Wenn das Holz der Homburger Zeder zum Kunstobjekt wird

Vor Goethes Ruh’ im Schlosspark steht Thomas Pildner mit einem der Kunstobjekte, die aus einer Eibe entstanden sind. Einst stand der edle Nadelbaum genau an dieser Stelle. Foto: nl

Bad Homburg (nl). Angefangen hatte alles mit einem abgebrochenen Ast der großen Libanonzeder vor dem Schloss. Schon längere Zeit hatte der in einem abgelegenen Winkel der Schlossgärtnerei gelegen. Zu schade, um ihn zu Brennholz klein zu häckseln, doch für eine andere Verwendung wusste sich keiner so recht Rat. Bis auf den Tag, an dem Künstler Thomas Pildner auf den Ast aufmerksam wurde. Wenn er davon erzählt, weiten sich seine Augen noch heute vor Begeisterung über diesen Wahnsinnsfund. Denn wann schon ergibt sich die Gelegenheit, eine so seltene Holzart zu bearbeiten? Noch dazu das Holz des Bad Homburger Wahrzeichens schlechthin, dem des 35 Meter umspannenden schwerwüchsigen Nadelbaums.

Als sehr edel und beinahe noch wertvoller gilt allerdings das Holz der Eibe. Vor 220 Jahren, zu einer Zeit, als Goethe den Bad Homburger Schlosspark regelmäßig aufsuchte, hatte die Schlossgärtnerei das in einer Senke befindliche kleine romantische Haus, „Goethes Ruh’“, mit dieser Baumart umkränzt. Eiben wachsen besonders langsam und sind in der Region so gut wie gar nicht zu finden. Als vor etwa sechs, sieben Jahren einer von zwei der erhabeneren Bäume weichen musste, gelangen Holzkünstler Thomas Pildner daraus großzügige skulpturale Objekte und Gebrauchsgefäße.

Pildners Objekte entstehen aus Hölzern, die er vornehmlich in den Parks seiner Heimatstadt findet. Mit vier Osagedorn-Bäumen, dem sogenannten Milchorangenbaum, hatte Ende des 19. Jahrhunderts ein russischer Adeliger seine Spielschulden abbezahlt. Davon findet sich noch heute einer hinter der Wandelhalle der Orangerie im Kurpark. Aus seinen grellorangefarbenen Ästen sind kleine, aber massive Schalen entstanden. Ihre Form korrespondiert mit dem Charakter des Osagedorn-Holzes, das als schwer und beinahe unverwitterbar gilt.

Aus Zierahorn, einer japanischen Baumart, ist die kunstvoll gedrechselte kleine Schale entstanden, die Thomas Pildner aus dem Regal herausgreift. Mit seinem Zeigefinger folgt er der Maserung, so als wolle er sie nachzeichnen. Der Frankfurter Palmengarten hatte ihm das Holz überlassen und damit dem rötlich schimmernden Material erst zu einem zweiten Leben als Kunstobjekt verholfen. Unter seinem genauen Blick registriert Thomas Pildner all die aufgewühlten Stellen, an welchen der Weiß- und der Braunpilz Spuren hinterlassen haben. Sich für immer eingegraben haben. „Es hat fast den Anschein einer Landkarte“, so kommentiert er, was er im Holz entdeckt. Er dreht und wendet weiter, was er in Händen hält und macht an einer anderen Stelle auf eine zweite Struktur aufmerksam, ein Gesicht mit herunterhängenden Mundwinkeln. In dieser Kunstgattung gibt es offensichtlich zwei Schöpfer. Die Natur spielt hier mit und dem Künstler in die Hände.

Im Regal des Ausstellungsraums stehen sie, die kleinen und großen Objekte. Von zehn Zentimeter Breite bis zu fast einem Meter ist alles dabei. Mal besitzen sie eine glatte, weiche Fläche, andere wiederum haben eine Rillenstruktur, die durch ein Messer entstanden ist, das sich durch das in der Drechselbank eingespannt drehende Objekt zieht. Ein schwieriger Arbeitsprozess, der Exaktheit und große Konzentration abverlangt. Rille an Rille entsteht für sich. Einmal mit der spitzen Klinge abgerutscht, bedeutet den Verlust des künstlerischen Konzepts, das dieser Schale zugedacht war.

Unter seinen wichtigsten Arbeitsinstrumenten ist die Taucherbrille, so beschreibt er scherzhaft die Schutzbrille, die er zum einen trägt, weil aus saftfrischem Holz eine immense Wassermenge herausdriftet und sich zum anderen unter den rasanten Fliehkräften ab und zu beim Drechseln ein Holzstück unvorhergesehen abspaltet und verselbständigt. Mit enormer Wucht und Kraft kommt ihm das Stück dann entgegengeschleudert. Es hat also auch etwas Dompteurhaftes an sich, das Drechseln und Bearbeiten der Hölzer, die sich blitzschnell in etwas Unberechenbares verwandeln können.

Es scheint so, als gebe es zwei Thomas Pildner. Der eine führte ein Leben zwischen Zahlen, Daten und Fakten als Manager eines Luftfahrunternehmens. Der andere entsagte dieser sich schnell rotierenden Welt, zog sich zurück, um fortan Baumstrukturen, den Zufälligkeiten der Natur unter seinen Händen eine Form zu geben.

„Und wenn Sie über mich schreiben, bitte bloß keine Superlative verwenden, denn da finde ich mich nicht wieder“, verabschiedet er sich nach seinem Interview durchaus kritisch. Und er meint, was er sagt. Der zurückgezogen arbeitende 62-Jährige ist der Mann, der mit dem Holz spricht. Mit Bedacht und behutsam wählt er auch seine Worte, wenn er seine Arbeit beschreibt. Er hat Respekt vor der Lebendigkeit des Materials.

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