Ausstellung im Rathaus: Nationalsozialismus in Kelkheim Erinnern für die Zukunft

Das Foto aus dem Stadtarchiv zeigt den damaligen Kelkheimer Bürgermeister Willi Graf, der seit 1938 die Stadtgeschicke leitete – voll auf Linie.Foto: Stadtarchiv

Kelkheim (ju) – Im Rathaus von Kelkheim ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die unter die Haut geht. Sie erzählt von einer dunklen Zeit – der NS-Zeit – und davon, wie sie auch in unserer Stadt Spuren hinterlassen hat. Es sind keine abstrakten Geschichtsbücher, sondern ganz persönliche Geschichten, Fundstücke und Schicksale, die hier sichtbar gemacht werden.

Initiiert wurde das Projekt von ehemaligen Schülerinnen und Schülern der Eichendorffschule. Sie haben nicht weggeschaut, sondern sich gefragt: Was ist damals bei uns passiert? Wer waren die Menschen, die Opfer wurden – und wer waren die, die mitgemacht oder geschwiegen haben? Mit dieser Haltung haben sie sich auf Spurensuche gemacht.

Geschichte zum Anfassen – mitten aus Kelkheim

Die Ausstellung zeigt, wie sehr das NS-Regime auch das Leben in Kelkheim geprägt hat. In enger Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv durften die Jugendlichen mit Originaldokumenten arbeiten – Briefe, Fotos, Zeitungsartikel, manchmal handschriftliche Notizen, die Geschichten von Mut, Angst, Mitläufertum und Widerstand erzählen.

In klar strukturierten Texten, mit historischen Quellen und einfallsreichen Grafiken erzählen die insgesamt 5 Plakate (Roll-ups) von kirchlichem Widerstand, von jüdischer Zwangsarbeit, vom Schulalltag im Nationalsozialismus – und damit von einer Zeit, die wir inzwischen verdrängt oder vergessen haben, die aber auch in Kelkheim ihre Spuren hinterlassen hat.

„Es war bewegend zu sehen, was sich direkt hier vor unserer Haustür abgespielt hat“, sagt Charlotte, eine der Projektteilnehmerinnen. Auch Tobias, der bei Julian Wirth im Stadtarchiv ein Praktikum absolvierte und inzwischen Geschichte studiert, blickt beeindruckt zurück: „Ich hätte nie gedacht, dass unser Stadtarchiv so reich an Quellen ist. Diese Arbeit hat mein Verständnis von Geschichte verändert.“

Wenn Schule mehr ist als Unterricht

Die Eichendorffschule ist seit Jahren ein Ort, an dem Erinnerungskultur gelebt wird. Dieses Projekt reiht sich in eine lange Tradition von Bildungsarbeit ein, die weit über den Lehrplan hinausgeht. Dass sich junge Menschen auch nach ihrem Abschluss weiterhin engagieren, zeigt: Das, was sie hier gelernt haben, hat sie geprägt.

Die enge Zusammenarbeit mit Stadtarchivar Julian Wirth hat dabei eine besondere Rolle gespielt. Er öffnete nicht nur die Türen des Archivs, sondern auch Wege zu einem persönlichen Zugang zur Geschichte. Die Jugendlichen durften selbst forschen, Fragen stellen und Zusammenhänge entdecken.

Ein Zeichen setzen – für Menschlichkeit und gegen das Vergessen

Bürgermeister Albrecht Kündiger zeigte sich bei der Eröffnung tief bewegt. Er erinnerte daran, dass es in seiner Schulzeit noch viele Zeitzeugen gab – heute müssen wir andere Wege finden, um Erinnerung lebendig zu halten. „Damals waren es nicht nur fanatische Täter – es waren auch viele ganz normale Menschen, die weggesehen oder mitgemacht haben. Daran müssen wir erinnern, gerade heute“, sagte er.

Die Stadt möchte mit der Ausstellung ein klares Signal senden: Erinnerung ist kein abgeschlossenes Kapitel – sie ist Teil unserer Gegenwart und Zukunft. Stadtverordneter Struwe brachte sogar die Idee einer Wanderausstellung ins Spiel, damit auch andere Orte im Kreis von dieser wichtigen Arbeit profitieren können.

Was bleibt?

Diese Ausstellung ist mehr als eine schulische Leistung – sie ist ein berührendes Zeichen für Haltung, Mitgefühl und Zivilcourage. Sie zeigt, wie junge Menschen Verantwortung übernehmen und wie wichtig es ist, nicht zu vergessen.

Sie ist eine Einladung an uns alle: hinzusehen, nachzufragen, zu erinnern. Und dafür zu sorgen, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Die Ausstellung ist noch bis zum 8. Juni zu den Öffnungszeiten des Rathauses zu besichtigen.

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