„Wir brauchen eine systemische Veränderung in der Katholischen Kirche.“

Pfarrer Klaus Waldeck bei der Ostermesse. Er plädiert dafür, dass sich die Katholische Kirche mehr mit humanwissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandersetzt und es so zu einem Wandel der Kirche kommt. Foto: St. Franziskus Kelkheim

„Die Blickrichtung auf den sexuellen Kindesmissbrauch sollte immer aus der Perspektive der Kinder und der Betroffenen erfolgen. Unser Handeln sollten wir daran ausrichten. Wir alle tragen die Verantwortung dafür, dass nicht noch mehr Kinderseelen ertrinken müssen.“ Martin Schmitz (Betroffener)

Die Katholische Kirche hat schon seit Jahren einen schweren Stand und kämpft mit Austritten. Derzeit gibt es in Deutschland 22,2 Millionen Katholiken – Tendenz fallend. Allein in den Jahren 2010-2020 kehrten über 2 Millionen Menschen der Katholischen Kirche den Rücken. Häufig ausschlaggebend: die immer wieder öffentlich werdenden Missbrauchsfälle. In dem Zusammenhang gab es auch immer wieder Gutachten zu sexuellem Missbrauch in der Kirche – doch das Münchner Gutachten (Anfang des Jahres veröffentlicht) schlägt besonders hohe Wellen. Im Mittelpunkt auch die Aussagen des eremitierten Papstes Benedikt XVI.

Katholische Kirche in Kelkheim

Der Kelkheimer Pfarrer Klaus Waldeck (Pfarrgemeinde St. Frankziskus) beobachtet die derzeitigen Entwicklungen sehr kritisch.Gerade die Kausa Benedikt bereitet ihm Unbehagen. Dieser hatte nach Veröffentlichung des Gutachtens immer wieder betont, an einer Sitzung im Jahr 1980 nicht teilgenommen zu haben, in der beschlossen wurde, dass ein Priester, der im Bistum Essen Jungen missbraucht hatte, nach Bayern versetzt werden sollte. Ein Protokoll über die Sitzung sagt etwas anderes. „Er hat eindeutig gelogen und ich denke, er sollte sich unbedingt entschuldigen, das erwarten die Menschen von ihm. Ich kann aber nicht beurteilen, ob er dazu noch in der Lage ist“, so Waldeck.

Für ihn steht fest, dass es ein systemisches Versagen der Kirche war, die diese Fälle möglich gemacht und häufig für die Opfer unerträglich verlängert hat. „Das Schlimme ist, dass die Gemeinden nicht informiert wurden. Man hätte den Täter aus dem Verkehr ziehen können.“ So aber wurde vertuscht, versetzt, weggesehen.

In vielen Diskussionen zu diesem Komplex taucht auch immer wieder das Zölibat auf. Glaubt Pfarrer Waldeck, dass das etwas mit den Missbrauchsfällen zu tun hat? „In erster Linie findet sexueller Missbrauch, wenn er stattfindet, in Familien statt.“ Ob das Zölibat in der Katholischen Kirche etwas damit zu tun hat, mag er nicht beurteilen, „aber ich denke, wir als Kirche wären glaubwürdiger, wenn es nicht verpflichtend ist.“ Schaut man sich die nackten Zahlen aus der MHG-Studie (siehe Kasten) an, fällt auf jeden Fall eines auf: Von den 3.677 Kindern und Jugendlichen die als Opfer sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche dokumentiert wurden, waren 62,8 Prozent männlich.

Homosexualität

Dass die Katholische Kirche ein Problem mit Homosexualität hat, ist nichts Neues. Doch da hält es Klaus Waldeck wie sein Bischof Georg Bätzig.
„Wir brauchen eine Neubewertung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und eine Weiterentwicklung der kirchlichen Sexualmoral. Moraltheologische Dinge sollten neu bewertet werden.“ Dies relativiere nicht die Bedeutung der Ehe von Mann und Frau. „Aber um den besonderen Wert der Ehe herauszustellen, müssen nicht andere Formen von partnerschaftlichen Lebensgemeinschaften abgewertet werden“, betonte auch Bätzig. Veränderung habe schon immer zum Wesen der Kirche gehört, so sieht es auch Waldeck und stimmt der Aussage des Bischofs bei. Für ihn steht fest, dass der Synodale Weg weitergehe und auch zu Beschlüssen kommen werde. Der Synodale Weg ist ein Gesprächsformat für eine strukturierte Debatte innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. Er soll der Aufarbeitung von Fragen dienen, die sich im Herbst 2018 nach der Veröffentlichung der MHG-Studie über sexuellen Missbrauch in der Kirche ergeben haben. „Wir brauchen eine systemische Veränderung in der katholischen Kirche“, ist sich Klaus Waldeck sicher.

Veränderungen

Wie die aussehen könnten, fassen einige Grundsatzpapiere des Synodalen Wegs zusammen. Da geht es in erster Linie um eine neue Ordnung der Machtstrukturen – eine Gewaltenteilung auf allen Ebenen, mehr Mitsprache der Basis bei der Berufung von Amtsträgern und eine Zulassung von Frauen zu Weiheämtern. Ämter dürften nur auf Zeit vergeben werden. Das alles sei „kein Manöver zeitgeistiger Anpassung“, sondern Folge des Missbrauchsskandals. Außerdem wäre es sinnvoll, neue Akzente der Wahrnehmung von Sexualität und Beziehungen zu setzen. Auch wichtig: Die Haltungen und Vorgehensweisen in den einzelnen Diözesen aufbrechen, Einheitlichkeit schaffen. Denn bisher gab es große Unterschiede zwischen den einzelnen Diözesen. Jede tat das, was sie für richtig hielt. Hier die Empfehlung: Schaffung einer „einheitlichen, koordinierten, authentischen und proaktiven Strategie“ und ein „der Problematik angemessener, langfristig wirkender Maßnahmenkatalog“.

Doch nicht nur der Synodale Weg sucht nach Lösungen, auch die etwas umstrittene MHG-Studie machte Lösungsvorschläge und gab Anregungen, sexuellem Missbrauch vorzubeugen. Darunter Dinge, die eigentlich von Anfang an hätten selbstverständlich sein sollen wie zum Beispiel, dass Missbrauchsbeschuldigungen „verbindlich, einheitlich, transparent und standardisiert“ dokumentiert werden. Bei Versetzungen in eine andere Diözese müssen Angaben zu Missbrauchsvorwürfen in die neue Personalakte übertragen werden. Dazu kommen weitere Punkte:

• Aus- und Weiterbildung von Priestern – Empfehlungen: Stärkere Überprüfung der Eignung zum Priesterberuf im Blick auf das Problem des sexuellen Missbrauchs – nicht nur bei der Auswahl der Kandidaten, sondern auch während der Ausbildung und Fortbildung. Orientierung an modernen psychologischen und sexualwissenschaftlichen Erkenntnissen. Einbindung externer Experten. Lebenslange, kontinuierliche Supervision der Priester.

• Katholische Sexualmoral: Homosexualität sei kein Risikofaktor für sexuellen Missbrauch. Empfehlung: Die Kirche solle „dringend“ ihre Weigerung überdenken, homosexuelle Männer als Priester zu akzeptieren. Eine Atmosphäre der Offenheit und Toleranz sei nötig.

• Präventionskonzepte – Empfehlungen: Ausbau, Verbesserung und Vereinheitlichung. Ausrichtung auf die besonderen Bedingungen in der Kirche. Einbindung externer Experten.

Bleibt zu hoffen, dass auch der Vatikan die Zeichen der Zeit erkannt hat, denn ohne seine Zustimmung haben auch die heeresten Ziele keine Chance. Pfarrer Waldeck: „Es ist eine erhebliche Belastung für die Kirche insgesamt. Da muss was passieren.“

Die MHG-Studie

Die MHG-Studie war ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zum Thema Sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, das in den Jahren 2014 bis 2018 von einem Forschungsverbund aus Experten mehrerer universitärer Institute durchgeführt wurde. Das Kürzel „MHG“ steht für „Mannheim, Heidelberg, Gießen“, die Institutsstandorte der beteiligten Wissenschaftler. Die Forscher sollten Erkenntnisse über die Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs gewinnen, aber auch Merkmale der Missbrauchstaten sowie der Beschuldigten und der Opfer herausarbeiten und schließlich Strukturen in der katholischen Kirche erkennen, die Missbrauch begünstigen.



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