„Wir müssen das Publikum neu zurückerkämpfen“

Zum Jubiläum des Poesiefestivals im Jahr 2019 konnte der künstlerische Leiter Bernd Hoffmann (r.) den Schauspieler Sebastian Koch als Schirmherr gewinnen. Foto: jas

Bad Homburg (jas). Der Countdown läuft. Nur noch wenige Tage, dann wird das 14. Bad Homburger Poesie- und Literaturfestival eröffnet. Den Auftakt macht am Samstag, 3. Juni, um 19.30 Uhr mit seinem Programm „My Love is as a Fever“ in der Erlöserkirche. Am Sonntag ist es Pasquale Aleardi, der um 12 Uhr in der Spielbank liest. Diese Veranstaltung ist bereits ausverkauft, für alle anderen Lesungen sind noch Tickets zu haben. Zum Auftakt des Festivals hat die Bad Homburger Woche ein Kurzinterview mit dem künstlerischen Leiter des Kultur-Events, Bernd Hoffmann, geführt.

In den vergangenen beiden Jahren hatte die Kulturszene schwer zu kämpfen. Coronapandemie, Ukraine-Krieg und Inflation ließen die Zuschauerzahlen einbrechen. Sie sprachen von „Verwerfungen“ mit „Tsunami-Ausmaß“. Hat sich die Lage mittlerweile normalisiert?

Bernd Hoffmann: Nein, von Normalisierung sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Nach Gesprächen mit vielen Veranstalterkollegen können Hermjo Klein und ich sagen, dass Kulturveranstaltungen für 150 bis 750 Zuschauer, also dort, wo 80 Prozent der Kultur in Deutschland übers Jahr stattfindet, sich noch schwertun. Wie es scheint, hat sich die geneigte Klientele in drei Coronajahren etwas entwöhnt und zurückgezogen, und wir müssen das Publikum neu „zurückerkämpfen“. Andererseits und gegenläufig: Viele ganz große, teils nachgeholte Veranstaltungen mit Superstars wie Rammstein, Netrebko, Coldplay und anderen mit Ticketpreisen um 200 Euro aufwärts sind ausverkauft! Was sagt man dazu? Aber natürlich gilt aus vielen sattsam bekannten und gut zu verstehenden Gründen ganz allgemein die These: die Leute halten aktuell ihr Geld zusammen…

Wie lässt sich die Lust auf Kultur wieder wecken? Wie lockt man all jene, die es sich aus Corona-Gewohnheit lieber auf dem Sofa bequem machen, wieder in Theater und Konzertsäle?

Hoffmann: Wir müssen in Marketing und Promotion einen Werbe-Nachschlag auflegen, der natürlich wieder neu kostet: eine negative Spirale für Kultur-Veranstalter. Aber so ist das jetzt nun mal, und wir müssen – nach drei entbehrungsreichen Coronajahren – die gute Laune und den Blick nach vorne beibehalten. In unserem Falle: Ja, Lesungen sind Schokolade für die Seele – die wir wohl alle dringend brauchen.

Das 14. Bad Homburger Poesie- und Literaturfestival beginnt am Samstag, 3. Juni. Den Auftakt macht Tobias Moretti in der Erlöserkirche. Welche Lesungen legen Sie Ihrem Publikum in diesem Jahr ganz besonders an Herz und wieso?

Hoffmann: Wir freuen uns auf den Festivalbeginn mit Tobias Moretti und sein tolles Shakespeare-Projekt. Hier kommen sozusagen die Salzburger Festspiele zu uns. Diese spektakuläre Eröffnung einerseits und andererseits der Festivalabschluss mit Esther Schweins, die auf dem Froschkönigteich open air „Die kleine Meerjungfrau“ liest, eine Geschichte, die ja zur Zeit mit der brandneuen Disney-Verfilmung in aller Munde ist: Diese beiden „poetischen“ Veranstaltungen spiegeln den grundsätzlichen Festivalgedanken und rahmen das Festivalgeschehen 2023 perfekt!

Ich persönlich freue mich sehr auf Peter Kurth und Jeanette Hain: Die beiden Babylon-Berlin-Stars lesen im Kurtheater den berühmten „Blauen Engel“ von Heinrich Mann, die „German Gents“, vier unglaubliche junge Tenöre, garnieren den Abend mit Musik der 20er-Jahre, also nach Art der fabelhaften „Comedian Harmonists“: Das wird klasse, nicht nur für Fans von Marlene Dietrich! Matthias Matschke wird mir im Güterbahnhof mit Bram Stokers „Dracula“ in effektereicher musikalischer Begleitung des Akkordeon-Virtuosen Aydar Gaynullin wieder Gänsehaut pur bereiten. Und ja, mit Julia Engelmann haben wir eine ganz junge Dame, die als Poetin, Musikerin und Poetry-Slammerin so etwas wie die Stimme ihrer Generation ist und mal was ganz Neues ins Festival-Geschehen bringt.



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