Ist denn nur ein toter Künstler ein guter Künstler?

Wenn er nur wüsste, wen er da anschmachtet. Monsieur Leroux (Raoul Schwab) macht der vermeintlichen Daisy Tillou (Jannik Bucher), die in Wirklichkeit der Künstler Jean-François Millet ist, Avancen. Foto: mb

Friedrichsdorf (mb.) Der Vorhang öffnet sich und die drei Kunststudenten Chicago (Vanesa Rexhapaj), Dutchy (Nicolas Schallmayer) und OShaughnessy (Jeremiah Menzel) tanzen ausgelassen auf die Bühne. So fröhlich beginnt die Komödie „Is he dead?“ von Mark Twain, die am Freitag, 17. März, in der Halle des Turnvereins Burgholzhausen von der Friedrichsdorfer Jugendtheatergruppe „English Drama Club“ aufgeführt wurde

Für ihren Lehrer Jean-François Millet (Yannik Bucher) gibt es nicht ganz so viel zu feiern: Seit Jahren schafft er es nicht, seine Kunst zu verkaufen. Und das obwohl seine impressionistischen Bilder von solch bestechender Simplizität seien, wortwörtlich einen Eindruck hinterließen. Doch sein Genie bleibt bisweilen unentdeckt und ihm nur die Armut und Verschuldung – der absolute Stereotyp des tragischen Künstlers also.

Als Millets Gläubiger Monsieur André (Leon Schreiber) seinen Vertrag geltend machen will und nicht mehr wertlose Bilder, sondern tatsächliche Auszahlung innerhalb eines Tages fordert, gerät Millet in Panik. Schafft Jean-François es nicht, das nötige Geld aufzubringen, so muss seine Geliebte Marie (Vivienne Sieglar) seinen persönlichen Erzfeind Bastien André heiraten. Millet braucht sofort einen Plan!

So also die Ausgangslage der von Mark Twain im Jahre 1898 geschriebenen Komödie „Is he dead?“ – das am vergangenen Freitag, sowie am darauf folgenden Samstag und Sonntag gespielt wurde. Fast ausverkauft war die Turnhalle am Freitagabend. Alle waren gekommen, um zu sehen, was der nunmehr 34 Jahre alte und in der Umgebung bekannte Club in diesem Jahr zu bieten hatte und enttäuscht wurde sicherlich niemand. Etwa ein Dreivierteljahr haben die Jugendlichen unter Leitung von Andrea Lenz Twains Stück eingeübt. Die Räumlichkeiten wurden ihnen vom Turnverein überlassen und um die Technik kümmerte sich wie auch schon viele Male zuvor Bernd Markloff, dem Vorstandsmitglied und Protagonist des Stücks Jannik Bucher seinen gebührenden Dank aussprach. Er sagte außerdem: „Es ist toll, nach so vielen Proben vor leerem Publikum endlich jemanden zu haben, der über die Witze lacht und das Stück miterlebt“.

Zum Lachen gab es während der Vorstellung reichlich. Dass der deutschstämmige Dutchy zwischendurch – vermutlich nicht im Sinne Twains – seinen Handkäs mit Musik herausholte und von seinen Freunden mit Namen wie „Sauerkraut“ und „Brezel“ gehänselt wurde, sorgte für besonders lautes Lachen im Publikum. Aber auch die Geschichte selbst wurde von Dialog zu Dialog komischer. Denn als eine wohlhabende Kunstkennerin Millet erklärt, dass die besten Künstler immer die toten seien, beschließt er seinen eigenen Tod vorzutäuschen und als seine eigene fiktive Schwester Daisy Tillou „aufzuerstehen“.

Zwar führt das zur erhofften Wertsteigerung seiner Bilder, einem plötzlich exzellenten Ruf und zu ausreichendem Wohlstand, um sogar den Butler Charlie (Emma Lenz/Joanna Kmieciak) unterhalten zu können, allerdings sieht sich Millet als Daisy schnell in einem Gewirr von Notlügen verstrickt. Seine Marie erkennt ihn zunächst nicht wieder und zu allem Übel bekommt er von Monsieur Leroux (Raoul Schwab) und Monsieur André einen Heiratsantrag. Auch den mit Handkäs vollgepackten Sarg kann Daisy vor dem französischen König (Finn Schwab) und der russischen Zarin (Joanna Jasyk) nur schlecht erklären. Als Monsieur Lerouxs Tochter Cecile (Elena Löffler) sich dann noch als Polizeidirektor ausgibt, da sie fälschlicherweise annimmt, dass ihr Angehimmelter Chicago ein Verhältnis mit Daisy hat, ist das Chaos endgültig perfekt.

Dass das Zuschauen in diesem Stück so Spaß gemacht hat, lag nicht nur an Mark Twains scharfem und satirischem Blick auf das Künstlermilieu, sondern allen voran an der Begeisterung und Energie der jungen Schauspieler. Unter dem Motto „Energy – Drive – Courage“, zu Deutsch „Energie – Ansporn – Mut“, begann Emma Brooks, Englischlehrerin der Philip-Reis Schule, vor über 30 Jahren eine Theater-AG an ihrer Schule, die sie drei weitere Jahrzehnte fortführte, als eingetragenen Verein etablierte und mehreren Generationen Friedrichsdorfer Jugendlicher Selbstvertrauen und Teamgeist mitgab.

Diese Tradition wird seit drei Jahren von Brooks ehemaliger Schülerin Andrea Lenz weiterentwickelt. Nicht nur die Spieltaktiken, sondern auch die traditionelle Spendenübergabe des unter anderem durch die Eintrittspreise eingenommenen Geldes an wohltätige Organisationen der Umgebung wurde zum festen Bestandteil des Clubs. In diesem Jahr ging das Geld an das Haus Mirjam in Friedrichsdorf, „Streetwork FFM“, das Kinderhilfswerk „World Vision“ und die Kinderkrebshilfe Frankfurt. An allen drei Aufführungsabenden wurden die Werke der lokalen Künstler Sascha Hartwich, Bettina Imhof und Gudrun Anlauft ausgestellt. Sie spendeten dafür die Staffeleien für Millets Atelier.



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