Alles ruhig an der Westfront? Nein - selbst heute noch nicht Ein Fischbacher Schicksal – und die bittere Enttäuschung 1914-18

Alles ruhig an der Westfront? Damals 1914, 1915 nicht und heute auch noch nicht. Denn dort, wo das Bild der zerstörten Kirche entstand, dort, wo Heinrich Althen aus Fischbach im Schützengraben am Beobachtungsgerät – ein Periskop aus Spiegeln gebastelt – im Schützengraben hockte, dort explodieren heute immer noch Granaten. Blindgänger aus dem „Großen Krieg“, wie die Engländer sagen, Blindgänger, durch die auch heute noch immer wieder Menschen ums Leben kommen.

Es ist das Flandern, mit der Somme mit Ypern, das den jungen Deutschen, den jungen Engländer, die vor dem Ersten Weltkrieg zum Teil durch ihre Besuche 1911, 1912 und 1913 in Kelkheim, Freunde suchten und fanden, – um sich dann später auf den grässlichen Schlachtfeldern Flanderns gegenüberzuliegen, sich gegenseitig ums Leben zu bringen.

Vielleicht hat Heinrich Althen aus Fischbach damals auch die englischen Besucher kennengelernt, die in das Kelkheimer Hotel Taunusblick kamen, die von hier aus Ausflüge in den Taunus oder an den Rhein machten. Dieser Heinrich Althen, der 1912 zu den Gründern von Victoria 1912 gehörte, aus dem mit den Jahrzehnten ja erst die Alemania 1922 und dann der SV Fischbach wurde. Der Musketier Althen, heute auch bei den Fußballfreunden vergessen, aber nicht bei seinem Neffen Alfred Renner in Fisch-bach (Am Alten Born 4), den das heutige Erinnern an diesen großen Krieg, der Millionen verschlang, das Album der Familie Althen aufschlagen ließ und Erinnerungsstücke fand, die zur damaligen Zeit gehörten, über die wir heute nur den Kopf schütteln können und uns verzweifelt fragen: Warum nur, warum? Viele fragten sich das auch 1939 und heute im Zeitalter des Fernsehens, im Zeitalter der Atombombe werden diese Fragen noch viel drängender, vielleicht sogar viel verzweifelter.

Dieser Wahnsinn, den die Feldpostkarten aus dem Album der Familie Althen wahrnimmt. Heldenlohn, Weltkriegsblumensprache, Lorbeer und Eiche und dann die junge Frau – verheißungsvoll fast wie heute die Huris im Paradies für die Selbstmordattentäter aus anderen Religionen.

Die traute Heimat, geschmückt mit dem Eisernen Kreuz oder die Fahne, „die vor uns herzieht“.

Kirchen in Trümmern

Sturmangriff der Infanterie, Soldaten, die damals 1914 noch den Helm mit dem Pickel darauf trugen. Nicht viel später endete das in den Schlammlöchern vor Verdun, in den Schützengräben Flanderns im Stellungskrieg vor Arras oder Ypern. Da gab es dann die Bilder wie von der Kirche, von der nur Trümmer blieben.

Oder der Brief des Hauptmann Stephani, Kompaniechef von Heinrich Althen, der an den Pfarrer in Fischbach schrieb mit der Bitte, er möge doch der Familie Althen mitteilen, dass ihr Sohn Heinrich am 10. November 1915 in vorderer Stellung gefallen ist. „Er hat den Heldentod durch eine französische Mine gefunden“.

Heldentod

Er sei schmerzlos rasch dahingeschieden. Eine Formulierung, die in diesem Fall gestimmt haben dürfte. Denn in einem anderen Brief, den ein Wilhelm Kreßler an die Familie Althen schrieb stand zu lesen, dass es unmöglich gewesen sei, Heinrich seine Uhr und sein Geld abzunehmen, „da die Kleider ganz zerfetzt waren“. Es sei ihm verboten gewesen, nach Hause zu schreiben, wie Heinrich ausgesehen hat. „Aber ich muss das so schreiben, da ich es nicht anders kann.“ Und dann der Satz: „Hoffentlich geht‘s Ihnen noch gut, was auch bei uns der Fall ist.“

Und Feldwebel Karber war noch genauer: Heinrich Althen ist um 8 Uhr vormittags im Schützengraben im Kampf für das Vaterland von einer Schleudermine getroffen und war auf der Stelle tot.

Brief vom Hauptmann

Wie gesagt, Wilhelm Renner hat diese Unterlagen gesammelt. Als aktives Mitglied des Bundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge hat ihn dieses Fischbacher Schicksal des Onkels natürlich besonders bewegt und er hat innerhalb des Bundes viele Friedhöfe besucht auch die in Stalingrad. Vom Grab Heinrich Althens gibt es leider nur ein zu schwaches Bild. Das Grab befindet sich auf dem Kriegsgräberfriedhof von Neuvireul, wie Feldwebel Karber an die Familie Althen schrieb. Und von einem Kompaniekameraden kam ein Brief. In ihm wird das kleine Dorf Neuvireul beschrieben, vor allem aber: Alle Gräber sowie das Eures lieben Heinrich sind in guter Ordnung. Ich habe Euch einen kleinen Zweig Buchsbaum beigelegt, wo sein Grab eingefasst ist.

Als ihn die Mine traf, war er gerade mal 21 Jahre alt.

Eines dieser Kelkheimer Schicksale aus dem Ersten Weltkrieg, gefolgt von den Toten im letzten Weltkrieg – aus beiden Kriegen befinden sich die Namen auf den Ehrenmälern, in vielen Fällen Namen, die auch heute noch einen guten Klang in Kelkheim haben. Der Blutzoll, den im Grunde genommen alle Familien hier wie drüben auf der Insel oder in Frankreich oder in den vielen anderen Ländern letztlich für nichts bezahlt haben.

Im Westen nichts Neues

Wenden wir uns jetzt dem Buchtitel oben auf der Seite zu. „Alles ruhig an der Westfront, an der westlichen Front?“ Abgeleitet von Remarques „Im Westen nichts Neues?“

Es ist das Buch einer Engländerin, die sich intensiv mit den Vorkriegsverbindungen zwischen Kelkheim und England, Cumberland, den Lake District, beschäftigte, mit den Ferienreisen. Daher die Verbindung zu Kelkheim, auch wenn sich das eigentliche Geschehen um sechs junge Engländer dreht, die vor dem Krieg in Flandern wanderten, um dort nicht viel später als Sanitäter entweder zu verrecken oder maßlos zu leiden. Rosamund Ridley hat in unendlicher Kleinarbeit Fakten zusammengetragen. Dinge, die heute unverständlich sind und doch immer wiederkehren: Krieg.

Wanderer in Europa

Es beginnt mit sechs jungen Leuten, vier Männer und zwei Mädchen, die zu einer englischen Jugendbewegung gehörten, Nomaden. Wanderer, die vor dem Ersten Weltkrieg in Europa unterwegs waren, auch zwischen dem blühenden Mohn und den blauen Kornblumen in Flandern wanderten. Für die Männer das Schicksal, in den Strudel des Krieges gezogen zu werden. Einer ist in Flanderns Schlammfeldern vermisst, eine anderer wurde dort schwer verwundet. Beide waren in einer Sanitätseinheit im Einsatz, um Verletzte – Engländer und Deutsche – zu bergen.

Und es war vor einiger Zeit, dass ein Brief aus Cumbria (Nordengland) im Rathaus landete, auf den man sich zunächst keinen Vers machen konnte. Da war die Rede vom Austausch junger Leute aus England und aus Deutschland. Aber das wäre nicht so überraschend gewesen – Kelkheim verbindet seit Jahrzehnten eine Städtepartnerschaft mit High Wycombe – wenn dieser Austausch nicht in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg stattgefunden hätte. Und wenn nicht die Rede vom Hotel Taunusblick gewesen wäre. Es war Rosamund Ridley, die sich wissenschaftlich mit diesem Thema beschäftigte. Die jungen Nomaden, die Wanderer in Flandern, und die jungen Leute, die damals nach Kelkheim kamen, gehörten der Touristengesellschaft Cooperative Holidays Associatin an, die im längst verschwundenen Hotel Taunusblick in Kelkheim ihr Hauptquartier hatte. Für einen war das nicht neu: Für Stadtarchivar Dietrich Kleipa. Ein Anruf bei ihm - und es sprudelte es sofort heraus: „Darüber haben wir doch in dem Buch ‚Kelkheim wie es damals war‘ berichtet. Mit Bildern auf Seite 14.“

Rosamund Ripley grub tiefer, um mehr über die kooperative Feriengesellschaft zu ergründen. Nicht nur Kelkheims Bürgermeister Philipp Kremer war dabei, auch Frankfurts Oberbürgermeister Adickes war mit von der Partie, wie auch der Landrat des Hochtaunus-Kreises von Ernst Ritter von Marx. Eine Unmenge Professoren der Frankfurter Universität – und das zu einer Zeit, da die ersten Wolken eines Krieges am Horizont heraufzogen.

Sektsteuer, Rattengift

England rüstete seine Flotte auf, Kaiser Wilhelm führte die Sektsteuer ein, um seine Flotte zu finanzieren und vor dem englischen Parlament tönte bereits ein Lyloyd George von deutschen Kindern, die barfuß durch die Straßen streifen, verglich Schwarzbrot mit Rattengift, allerdings noch sicherer, und dass Deutsche Pferde aßen, nein nicht nur das, sondern auch Hunde. Und die Deutschen lebten in Kaninchenställen. Voller Bitterkeit zählt Rosamund Ridley dies alles auf, zeigt, wie sich beide Länder in den Strudel des Krieges manövrierten. Und genauso bitter ihre Recherchen darüber, wie junge Männer in England behandelt wurden, die nicht in diesen kriegslüsternen Rahmen der damaligen Zeit passen, bis hin zu den Urteilen, die viele in die englischen Gefängnisse brachten, bis hin in das finstere und berüchtigte Dartmoor. Nein, sie hat nicht die Augen verschlossen vor den Dingen, die sich in England ereignete, erwähnt die Konzentrationslager in Südafrika, die Toten des Luftkrieges Jahrzehnte später.

Ähnliches in diesen Wochen?

Und Kelkheim im Mittelpunkt der Verständigung zwischen den Völkern mithilfe der Friedensgesellschaft, das alles in einer Zeit, da es unendliche viele Verbindungen zwischen den beiden Ländern gab, nicht nur diejenigen, die einen gesellschaftlichen Hintergrund hatten, die Geschäfte blühten zwischen beiden Ländern. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es auch einen Austausch von Schülern, das Hauptgewicht lag jedoch - wie aus dem Brief aus England hervorgeht - auf den Besuchern Heranwachsender, die vor allem aus dem Norden Englands kamen. Die Idee auf deutscher und englischer Seite: Die Sprache der anderen lernen, Aufenthalt in Gastfamilien, die Förderung internationaler Freundschaften. Also genau die gleichen Themen wie heute. Und auch der Bürgermeister stand zur Begrüßung der ausländischen Gäste bereit. Rosamund Ridleys Buch ist in der Flut der Bücher über den Ersten Weltkrieg mehr als lesenswert. Und man sollte dies alles nicht achselzuckend zur Seite legen. Ereignet sich in diesen Wochen nicht Ähnliches?

Eingangs stellten wir uns die Frage, ob Heinrich Althen damals vor dem Ersten Weltkrieg nicht dem einen oder anderen englischen Wanderer begegnet ist, der über Eppenhain, Eppstein bis nach Bad Homburg wanderte. Genau so schlimm die Vorstellung, dass er an der Somme, in Flandern genau den Engländern gegenüber lag, von denen in dem Buch die Rede ist. Und die Briefe, die damals in England bei den Familien ankamen, hatten ähnliche Formulierungen, wie die in Deutschland oder in Frankreich, in Italien, Australien, Neuseeland oder später auch in Amerika.

Heldenlohn – die Huris im Paradies? Oder die Belohnung für junge Engländer, die – es gab zunächst keine Wehrpflicht in England – nicht die Waffe in die Hand nehmen wollten und nach dem Kriege deshalb keine Anstellung mehr bekamen?

Herzlichkeit

Kelkheim – High Wycombe: Die Verbindung ist nach wie vor vorhanden, genauso herzlich wie 1976, als die ersten Kelkheimer „Nomaden“ nach England kamen.

Dass der Austausch nicht mehr so sprudelt wie 1985 beispielsweise – kein Problem. Heute trifft man sich in der ganzen Welt in Sternehotels, an Badestränden, auf Kreuzfahrten und bei Exkursionen sonstwo – regt sich über Sitten und Gebräuche des anderen auf und trinkt trotzdem das Bier miteinander. Aber gar kein Zweifel: Wir hatten in den Jahren Gelegenheit, hinter den Zaun des anderen zu schauen. Und stellten fest: Im Grunde genommen wird man hier wie dort von den gleichen Sorgen geplagt, schimpft auf die Politiker, auf die hohen Preise und dass man natürlich alles viel besser macht, als „die da oben“.

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