Bad Homburg (js). Die Schlosskirche im Schatten des Weißen Turms ist der rechte Raum, um Herrn Hölderlin ein bisschen näher zu kommen. Am Eingang zur Fürstengruft die Bronzeplatte mit dem Anfang der berühmten „Patmos-Hymne“, aus der zumindest der Anfang vielen bekannt sein dürfte. „Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott. / Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.“ Nur ein paar Schritte in die Tiefe sind es von der Bühne zur Gruft, dem Landgrafen von Homburg hat Hölderlin die Hymne gewidmet. Hier sind die brennenden Worte eingraviert auf alle Zeit. Christian Lehnert holt sie für Momente ans Licht an diesem hellen, heißen Sonntagnachmittag in der frisch renovierten Kirche. Das gehört dazu, wenn auf Hölderlin Bezug genommen wird. Ein sprachliches Ritual, das Nähe schafft.
Christian Lehnert, der Dichter und Theologe aus Dresden, ist der Ehrengast. Aus der Hand von Stadtverordnetenvorsteher Alfred Etzrodt und Oberbürgermeister Alexander Hetjes erhält er den mit 20 000 Euro dotierten Hölderlinpreis 2025, steht nun auf der Ehrenliste mit vielen klangvollen Namen. Die Schlosskirche ist seit 2017 Schauplatz der Vergabe des renommierten Friedrich-Hölderlin-Literaturpreises der Stadt Bad Homburg, seit 2023 wird er nur noch alle zwei Jahre vergeben. Nun an den sanften und doch streitbaren Theologen, dessen Lebensweg von mutigen Entscheidungen geprägt ist. Für den Hölderlin ein lebenslanger Begleiter ist.
Immer wieder findet sich Lehnert „an der Seite Hölderlins“. Als junger Mann schon, mit 17 Jahren standen sie da am Feuer, tranken billigen Wodka und lasen aus den Schriften alter Philosophen und Dichter, träumten sich in DDR-Zeiten in eine andere Welt. „Wir lasen sie und warfen sie ins Feuer“, bekennt der 1969 in Dresden geborene Lehnert in seiner Dankesrede. Es waren „Worte wie Blumen, die wachsen“, Sprache werde darin zur „natürlichen Lebenskraft“. Auch wenn er „mit der Zeit vorsichtig geworden ist“ im Umgang mit dem Herrn Hölderlin, weil dieser nicht unbedingt zum Freund und Lehrer tauge aufgrund seines Schweigens an „entscheidenden Momenten“. Und doch ist er immer dabei, auch in der Wüste, bei einem Aufenthalt im Kloster auf dem Berg Sinai. „Christian Lehnert erneuert mit seinem literarischen Werk in Lyrik, erzählender Prosa und essayistischer Reflexion die große Tradition dichterischen Sprechens über Religion, Natur und die Grundfragen des menschlichen Daseins“, befindet die Jury in der Begründung der Preisvergabe an den Mann, der den Wehrdienst verweigerte und stattdessen Bausoldat wurde.
Zwei „außergewöhnliche Preisträger“ mit sehr unterschiedlichem Hintergrund kündigte OB Hetjes in seiner kurzen Begrüßungsansprache an. Die erste Ehre und Aufmerksamkeit gebührte beim Festakt in der Schlosskirche dem Förderpreisträger. Wobei man bei Necati Öziri keinesfalls von einem Neuling in der Kulturszene reden kann. Als Schreiber und Dramaturg am Theater hat er Aufmerksamkeit erregt. Und er wird nicht schweigen, auch wenn in seinem Schreiben so viel Stille und Schweigen so viel erzählt und wie bei Christian Lehnert ein wesentliches Element in seinen Texten ist und intensivste Mahnung zugleich. Es gibt noch so viel zu erzählen in einem Land, in dem die Spielregeln der Demokratie genutzt werden, um diese zu diskreditieren, gar abzuschaffen. Niemand soll sagen können, wir hätten nicht gewusst, nicht gesehen, gehört, gewarnt.
Necati Öziri, Sohn türkischer Eltern, ab 1988 aufgewachsen in Datteln im Ruhrpott, denkt und schreibt über Herkunft, Sprache und kulturelle Identität gleichermaßen radikal und poetisch. Mit seinem 2023 veröffentlichten Debütroman „Vatermal“ gelangte er umgehend auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Ein komplexes Geflecht aus Erinnerung, Erzählung und Identitätssuche, urteilt die Jury, die ihm den mit 7500 Euro dotierten Förderpreis zuerkannte. Eigentlich ist das Buch ein langer Brief an den abwesenden Vater, der sich aus dem Staub gemacht hat, eine Familiengeschichte, Gesellschaftskritik und ein Porträt dieses Landes. Die Chance, „nicht zu wissen, wer ich war“, will er dem Vater nicht geben, er schreibt die Geschichte über seine Hauptfigur Arda, über das Schweigen und die Stille, nicht anklagend wie einst Kafka im Brief an den Vater, aber brutal berührend. So brutal wie die Erkenntnis beim Termin im Ausländeramt, wo er ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung abgeben muss. Dass nämlich „Zugehörigkeit nach Blut vergeben wird“. Mit Hölderlin hatte Necati Öziri bisher wenig zu tun. Das ehre Hölderlin, sagt er lächelnd, es gab wohl noch keinen Grund zur Konfrontation.
Hölderlin-Preisträger Christian Lehnert umrahmt von Oberbürgermeister Alexander Hetjes (r.) und Stadtverordnetenvorsteher Dr. Alfred Etzrodt und Jurymitglied Sandra Kegel von der FAZ .Foto: js
Der Förderpreisträger Necati Öziri beim Signieren seines Buches „Vatermal“Foto: js
Das Publikum in der Schlosskirche lauscht der Laudatio.Foto: js