Von Weihnachtslust und Schnelltestfrust

Unmissverständlich informiert das Banner in der Nähe der Libanonzeder darüber, was beim Besuch des Weihnachtsmarktes alles beachtet werden muss. Wer die Stimmung am Weißen Turm genießen möchte, muss geimpft oder genesen sein und zusätzlich einen aktuellen negativen Schnelltest vorweisen können. Foto: fk

Von Astrid Bergner

Bad Homburg. Nieselregen, drei Grad plus, die Glocken des Stadtgeläuts zur Eröffnung der diesjährigen „Weihnachtsstadt Bad Homburg“ und des traditionellen Weihnachtsmarkts am Landgrafenschloss sind gerade verklungen. Mit dem 38 Seiten umfassenden Programmheft der Stadt Bad Homburg zur weihnachtlichen Einstimmung für die Bürger in der Hand betrete ich die katholische Innenstadtkirche St. Marien.

In der Pressemitteilung des Magistrats hatte ich schon gelesen: „Die Sicherheit der Besucher unseres Weihnachtsmarktes steht dabei an erster Stelle“ – deshalb Zutritt nur nach 2-G+-Regel, „die Regularien unseres Sicherheitskonzepts sind dabei weitaus strikter als es die Vorgaben des Landes Hessen vorsehen“, hatte Oberbürgermeister Alexander Hetjes da betont. Da ich, zweimal geimpft, als freie Mitarbeiterin der Bad Homburger Woche nun nicht für jeden Pressetermin erst einen Test machen will, hatte mich die Redaktion beauftragt, ich könne doch über das Drumherum schreiben, „eine Stimmungsgeschichte, ohne dass Sie selbst hineingehen“.

Erster Ort meines Weihnachtsstadt-Rundgangs also die Kirche mit dem Programmpunkt „Festliche Orgelklänge zum Beginn der Adventszeit und Offene Kirche mit Lichtinstallation und Adventskrippe“. Drinnen gähnende Leere. Ein Ehepaar sitzt in den Bankreihen, der junge Organist improvisiert beeindruckend und zu Herzen gehend über das Adventslied „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Weil es mir so gut gefällt, höre ich mir fünf Variationen an, und verlasse die Kirche nach einer halben Stunde, nicht ohne eine Kerze angezündet und die Krippe mit der Szene „Mariä Verkündigung durch den Engel“ intensiv betrachtet zu haben; der Futtertrog zwischen Ochs und Esel ist im Advent noch leer. „Fürchte dich nicht!“ spricht der Engel zu Maria. Ob die zwei Ehrenamtlichen, die sich hingebungsvoll in der Kirche zu schaffen machen, fürchten, dass heute keiner mehr kommt?

Maske runter, Luft holen, die dunkle Dorotheenstraße hoch, wo ich in Höhe der Erlöserkirche ein junges Elternpaar mit Kind an der Haltestelle des „Weihnachts-Shopping-Express“ treffe. Wir sind alle unschlüssig, ob das Bähnchen tatsächlich fährt, wegen Corona und Abstand und so. Auf meine Frage hin, ob sie den Weihnachtsmarkt am Schloss besuchen, herrscht erst Unstimmigkeit über die Bedingungen, unter denen das geht, aber dann schleudert mir die junge Frau energisch entgegen „2G+, das find’ ich gut!“ Wollte ich eigentlich gar nicht wissen; es interessiert mich ja auch nicht, wer Jens Spahn gut findet oder ob mein Gegenüber schon geboostert ist oder wer Halskratzen verspürt und wie viele Taschentücher er verbraucht in der Jahreszeit, in der Erkältungen normal sind. Aber angesichts von sieben Einschränkungen und Geboten, die OB und Magistrat zum Schutz auf dem Weihnachtsmarkt erlassen haben, kann ich verstehen, dass man sich gleich im Voraus schon zustimmend positionieren will.

Ich lasse mich nicht einschüchtern und gehe, vorbei an einem riesigen „Check-in“-Banner an der Schlossmauer, in den Schlosspark zur Libanonzeder. Grelles Flutlicht ist auf mich gerichtet, der Weihnachtsmarkt gleicht einer Festung. Mit den beiden Security-Männern in neonfarbenen Warnwesten komme ich ins Gespräch: Zu Beginn sei einiges los gewesen, jetzt kaum noch. Als ich mich nach der Stimmung der beiden und der Besucher erkundige, kommt plötzlich vom dritten, von Kopf bis Fuß schwarz gekleideten Security-Mitarbeiter die barsche Frage: „Kann ich mal Ihren Presseausweis sehen?“ Ich blicke in sein Gesicht, wovon nur die Augen durch einen schmalen Schlitz der schwarzen Strumpfmaske sichtbar sind. „Nein, können Sie nicht“, sage ich und gehe.

Vorbei am „Check-in“-Banner an der Herrngasse – „1. Einchecken 2. Zum Einlass 3. Weihnachtsmarkt genießen. Mehr Sicherheit zum Fest!“ heißt es da – versuche ich es am anderen Eingang: Dieser junge Mann in Schwarz mit normaler OP-Maske hat mehr Humor und erzählt mir, dass etwa 16 Security-Mitarbeiter im Einsatz seien. Mit Freundlichkeit macht er ankommende Besucher auf die Regeln aufmerksam, checkt die gelben Eintritts-Bändchen, weist auf die Teststation in der Louisenstraße hin, hat Geduld mit Ratlosen und Enttäuschten: Krawall mache hier keiner, aber abweisen müsse er viele, „obwohl geimpft, genesen, geboostert“.

Wie die Mutter mit drei Kindern, die umdreht und sagt: „2G+? Das macht ja keinen Spaß.“ Ich bin auch ausgesperrt, stelle mich an den Schlosshofzaun und gucke auf die „Eingesperrten“, Budenbesitzer, Schausteller, die all die bunten und leckeren Sachen anbieten. Auch hier, trotz glitzernder Verheißung, gähnende Leere. Um 18.20 Uhr frage ich beim Check-in nach: 68 Besucher befinden sich derzeit in den Schlosshöfen – wo sich laut Magistratsbeschluss „maximal 600 Personen aufhalten dürfen“. Abstand halten können die 68 nun gewiss. Aerosol-Forscher hatten ausdrücklich auf die geringe Ansteckungsgefahr im Freien auf deutschen Weihnachtsmärkten hingewiesen. Ich schließe die Augen, versuche durch meine Maske den Duft von gebrannten Mandeln zu schnuppern, den ich so mag.

An der Herrngasse gibt es immerhin vier Buden für die, die draußen bleiben müssen. Ich schlage zu: drei Tüten Rafaello-Mandeln, Magenbrot und Kokosflocken. „Ich stehe schon viele Jahre auf dem Homburger Weihnachtsmarkt, aber das Kasperletheater hatten wir noch nie. Hier bei uns ist die freie Zone, die da oben haben die A-Karte gezogen“, sagt die „getestete“ Verkäuferin der Frankfurter Mandelbrennerei Ries hinter ihrer Plexiglasscheibe. „Sie dürfe hier einkaufe, da obe net – da steckt Sinn dahinter!“ Zwei Kundinnen lachen laut. Meine Füße sind eiskalt vom langen Stehen. Ich laufe zum Kurhaus, letzte Station meines Rundgangs durch die Weihnachtsstadt. Vorbei am Dönergeschäft und den Black-Friday-Angeboten in der mäßig besuchten Fußgängerzone. Ich will zum Weihnachtswald und zur großen Holzkrippe, dem „ganz persönlichen Lieblingsort“ von OB Hetjes, wie er im Programm-Vorwort schreibt.

Auf dem Kurhausvorplatz ist die Wutz los: Buden mit Bratwurst und Nierenspießen, Spielzeug und Schmalzbrot-Angebot, freier Zugang für alle. Die Tür des Almstadl öffnet sich im Minutentakt, natürlich 2G+ auch im Stadl, aber an den Stehtischen davor ist jeder Platz besetzt. Ich stehe vor der schönen Krippe mit lebensgroßen Holzfiguren. Hier liegt das Jesuskind schon im Futtertrog. Ich wünschte, der Oberbürgermeister stünde neben mir. Ich hätte keine Lust, mich mit Alexander Hetjes über Sinn und Unsinn von Corona-Maßnahmen zu unterhalten, schon eher über die Spaltung einer Stadt-Gesellschaft.

In St. Marien, am Anfang meines Rundgangs, hatte ich eine Kerze angezündet: für die Schausteller und alle, die um ihre Existenz bangen. Vielleicht stelle ich nächstes Wochenende eine zweite daneben für die vom Weihnachtsmarkt Enttäuschten, die Abgewiesenen. Oder ich gehe nach Frankfurt auf den Weihnachtsmarkt: Da muss man nur Maske tragen und kein Plus erfüllen.

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