Bad Soden (eh) – Die Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine aus Bad Soden am Taunus lädt noch bis zum 22. Oktober zu einer Ausstellung ins Kreishaus im Hofheimer Landratsamt ein. Mit einer Vernissage wurde die Ausstellung „Gegen das Vergessen – 10 Jahre AG Stolpersteine in Bad Soden“ am 28. August im Beisein zahlreicher Gäste aus Ehrenamt, Wirtschaft, Politik und Kultur in Hofheim eröffnet. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Manuela Bender und Dorothea Paul vom Frankfurter Duo „Die stolzesten Frau’n“. Die beiden Musikerinnen unterhielten die Besucher der Vernissage mit Klezmermusik und setzten mit eingängigen Liedern aus der jüdischen Volksmusiktradition emotionale Akzente.
Sichtbare Zeichen gegen das Vergessen
Der Arbeitskreis Stolpersteine Bad Soden wurde im August 2013 von interessierten und engagierten Mitbürgerinnen und Mitbürgern gegründet, die sich zum Ziel gesetzt haben, an die Verfolgten und Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. Die Arbeitsgemeinschaft verlegt deshalb Stolpersteine als eine besondere Art der Gedenkstätte und will all jene Mitbürgerinnen und Mitbürger in den Blickpunkt rücken, denen in der Zeit des Nationalsozialismus Bürger- und Menschenrechte genommen wurden, die Willkür und Gewalt ausgesetzt waren und die durch das Nazi-Regime ihre Heimat und oftmals auch ihr Leben verloren.
NS-Opfer sichtbar machen
In den vergangenen elf Jahren hat die Initiative viele Schicksale von Sodener Bürgern, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, recherchiert und dokumentiert und sorgt mit den handgefertigten goldenen Stolpersteinen dafür, dass ihre Namen nicht in Vergessenheit geraten. Die Stolpersteine machen die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung sichtbar und ermöglichen das Gedenken an die Ereignisse und die Menschen, berichtet Sven Hammerbeck von der Stolpersteine AG in seiner Begrüßungsrede. An ihrem letzten frei gewählten Wohnort in Bad Soden verlegt die AG für die Menschen Stolpersteine und macht damit ihre Namen in der Stadt wieder sichtbar. Menschen wie der Sodener Badearzt und Leiter der Israelitischen Kuranstalt, Dr. Max Isserlin, und seine Familie wurden enteignet und zur Flucht getrieben. Die beiden Sozialdemokraten Johann Malinowski und Fritz Lagemann wurden wegen ihrer politischen Gesinnung verfolgt. Im Widerstand verhaftet, kam Malinowski in das Konzentrationslager Börgermoor, Lagemann nach Frankfurt-Preungesheim ins Gefängnis. „Misshandelt, gefoltert, entlassen 1937“ steht auf Lagemanns Stolperstein. Den Mitgliedern der Initiative sei es schon oft gelungen, durch die Verlegung von Stolpersteinen Kontakte zu Nachfahren der Opfer herzustellen und Familien wieder zusammenzuführen, so Hammerbeck.
Stolpersteine und eine Stolperschwelle
Bisher hat die Arbeitsgemeinschaft in Bad Soden am Taunus 29 Stolpersteine und eine Stolperschwelle auf öffentlichem Grund verlegt. Die Stolpersteine sind ein Kunstprojekt, das der Kölner Künstler Gunter Demnig 1993 ins Leben gerufen hat. Es soll die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung von Juden, Sinti und Roma, politisch Verfolgten, Homosexuellen, Zeugen Jehovas und Euthanasieopfern im Nationalsozialismus wachhalten. Dazu lässt der Künstler Stolpersteine aus Messing vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der NS-Opfer in den Gehweg ein. Inzwischen liegen Stolpersteine in 1265 Kommunen Deutschlands und das Projekt wächst weiter. Die Stolpersteine sind nicht auf Deutschland beschränkt, sondern werden mittlerweile in 21 Ländern Europas verlegt.
Schicksale aus unserer Mitte
In den vergangenen elf Jahren hat die Initiative zahlreiche Einzelschicksale von Bürgern aus Bad Soden am Taunus, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, recherchiert und dokumentiert. Die Ausstellung mit dem Titel „Gegen das Vergessen“, die bereits im Herbst 2023 im Kulturzentrum Badehaus in Bad Soden zu sehen war, stellt mit ausführlichen Texten und Fotos die erschütternden Schicksale der Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den Mittelpunkt. Auf großen Bannern werden die Geschichten von Menschen aus unserer Mitte erzählt, die unter der nationalsozialistischen Verfolgung gelitten haben. Die Banner der Ausstellung wurden so konzipiert, dass sie neben eindringlichen Bildern im oberen Drittel in etwas größerer Schrift eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Daten bieten. Wer mehr erfahren möchte, kann die Dokumente darunter, insbesondere die Zeitungsartikel, studieren.
Initiative bringt Licht in dunkle Zeit
Der langjährige Unterstützer Michael Cyriax, Landrat des Main-Taunus-Kreises, ist „dankbar, dass die Familie Hammerbeck vor elf Jahren die Initiative ergriffen und damit Licht in diese dunkle Zeit gebracht hat“. „Die Stolpersteine tragen zur Erinnerung und Aufarbeitung der damaligen Geschehnisse bei“, so der Landrat. „Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen. Deshalb sollten wir uns alle dafür einsetzen, dass so etwas nie wieder passiert“, appellierte Cyriax in seinem Grußwort und dankte den Mitgliedern der Initiative für ihr Engagement und ihre langjährige Arbeit.
Wichtige Arbeit gegen das Vergessen
„Die Stolpersteine sind inzwischen Normalität in unserer Stadt, aber sie dürfen niemals zur Routine werden“, stellte Bad Sodens Bürgermeister Dr. Frank Blasch fest. Jeder einzelne Stolperstein sei ein handgefertigtes Unikat und etwas ganz Besonderes. Der Arbeitskreis Stolpersteine leiste eine wichtige Arbeit gegen das Vergessen, so der Bad Sodener Bürgermeister. Er dankte den Stolperstein-Mitgliedern, denn „die Erinnerung wachzuhalten ist sehr wichtig, denn die Menschen und Zeitzeugen, die darüber berichten können, werden immer weniger“, so Blasch.
„Die Idee ist deshalb so wertvoll, weil sie das konkrete Schicksal von Menschen aus unserer Mitte ans Licht bringt“, erklärte der Bundestagsabgeordnete Norbert Altenkamp. Die Stolpersteine schaffen eine gute und persönliche Möglichkeit, innezuhalten und zu gedenken. „Die Arbeit der Initiative Stolpersteine ist in diesen Zeiten wichtiger denn je“, betonte auch Markus Franz, Vorstandsmitglied der Taunus Sparkasse.
Nie wieder ist jetzt
Mit bewegenden Worten schilderte Dagmar Müller-Funk, Vizepräsidentin der Humanistischen Gemeinschaft Hessen, Reaktionen aus der Bevölkerung auf die bereits verlegten Stolpersteine. „Das darf nie wieder geschehen! Passen Sie auf, dass so etwas nie wieder passiert!“ – solche Sätze hören die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine immer wieder. „Die Nazis sind nicht vom Himmel gefallen, sie haben mitten unter uns gelebt und waren Teil unserer Gesellschaft“, mahnte Müller-Funk.
Der Diskurs in Deutschland werde immer aggressiver und missgünstiger. Deshalb komme es jetzt auf jeden Einzelnen an. „Wir Humanisten in Hessen haben es uns zur Aufgabe gemacht, unsere Welt menschlich zu denken und zu gestalten“, so die Vizepräsidentin der Humanistischen Gemeinschaft Hessen. „Es ist an der Zeit, dass wir wieder aufeinander hören, dass wir wieder menschlich miteinander umgehen.“ Jeder von uns könne auf lokaler Ebene Kurs halten und im Kleinen Großes bewirken. „Nie wieder ist jetzt“, so die Humanistin Müller-Funk in ihrem Appell für Demokratie, Freiheit und ein humanes Leben, denn „ein humanes Leben in einer offenen, freien und vielfältigen Gesellschaft gibt es nicht in einer Geschenkverpackung“.
Bedeutung der Erinnerungsarbeit
„Wir hoffen, dass die Ausstellung einen Eindruck von unserer Arbeit der letzten elf Jahre vermittelt, den Blick nach 80 Jahren nochmals auf die Opfer lenkt und die Bedeutung der Erinnerungsarbeit unterstreicht“, betonte Lissy Hammerbeck. Gerade in einer Zeit, in der Demokratie und Menschenrechte wieder in Frage gestellt werden und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wieder auf unseren Straßen propagiert werde, sei dies wichtiger denn je. Die ehrenamtlichen Mitglieder der Stolpersteine AG recherchieren deshalb weiter, um erschütternde Schicksale von Menschen aufzudecken und wieder ins Bewusstsein zu bringen.
In der AG ist jeder willkommen
Die Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine fühlt sich ausdrücklich allen Opfergruppen verpflichtet und ist nach eigenen Angaben sowohl in parteipolitischer als auch in religiöser oder weltanschaulicher Hinsicht neutral und unabhängig „Wir suchen Unterstützer! Vielleicht können Sie uns helfen“, appelliert Lissy Hammerbeck.
„Jeder, der sich vorstellen kann, in unserer AG mitzuarbeiten, ist herzlich willkommen“, lädt die Sprecherin der Stolpersteine AG Interessierte zur Mitarbeit ein. „Sprechen Sie uns auch an, wenn Sie jemanden kennen, der zu einer Opfergruppe gehörte“, so Hammerbeck, denn die Arbeitsgemeinschaft sammelt alle Informationen über Opfer, die im Nationalsozialismus verfolgt, inhaftiert oder ermordet wurden.
Zur Arbeit der Stolpersteine AG, die bereits mit dem Bad Sodener Kulturförderpreis ausgezeichnet wurde, gehört neben regelmäßigen Treffen und Austausch auch die Pflege des umfangreichen Internetangebots. Die Homepage ist in fast allen Sprachen – auch in Hebräisch und Arabisch – abrufbar und zeigt die Schicksale aller Opfer, für die Stolpersteine verlegt wurden. Darüber hinaus sind Flyer, Broschüren, Videos und zahlreiche Dokumente hinterlegt. Die Arbeitsgemeinschaft legt großen Wert auf eine gründliche Recherche, um zu seriösen und nachprüfbaren Ergebnissen zu kommen.
Wer sich näher über die Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine in Bad Soden oder über Einzelschicksale informieren möchte, kann gerne Kontakt aufnehmen. Weitere Informationen sowie die genauen Standorte der Stolpersteine in Bad Soden sind auf der Internetseite der Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine unter https://www.stolpersteine-in-bad-soden.de zu finden. Dort kann auch eine Broschüre mit einer Zusammenfassung aller Stolpersteine heruntergeladen werden, in der die Lebenswege und tragischen Schicksale der NS-Opfer in beeindruckender Weise dokumentiert sind.
Die Ausstellung „Gegen das Vergessen“ im Kreishaus im Hofheimer Landratsamt ist noch bis zum Dienstag, 22. Oktober 2024, von Montag bis Mittwoch von 7.30 bis 16.30 Uhr, Donnerstag von 7.30 bis 18 Uhr und Freitag von 7.30 bis 13.30 Uhr geöffnet.
Der Eintritt zur Stolpersteine-Ausstellung ist frei, der Zugang erfolgt über den Innenhof des Landratsamts.