Bad Homburg (a.ber). Seine Handschrift ist von großer Zartheit, manches Wort auf dem leicht fleckigen Papier durchgestrichen und durch ein neues ersetzt, das meiste aber gut lesbar. Und doch zeigt das Original auch dies: ein Ringen des Dichters mit sich selbst und der eigenen Welt-Deutung. Als Friedrich Hölderlin (1770-1843) sein berühmtes Gedicht „Andenken“ schrieb, war der Dichter 33 Jahre alt. Im Mai 1802 war er aus dem französischen Bordeaux aufgebrochen, wo er kurzzeitig als Hauslehrer gearbeitet hatte, und nach monatelanger Wanderung zu Fuß bei seiner Mutter in Nürtingen bei Stuttgart angekommen – in desolatem Zustand, abgemagert und mit langen Haaren, geistig verwirrt.
Sein Gefühl, als Dichter in Deutschland nicht anerkannt zu werden, die in seinen Augen minderwertige Stellung als Hauslehrer, die große Enttäuschung seiner demokratisch-aufklärerischen Ideale, die er auf dem Rückweg von Bordeaux im noch revolutionär gärenden Paris erleben musste, aber auch Krankheit und früher Tod seiner Frankfurter Geliebten Susette Gontard im Juni 1802 hatten dem empfindsamen Hölderlin ebenso zugesetzt wie die enormen Reisestrapazen. Und doch gelang es dem jungen Dichter während seines Aufenthalts im Elternhaus zwischen 1803 und 1804 noch, eines der schönsten Gedichte deutscher Sprache zu schreiben. „Andenken“ endet mit dem Satz: „Was bleibet aber, stiften die Dichter.“
Die Stadt Bad Homburg, Eigentümerin des zweitgrößten Bestandes seiner von Hand verfassten Gedichte, Briefe und Texte, zeigt nun in einer Wechselausstellung im neugestalteten Foyer der Villa Wertheimber Handschriften Hölderlins im Original: In halbjährlichem Wechsel wollen die Ausstellungs-Kuratoren jeweils ein Gedicht Hölderlins zeigen – erst im Original, dann einige Monate als Faksimile. Dazu werden auf großen Schautafeln Verständnis- und Interpretationshilfen zum Text gegeben sowie das Leben Friedrich Hölderlins dargestellt. Den Auftakt macht die Strophe 5 des Gedichts „Andenken“, die die Stadt im Original besitzt.
Emotionale Heimat
Dass das Städtchen Homburg für den berühmten deutschen Dichter von September 1798 bis Mai 1800 zur „emotionalen Heimat wurde, wo er sich mit Freunden und Gönnern austauschen konnte, wo er einen Kosmos fand, der seine dichterische Arbeit befruchtete und in eine Schaffensphase kam, in der die schönsten und berühmtesten seiner Werke entstanden“, betont Dr. Bettina Maria Gentzcke, Leiterin des Fachbereichs Kultur und Bildung der Stadt. Gentzcke hat gemeinsam mit Peter Lingens vom Historischen Städtischen Museum und Dr. Astrid Krüger vom Stadtarchiv die Ausstellung in der Villa Wertheimber konzipiert und ausgearbeitet. Der Schwerpunkt der Schau, die kostenfrei für jedermann zugänglich ist, liegt auf den beiden Aufenthalten Friedrich Hölderlins in Homburg.
Eindrücklich wird deutlich, wie sehr sich der zweite Aufenthalt des Dichters in Homburg von 1804 bis 1806 von seinem ersten Aufenthalt unterscheidet: Der ersten produktiven Schaffensphase stehen zwei Jahre gegenüber, in denen Hölderlin trotz der Unterstützung seines langjährigen Freundes Isaak von Sinclair (1775-1815) immer mehr in eine schwere psychische Erkrankung geriet. Schwere depressive Phasen, Tobsuchtsanfälle und große Verzweiflung wechselten sich ab, und am 11. September 1806 wurde Hölderlin auf Veranlassung seiner Mutter in eine Klinik nach Tübingen gebracht, wo er 1807 als unheilbar krank in die Obhut der Familie Zimmer entlassen wurde. Fürsorglich umsorgt, verbrachte er in einem Turmzimmer am Neckar die restlichen 36 Jahre seines Lebens.
Hölderlins Studienfreund Sinclair hatte schon früh das Genie des jungen Mannes erkannt und ihn im Herbst 1798 nach Homburg geholt, wo der Schriftsteller Sinclair selbst beim hessen-homburgischen Landgrafen Friedrich V. Ludwig angestellt war. Weil Sinclair mit Hilfe des Landgrafen seinen Freund finanziell stützte, war die erste Homburger Phase die einzige im Leben von Hölderlin, in der er wirklich als freier Schriftsteller arbeiten konnte. Homburg sei der Ort, „an dem ich eigentlich zuhause bin und mein Wesen treibe“, so Hölderlin. Inspiriert durch den Ort und dort lebende Menschen, schuf Hölderlin Werke wie „Hyperion“ und „Tod des Empedokles“ und andere bedeutende Gedichte, sammelte und bearbeitete diese immer wieder im „Homburger Folio-Heft“.
Die Ausstellung zeigt auch, wieso die Stadt so viele seiner Werke als Original-Handschriften besitzt: Der erste Stadtbibliothekar Johann Georg Hamel (1811-1872) trat ein Jahrzehnt nach Hölderlins Tod an dessen Neffen in Stuttgart heran und bat um Schriften des damals noch wenig anerkannten Dichters Friedrich Hölderlin – „das war visionär von Hamel“, so Kulturamtsleiterin Bettina Gentzcke, die sich seit Jahren mit dem Dichter beschäftigt. Dass diese Handschriften, die in der Stuttgarter Landesbibliothek fachgerecht aufbewahrt werden, jetzt in Bad Homburg – in einer von der Taunus Sparkasse gestifteten Klimavitrine bei 20 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit – jeweils für zwei Wochen gezeigt werden können, nennt Dr. Bettina Gentzcke ein großes Glück. Die Ausstellung in zwei Räumen und das Begleitheft über Hölderlin in Homburg, in dem das Gedicht „Andenken“ in voller Länge abgedruckt und kenntnisreich von Literaturwissenschaftler Professor Achim Geisenhanslüke von der Goethe-Universität Frankfurt interpretiert und eingeordnet wird, sind sehr gelungen. Begleitende Veranstaltungen werden geplant. „Es ist nicht allen Bürgern Bad Homburgs bekannt, wie wichtig unsere Stadt für den Dichter Friedrich Hölderlin war“, sagt Gentzcke. Nun besteht in der Villa Wertheimber die Gelegenheit, sich mit der spannenden und erschütternden Geschichte des Friedrich Hölderlin und seinen Werken vertraut zu machen. Sich mit dem Begleitheft in den die Villa umgebenden Gustavsgarten zu setzen und Hölderlin zu lesen, hat einen besonderen Reiz.
!Die Ausstellung „Andenken – ein poetisches Meisterwerk“ in der Villa Wertheimber, Tannenwaldallee 50, ist bis 24. Juni (mit Besichtigung der Original-Handschrift) täglich von 15 bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt ist kostenfrei. Anmeldung direkt am Ort möglich. Von 1. Juli bis 31. Oktober (dann liegt ein Faksimile von Andenken aus) ist dienstags 9 bis 16 Uhr, mittwochs 14 bis 19 Uhr, freitags 9 bis 12 Uhr und sonntags 15 bis 18 Uhr geöffnet (Anmeldung am Ort, Maskenpflicht), nach vorheriger Anmeldung per E-Mail an kultur[at]bad-homburg[dot]de auch zu anderen Zeiten.