Durchdringende Schreie, wirre Blicke, Spannung pur

Der vielseitige Künstler Matthias Matschke begeistert mit seiner Lesung aus Edgar Allen Poes „Unheimlichen Geschichte“, kongenial begleitet von Vivi Vassileva an Vibraphon und Percussions. Foto: Staffel

Bad Homburg (ks). Wer mit dem Schauspieler Matthias Matschke die korrekte, scharfzüngige Erscheinung verbunden hatte, die er als „Professor T.“ im Fernsehen abgibt, war überrascht. Der Künstler, der an der Seite der Musikerin Vivi Vassileva das Podium in Lokkers Kulturbahnhof betrat, wirkte in seinem grauen Anzug mit dem bunten Hemd und dem lässigen Haarschnitt ungezwungen und heiter. „Unheimliche Geschichten“ von Edgar Allen Poe im Gepäck, fand er schnell einen Draht zum Publikum und begeisterte mit seiner nuancenreichen Vortragskunst, mit der er der genialen Erzählkunst des amerikanischen Autors eindrucksvoll gerecht wurde. Poe ist nur 40 Jahre alt geworden und hat von 1809 bis 1849 gelebt. Er war ein begnadeter Vertreter der Horror- und Schauerliteratur, der großartige Ideen hatte und diese zu spannenden Geschichten verweben konnte.

Über der Bühne changierte das Licht zwischen Rot und Blau, passend zum Geschehen und zur Musik, als Matschke mit der Geschichte vom „alten Mann mit dem Geierauge“ begann. Von diesem Auge fühlt sich ein Hausbewohner so stark belästigt, dass er beschließt, den alten Mann umzubringen. Der Ich-Erzähler ist nicht wahnsinnig, o nein, nur furchtbar nervös. Er hat auch nichts gegen den alten Mann, wenn nur das Geierauge nicht wäre. So macht er sich nun jede Nacht um Mitternacht auf und beobachtet sein Opfer mit einer Laterne durch den Spalt der Kammertür. In der achten Nacht erwacht der alte Mann unvermutet von einem Geräusch, setzt sich in Todesangst auf dem Bett auf, aber es bleibt alles still. Auch der Mörder hört nur das Ticken einer Uhr. Aber er hört auch das Herz so laut schlagen, dass er befürchtet, ein Nachbar könne das ebenfalls wahrnehmen. Das ist der Moment, in dem er sich auf den alten Mann stürzt, ihn zu Boden reißt und das schwere Bett auf ihn presst. Der alte Mann „ist tot wie ein Stein“, nur das Herz pocht immer noch laut. Der Polizei erzählt der Mörder, der alte Mann sei aufs Land gereist, und führt die Beamten in die Kammer, plaudert mit ihnen, bis er ein dumpfes Geräusch vernimmt, das immer lauter wird. Es kommt aus den Dielen, unter denen er den alten Mann begraben hat. Ist es das Herz des alten Mannes? Der Mörder hält dieses Pochen nicht mehr aus. Er will Gewissheit, ist voller Panik und gesteht die Tat.

Auch die folgenden Geschichten waren nicht minder spannend. In der „Maske des roten Todes“ geht es um einen geheimnisvoll Vermummten, der auf einem Maskenball des Prinzen Prospero erscheint. Auf dessen Schloss hatte sich eine riesige Gesellschaft vor der grassierenden Pest geflüchtet und lässt es sich gut gehen. Die Gäste sind zu einem Maskenball geladen, überbieten sich in grotesken Verkleidungen und füllen die Räume des Schlosses, die in verschiedenen Farben ausgestattet sind. Nur das letzte Zimmer ist Schwarz. Gegen Mitternacht taucht plötzlich eine Gestalt auf, die noch niemand gesehen hat. Sie ist groß und hager, in weiße Leichentücher gehüllt, trägt eine rote Maske, und alles ist mit Blut besudelt. Die Gestalt geht durch die Reihen der Tanzenden, die allmählich das Grauen packt, aber keiner ist fähig, sie aufzuhalten. Sie schreitet gemessenen Schritts durch alle Räume, der Prinz folgt ihr und sinkt im letzten, dem schwarzen Zimmer, nach einem durchdringenden Schrei zu Boden. Er ist tot. Der Vermummte ist nicht fassbar, er hat hat kein Gesicht. Es ist der rote Tod, der Verderben und Verwesung bringt.

Lebendig begraben

Auch in der Erzählung vom „Untergang des Hauses Usher“ geht es um Tod und Niedergang. Vom Anblick des düsteren und trostlosen Schlosses der Familie Usher ist der alte Freund des Hausherrn so fasziniert, dass er beschließt, dort einige Zeit zu verbringen, um den depressiven Freund ein wenig aufzuheitern. Die Ushers sind wegen ihrer Reizbarkeit bekannt, aber jetzt lastet eine „unheilbare Schwermut“ auf allem. Auch Roderick Usher hat sich sehr verändert und gleicht nicht mehr dem Gesellen aus der Kindheit. Die nervöse Angegriffenheit ist ein Familienübel, begleitet vor Furcht und Schrecken, daran zugrunde zu gehen. Die einzige Gefährtin von Usher ist seine Schwester Madeleine. Auch sie hat das Familienübel geerbt. Die Lady stirbt und wird in der Familiengruft beerdigt, einer Stätte des Grauens. Der Gast erfährt, dass Roderick und Madeleine Zwillinge waren und eine besondere Verbindung zwischen ihnen bestanden hat; er spürt aber auch, wie sich die Wahnvorstellungen allmählich auf ihn übertragen. Es herrscht eine hysterische Aufregung in dieser Sturmnacht, durch die ein Schrei gellt und Madeleine plötzlich wieder vor der Tür steht. Man hatte sie lebendig begraben. Sie zeigt noch Spuren des Kampfes, als sie auf den Rücken des Bruders stürzt. Beide sind tot. Der Wirbelsturm hat den Riss im Schlossdach vergrößert und die Mauern stürzen ein. Das Haus Usher gibt es nicht mehr.

Vivi Vassileva setzte je nach Tenor und Dramatik des Textes ihre Trommeln oder das Vibraphon verhalten oder mit zunehmender Kraft stimmungsvoll ein, und die beiden Künstler fanden kongenial zusammen. Das würdigten die Zuhörer mit anhaltendem Beifall, ehe sich beide nach einem mitreißenden Trommel-Solo der brillanten Musikerin verabschiedeten. Matschkes erster Auftritt war so großartig, dass man sich ein Wiedersehen mit ihm wünscht. Und mit Vivi Vassileva wird es hoffentlich auch ein Wiedersehen geben.1



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