Junge Talente in Glashütten

Glashütten
(kw) – Seit Ende der 1980er Jahre bietet der bald 40 Jahre bestehende Kulturkreis Glashütten jungen, besonders talentierten Musikerinnen und Musikern eine Bühne, was bis 2007 sogar intensiv vom Hessischen Rundfunk unterstützt wurde, der im Rahmen seiner Reihen „Forum der Jungen“ und „Musikszene Hessen“ diese Konzerte aufzeichnete und mit seinen Sendungen Mitwirkende und Aufführungsort überregional bekannt machte. Leider fiel diese kulturelle Breitenarbeit irgendwann dem Rotstift zum Opfer, was aber zum Glück den Kulturkreis nicht am Weitermachen hinderte, der nach wie vor ganz besonders die Förderung junger, noch weitgehend unbekannter Talente zu seinen Hauptaufgaben zählt. Wer sich heute als junger Mensch entschließt, klassische Musik nicht nur passiv zu konsumieren (schon das ist eine Minderheit), sondern intensiv als anspruchsvolles Hobby zu betreiben oder Musizieren gar zum Beruf zu machen, braucht starke Nerven, viel Geduld, Selbstvertrauen und Unterstützung durch Familie, Freunde und Organisationen. In diesem Sinne spielen Auftrittsmöglichkeiten wie das schon zur Tradition gewordene Neujahrskonzert des Kulturkreises Glashütten im dortigen Bürgerhaus eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Am Sonntag, den 23. Januar, konnten sich hier wieder einmal junge Leute präsentieren, die ihre Wurzeln in der kleinen Taunusgemeinde oder zumindest einen engen Bezug zu ihr haben. Anna-Maria Farnung und Pauline Meisel machten mit Cesar Francks bekannter Violinsonate den Anfang. Er komponierte sie im Sommer 1886 und widmete sie seinem Freund Eugène Ysaïe, einem der Begründer der Belgischen Violinschule. Das Werk lebt einerseits vom Kontrast zwischen zwei romantisch wiegenden, langsamen Sätzen, auf die je ein lebhafter, zupackender Teil folgt, und andererseits von einem musikalischen Motto, welches die ganze Sonate durchzieht. Die beiden jungen Solistinnen trafen von Anfang an den zarten, dunkellyrischen, zumindest zum ersten und dritten Satz passenden Ton, ohne dabei ins Süßliche zu verfallen. Auch die virtuosen Sätze zwei und vier gelangen hervorragend, vielleicht an einigen Stellen etwas vorsichtig, wobei die mitreißende Coda am Ende den lebhaften Beifall des dankbaren Publikums hervorrief. Kreislers Liebesleid als Zugabe leitete wunderbar zu den anschließenden „Romantischen Stücken“ op. 75 von Antonin Dvorak über, deren schlichter Volkston die Zuhörenden unmittelbar anspricht. Sie entstanden fast genau gleichzeitig wie die Franck-Sonate, doch zeigen sie eine ganz andere Facette der Romantik: Statt eines französischen Salons erscheint ein böhmischer Gasthof mit Tanzkapelle vor dem geistigen Auge des Hörers. Dvorak, der sich in seiner Jugend mit Geigenspiel etwas Geld verdiente, hat später diese bodenständige Musik in den von ihm selbst so genannten „Kleinigkeiten“ verarbeitet. Am Flügel im Bürgerhaus spielte nun Johanna Meisel gemeinsam mit dem Geiger Leonard Melcher vor allem im zweiten Stück zum Tanz auf, dass es eine Freude war. Die anderen drei Stücke wurden unter ihren Händen zu im wahrsten Sinn romantischen Volksliedern, wie sie sich Dvorak vorgestellt haben dürfte.

Das Schlussstück, ein von Seufzermotiven und Doppelgriffen durchsetztes Arioso, geriet den beiden jungen Leuten an diesem Abend besonders melancholisch-schön.

Wieder eine andere Welt eröffnete danach Leonard Melcher mit der Sonate für Violine allein von Paul Hindemith. Geschrieben 1924, also vor knapp hundert Jahren, ist uns diese Musik zwar zeitlich näher, musikalisch aber ferner, da sie scheinbar das klassisch-romantische Terrain verlässt. Vielleicht hätten ein paar einführende Worte manchem den Zugang zu diesem Stück erleichtert? Eigentlich handelt es sich zumindest in den ersten beiden Sätzen um nichts anderes als Naturschilderung, die durchweg mit tonalen Mitteln arbeitet und mit Trillern und Kuckucksrufen „Sehnsucht nach dem Frühlinge“ ausdrückt. Der Beginn könnte an fließendes Wasser (einen Bach?) denken lassen, Debussy lässt grüßen, und im dritten Satz, der durchgehend Pizzicato (also zupfend) zu spielen ist, schimmert wie von weitem ein derbes Tänzchen im Dreiertakt durch. Im abschließenden vierten Satz mit seinen Variationen über das Lied „Komm, lieber Mai, und mache“ sind die Bezüge zur Melodie nicht leicht nachzuvollziehen, aber „Lottchens Herzeleid“, das in der vierten Liedstrophe besungen wird, spiegelt sich ganz eindeutig im Charakter der dritten Variation, und in der vierten taucht auch der Kuckuck wieder auf. Der junge Geiger spielte mit großem Ernst und gleichzeitig heiterer Leichtigkeit, und das Publikum schmunzelte an einigen Stellen hörbar – offenbar hatte es den Sinn verstanden und teilte angesichts des trüben Januarwetters vor den Saalfenstern die Sehnsucht nach dem Frühling. Zurück zur Romantik des 19. Jahrhunderts führten Johanna Meisel und Leonard Melcher mit Robert Schumanns erster Violinsonate a-Moll op. 105, komponiert 1851 in seiner „guten“ ersten Düsseldorfer Zeit, als unter anderem seine Rheinische Sinfonie entstand. Die mit nur drei Sätzen recht kompakt und konzentriert wirkende Sonate ist ein Spätwerk, das wesentlich von seinem jungen Geigerfreund Joseph Joachim angeregt, allerdings nicht von ihm uraufgeführt wurde. Es erschien später unter der Bezeichnung „Sonate für Piano und Violine“ – ein Hinweis darauf, dass Schumann die beiden Instrumente ebenbürtig behandelte und das Klavier nicht nur begleitende Funktion hat.

Diesem gleichberechtigten Musizieren wurden die beiden Solisten mit ihrem konzertierenden Spiel absolut gerecht. Warmen, sehnsüchtigen Klang verströmten sie gleich mit dem schnörkellosen Beginn, der wie aus dem Nichts heraus das erste Thema präsentiert, um danach die dramatischen Steigerungen spannend auszugestalten. Auch im an eine Ballade erinnernden zweiten Satz arbeiteten sie die Kontraste zwischen dem zarten Anfang und den lebhaften, tänzerischen Einwürfen heraus, was ihnen auch im virtuos-spukhaften letzten Satz hervorragend gelang.

Hier fühlte man sich durch die repetierenden leisen Sechzehntel fast in Mendelssohns Sommernachtstraum versetzt, das Stück hetzt förmlich dem Ende entgegen, aber Meisel und Melcher behielten die Kontrolle.

Kräftiger, anhaltender Applaus forderte als Zugabe das wohl bekannteste „Romantische Stück“ Nr. 3 (Allegro appassionato) von Dvorak heraus.

Große Dankbarkeit bei allen Beteiligten, dass trotz aller Widrigkeiten so wunderbare Musik in diesen Zeiten hörbar gemacht wird und der Kulturkreis Glashütten unbeirrt ein abwechslungsreiches Programm für 2022 plant. Bleiben wir alle zuversichtlich!

Die jungen, musikalischen Talente, von denen hoffentlich noch viel zu hören sein wird in Zukunft

Foto: Privat



X