Bad Homburg (jbr). Klug, kritisch und rebellisch: So trat Lotta (Melisa Özel), Protagonistin des Musicals „Hölder“, vor ihr Publikum. Daneben Robin, gespielt von Malte Arnold, der lieber Musik machte, als die Gesellschaft von unten heraus umzukrempeln. Auch hätte er wohl gerne vergessen, dass sein Vater, Baulöwe Grump, Idealbild eines rücksichtlosen Geschäftsmanns, im Foyer der Hölderlinschule, die Lotta und Malte besuchten, ein Denkmal des Herzogs Karl Eugen, Widersacher der Idealisten, aufzustellen plante und dieses auf den Entwürfen seinem Vater so verdammt ähnlich sah.
Auf der anderen Seite der Bühne: Hölderlin. Revolutionär, Lyriker, Freidenker. Er saß zu gerne mit seinen Kumpanen Schelling und Hegel zusammen, um am „ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus“ zu arbeiten. Was die Philosophen in einer Gaststätte bei einigen Gläsern kühlem Bier niederschrieben, beschäftigte gezwungenermaßen auch die Schüler des Jahrs 2020 im Unterricht.
Die schwere literarische Kost servierten die Musicaldarsteller ihrem Publikum allerdings in Form rockiger Lieder und kluger Texte, die den Zuschauern im Kurtheater einheizten und gute Stimmung verbreiteten. Jedoch beschäftigte auch das Publikum die Frage, ob Hölderlin mit seinen Fragen und Idealen im 21. Jahrhundert noch von Bedeutung sei. Nach und nach tauchte das Publikum mit dem Musical, das seinen Anfang in Lauffen, Friedrich Hölderlins Heimat am Neckar, nahm, in die Materie ein und beobachtete die Parallelen zwischen den beiden Welten.
Doch neben dem spröden Schüleralltag mit dem Lernen längst zurückliegender Ideale mögen sie auch zumindest bei Hauptfigur Lotta Eindruck hinterlassen haben, geschahen doch seltsame Dinge. Zum einen war da diese Feder, mit der man scheinbar durch die Zeit reisen konnte, und zum anderen wurde die Wand zwischen der Welt Hölderlins und der von Lotta und Robin immer dünner, und die Zuschauer konnten bereits erahnen, was geschehen würde.
Zuvor trat aber auch noch Robins Vater ins Rampenlicht. Der Baulöwe Grump, kapitalistischer Pragmatiker, der sich direkt ans Publikum wandte, lehnte Lottas Idealismus strikt ab und fuhr sie harsch an, was sein Sohn Robin nur an ihr finden könne. Allzu passend erschien es, dass Schauspieler Julius Freiberg dann auf der Bühne zu Herzog Karl Eugen von Württemberg wurde. Von seinen weiblichen Untertanen angehimmelt, diabolisch expressiv lachend und durchweg aristokratisch wirbelte der Herzog auf der Bühne umher und besang mit „schwäbischem Charme“ sein „Super Ländle“, in dem glücklicherweise unter seiner Regentschaft nur die Gedanken frei seien.
Mit einem großen Knall und bewegenden, musikalischen Darbietungen verschmolzen in der zweiten Hälfte die beiden Welten. Mit brillanter Unterstützung von „The CHORds“, dem Mittel- und Oberstufenchor der Humboldtschule, und den Instrumentalisten von „Hölders Welt“ spielten sich noch einmal mit Spannung, Konflikt und Liebe zwischen den Zeiten, die zwischen Lehrerin Landauer und ihrem literarischen Idol Hölderlin entflammte, atemberaubend dargebotene Szenen ab.
Mit Leinwandprojektionen, tänzerischen Elementen und vor allem exzellentem Gesang der Schauspieler und des Bühnenkammerchors wurde das Musical „Hölder“ auch für die zahlreich vertretenen Humboldtschüler, die besonders die Sängerinnen ihres Ensembles stolz mit viel Applaus und Jubel bedachten, ein unvergessliches Ereignis. Auch eine Anregung nachzudenken, auf welcher Seite es sich eigentlich zu stehen lohnt, wurde von der Musicalcrew aus Lauffen an die Zuschauer im Kurtheater weitergegeben. „Die Moral“ lautete: Einfach mal Mauern einreißen, die einen begrenzen, und „ins Offene kommen“, wie das Intro es schon empfahl.