: von zwölf auf mehr als 35, darunter auch Orchideen. Die extensive Pflege hat außerdem viele weitere ökologische Vorteile: So finden Hasen und andere Tiere Deckung im hohen Gras, die Insektenpopulation ist gewachsen, was auch positive Wirkung auf die neun Fledermausarten und mehr als 40 Vogelarten hat.

Ebenfalls seit Beginn der 1990er-Jahre wurden Konzepte zur Bachrenaturierung entwickelt. Dies hat zur Folge, dass auch Bachufer und Auenbereiche naturnäher entwickelt werden. Umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen haben zu einem ausgedehnten Netz von naturnahen Flächen mit einer sehr gut entwickelten Insektenfauna geführt. Beispiel hierfür ist unter anderem die Population der Ameisenbläulinge im Höllsteinpark, die sich dank der extensiven Pflegemaßnahmen gut entwickelt und dauerhaft etabliert hat. Daher werden die Renaturierungen auch kontinuierlich weitergeführt.

Auch die traditionellen Streuobstbestände, die nachhaltig gepflegt und erhalten werden, sind äußerst artenreiche Landschaftsbereiche. In den vergangenen drei Jahren wurden die Bemühungen durch umfangreiche Kartierungen zu den Obstsorten, den Bruthöhlen in den Obstbäumen sowie zu den aktuellen floristischen und faunistischen Beständen der Wiesen nochmals verstärkt.

Seit 2018 wurden zudem bei verschiedenen Aktionen rund 15 000 Blühsamentütchen mit zertifiziertem heimischen Saatgut für Insekten-Blühwiesen an die Bevölkerung verteilt. Da je Tütchen ein Quadratmeter Blühwiese angelegt werden kann, kommen am Ende in drei Jahren 15 000 Quadratmeter mehrjährige Blühwiese für Insekten zusammen. Um auch im Stadtbild die Blühwiesen hervorzuheben und über die vermeintlich „ungepflegte Wildnis“ aufzuklären, wurden seit Herbst 2019 mehr als 100 Schilder an den Blühstreifen und Wiesen aufgestellt. Der Kleingartenbauverein Bad Homburg hat bei diesen Aktionen engagiert mitgewirkt und gemeinsam mit OB Hetjes größere Flächen Blütensäume angelegt.

Hinzu kommt, dass bei allen städtischen Planungen seit vielen Jahren versucht wird, den Rahmen des rechtlich und technisch Machbaren auszufüllen. So wird in allen Bebauungsplänen von Anfang an versucht, den größtmöglichen Erhalt an Grün beziehungsweise den größtmöglichen Ausgleich zu erreichen. Die Aktion „Nachhaltig durch Ökoprofit“, eine Initiative der drei Ökoprofitstädte Bad Homburg, Oberursel sowie Friedrichsdorf und 17 Ökoprofit-Unternehmen, zielt auf eine Erhöhung der Biodiversität an den jeweiligen Betriebsstandorten und in den Kommunen ab. Die Unternehmen vermeiden eine Bepflanzung, die nur ästhetischen Gesichtspunkten dient und bevorzugen auf ihren Unternehmensflächen einheimische Saatgutmischungen und Anpflanzungen.

Künftig soll es ein Monitoring aller relevanten Flächen geben. So ist die Errichtung von zehn Dauer-Monitoringflächen zur Beobachtung der Insektenpopulation geplant.



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