Hölderlin-Preis 2020 geht an Navid Kermani

Der Hölderlin-Preisträger im Corona-Jahr heißt Navid Kermani. Foto: Julian Baumann

Bad Homburg (hw). Der Schriftsteller Navid Kermani wird für sein Gesamtwerk mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt (Stiftung Cläre Janssen) ausgezeichnet. Oberbürgermeister Alexander Hetjes wird die mit 20 000 Euro dotierte Auszeichnung am Sonntag, 1. November, in der Schlosskirche überreichen. Den mit 7500 Euro dotierten Förderpreis erhält die Autorin Dana von Suffrin.

„Wir sind sehr glücklich über diese Wahl, haben wir damit doch einen Mann und eine Frau, einen Orientalisten und eine Schriftstellerin mit jüdischen Wurzeln ausgezeichnet, besser geht’s nicht“, freut sich OB Hetjes. Die Auswahl der Preisträger stehe sinnbildlich für die Weltoffenheit der Stadt Bad Homburg. Erstmals im diesjährigen Hölderlin-Jubiläumsjahr erhalten sowohl der Hölderlin-Preisträger als auch die Förderpreisträgerin zusätzlich zum Preisgeld die Möglichkeit, die Hölderlin-Wohnung in der Villa Wertheimber kostenfrei zu nutzen. Die Stadt verbindet damit die Hoffnung, die jeweiligen Preisträger den Bürgern näher zu bringen.

Zur Wahl von Navid Kermani, der 1967 in Siegen geboren wurde und als freier Schriftsteller in Köln lebt, schreibt die Jury: „Seine intellektuelle Neugier hat den Schriftsteller, Essayisten, Orientalisten und Reporter Navid Kermani schon auf die verschiedensten publizistischen Felder geführt. Über das Verhältnis von Glauben und Gesellschaft schreibt der Autor iranischer Abstammung ebenso kenntnisreich wie über das ästhetische Erleben des Koran, den Rockmusiker Neil Young oder seine gefährlichen Reisen in die Krisengebiete unserer Zeit. Einen Kronzeugen für seine literarische Poetik, die nicht zuletzt in seinem autofiktionalen Roman ,Dein Name‘ (2011) im Kleinsten stets ein Abbild des Ganzen sucht, findet er in Friedrich Hölderlin. In seiner zeitgleich verfassten Frankfurter Poetikvorlesung ,Über den Zufall. Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe‘ feiert Kermani selbstreflexiv, aber auch selbstironisch seine Liebe zum Dichter. Dabei lässt er erkennen, warum es gerade kein Zufall ist, dass dieser ihn zu einer alles als gleichwertig betrachtenden Literatur inspiriert hat. Bei Navid Kermani treffen philologische Genauigkeit und literarischer Enthusiasmus aufs Schönste zusammen. Furchtlos wandelt er dabei auf dem schmalen Grat zwischen Inspiration und Reflexion, zwischen Intuition und analytischer Schärfe – ein literarisches Wagnis, das nur den Wenigsten gelingt.“

Für seine Romane, Essays, Reportagen und Monographien erhielt Kermani unter anderem den den Kleist-Preis, den Joseph Breitbach-Preis und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Seine Sachbücher erscheinen bei C. H. Beck, sein literarisches Werk im Carl Hanser Verlag.

Jüdische Erzähltraditionen

Zu Dana von Suffrin, die 1985 in München geboren wurde, schreibt die Jury: „Dana von Suffrins literarischem Debüt ,Otto‘ gelingt ein Erzählkunststück. Wie ist es, fragt der Roman anhand seiner Titelfigur, des Siebenbürger Juden Otto, wenn in einer Person zwei eigentlich unvereinbare Positionen zusammenkommen: die eines jener letzten Zeitzeugen der Shoah, deren Erinnerung so unverzichtbar ist für das Gedächtnis unseres Gemeinwesens; und die eines Tyrannen und Familienpatriarchen, den die beiden Töchter lieber heute als morgen loswerden möchten – und der dann doch auch wieder liebenswert ist. Mit dieser Konstruktion gelingt es Dana von Suffrin, die Schreckensgeschichte des 20. Jahrhunderts in einem Ton zu erzählen, der groteske, schwarzhumorige Komik mit existentiellem Ernst und Trauer verbindet. Der Roman ist eine Hommage an jüdische Erzähltraditionen, verbunden mit der Frage nach dem Platz des Jüdischen in der bundesdeutschen Gegenwart. Das Resultat ist ein in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur beglückend außergewöhnlicher Ton: intellektuell herausfordernd und zugleich anrührend.“

!Die Preise werden bei einem Festakt am Sonntag, 1. November, um 11 Uhr in der Bad Homburger Schlosskirche überreicht. Die Stadt arbeitet derzeit an einem Präsenzkonzept für die Preisverleihung, zudem ist geplant, den Festakt per Livestream zu übertragen.



X