Die grausame Banalität des Bösen Kelkheimer Fotograf Olaf Jahnke auf den Spuren der RAF

Olaf Jahnke beim Anbringen seiner Fotografien in der Galerie kuk. Foto: Olaf Jahnke

Vorwort:
Olaf Jahnke lebt und arbeitet als Fotograf in Kelkheim. Vielen ist er bekannt durch seine Fotostrecken in den sozialen Medien wie Facebook oder Instagram.

Sein neuestes Projekt brachte ihn an Orte, die harmlos erscheinen, aber die die blutige Geschichte einer Terrororganisation erzählen, die die BRD und ihre Sicherheitskräfte von 1970 bis 1993 in Atem hielt – die RAF. Denn was Viele nicht wissen: Die Terroristen um Andreas Baader suchten sich sehr schnell Frankfurt als Hauptquartier und planten hier ihre zum Teil auch tödlichen Anschläge. Neben einer Fotoausstellung gibt es auch ein Buch, das Olaf Jahnke herausgebracht hat.

Man kann es über seine Webseite beziehen, wo es auch eine Leseprobe gibt.

KEZ:
Sie sind Jahrgang ‘63. Was verbindet Sie/was verbinden Sie mit der RAF?

Olaf Jahnke:
Ihre Frage nach dem Jahrgang impliziert nach meinem Gefühl, dass die RAF hauptsächlich in den 70er Jahren aktiv war und Jüngere somit kaum etwas von dieser Zeit wahrgenommen haben können. Aber das Buch umspannt den Zeitraum 1968-1993, es rückt also zeitlich näher, als viele Menschen noch wissen.

Bei mir drängen in der Erinnerung mehrere Sachen bzw. Situationen nach vorne. Sehr typisch war die enorme Anzahl von Straßensperren, die immer mit einer großen Anzahl von schwerbewaffneten Polizisten in den Großstädten an den Hauptverkehrsadern durchgeführt wurden. Ich war ungefähr 13 Jahre alt, bei einem Besuch in Berlin steckte ich mit meinen Großeltern in so einer Kontrolle. Die Maschinenpistolen wirkten schon sehr bedrohlich, so nah am Auto. Das andere sind natürlich viele Bilder, ob im Fernsehen oder die Fahndungsplakate, die damals tatsächlich allgegenwärtig in den Städten hingen. So etwas gibt es heute gar nicht mehr.

KEZ:
Idee/Vorbereitung/Umsetzung – Wie lange haben Sie dafür gebraucht?

Olaf Jahnke:
Auslöser für die Idee zum Konzept war die Vielzahl der Dokumentarfilme im letzten Jahr, die speziell in den Dritten Programmen zu den 68ern und den 70er Jahren liefen. Das Material dort wiederholt sich häufig, man sieht auch mehr Bilder aus Berlin oder einfach große Demos bzw. bei der RAF die Anschlagsorte oder Stammheim. Dadurch entsteht ein räumlicher Abstand, den es zumindest hier im Rhein-Main-Gebiet so nicht gegeben hat. Zuerst habe ich geschaut, wie viele Orte in Rhein-Main zum Thema passen, relativ schnell habe ich rund 20 gefunden. Da war klar, es würde gut in ein Konzept serieller Fotografie passen.

Bevor ich zu den Aufnahmen gekommen bin, habe ich drei Monate recherchiert. Zu dem Zeitpunkt umfasste die Liste knapp rund 30 Orte; das Ziel war, 30-40 Orte abzubilden und mit ein, zwei Sätzen sachlich zu beschreiben, was dort damals stattfand. Insgesamt habe ich von Juli 2020 bis März 2021 daran gearbeitet, also rund 10 Monate. Im April habe ich die Bilder als Drucke umgesetzt.

KEZ:
Das Buch war so gar nicht geplant. Warum wurde es aufgelegt?

Olaf Jahnke:
Eigentlich ging es nur um die Bilder, es ist ein Kunstprojekt, das mit einem Projektstipendium der Hessischen Kulturstiftung unterstützt wurde. Aber für die Ausstellung sollte es ein wenig Text geben. Zuerst dachte ich nur an wenige Blätter Papier. Mein Galerist schlug vor, einen Katalog zur Ausstellung anzufertigen. Jeder der schlussendlich 36 Orte plus zwei bis vier Zeilen Text. Es fiel mir aber schwer, die damaligen Geschehnisse an diesen Orten auf so wenig Text zu reduzieren, da wäre viel unverständlich gewesen oder eben auch spannende Information nicht transportiert worden.

Auf einmal hat sich da etwas verselbstständigt; die Ära, bei aller Brutalität, hat natürlich auch eine hohe Dramatik, die die Anspannung auf allen Seiten zeigt.

KEZ:
Für die Begleittexte zu den Bildern bedurfte es einer umfangreichen Recherche: Sind Sie immer offene Türen „eingerannt“ oder gibt es auch heute noch „Geheimnisse“?

Olaf Jahnke:
Es gibt sehr viele Geheimnisse, und die Türen waren eher verschlossen als offen. Das Frankfurter Polizeipräsidium findet das Thema toll, hat mich aber an das Bundeskriminalamt verwiesen, da das BKA natürlich federführend war. Das BKA hatte die Informationen, die ich suchte, gab sie aber nicht heraus. Das Hessische Staatsarchiv hatte mir angeboten, die Frist für den Geheimschutz, der auf einigen Adressen liegt, auf meinen Antrag hin eventuell entsprechend zu verkürzen, falls dem stattgegeben werden würde, aber diese Formulare habe ich mir erspart. Einzig das Frankfurter Stadtarchiv nannte mir eine Reihe von Adressen, die ich allerdings schon alle kannte.

KEZ:
Welche Gefühle begleiteten Sie an den Orten, an denen Menschen gestorben sind, z.B. an der Villa von Jürgen Ponto in Oberursel?

Olaf Jahnke:
Der Mord an Ponto ist eine dieser vollkommen perfiden Taten, besonders durch die brutal ausgenutzte Freundschaft mit der Familie Albrecht. Beim Gedanken an diese Situation empfinde ich Unwohlsein, um es dezent auszudrücken. Ich weiß, wie solche Tatorte aussehen, in meiner Anfangszeit als Fotograf und Kameraassistent hatte ich eine Reihe von sogenannten Blaulichteinsätzen, auf manche hätte ich gerne verzichtet.

Es ist ja auch das ursprüngliche Thema dieser Fotoserie: Die emotionale Aufladung von Orten, wenn man weiß, was dort passiert ist. Die Orte der RAF stehen eigentlich nur stellvertretend für viele Orte. Jetzt hat sich das aber verselbstständigt, weil das Interesse der Leute an der RAF überraschend hoch ist – viel höher, als ich gedacht hatte.

KEZ:
Noch heute sind vermutlich drei Terroristen (Ernst Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg, vermutlich verantwortlich für den Bombenanschlag auf die JVA Weiterstadt 1993) flüchtig und fallen durch Banküberfälle auf. Beschäftigt Sie das?

Olaf Jahnke:
Zuerst hatte mich überrascht, wie jung diese sogenannten RAF-Rentner sind, einer ist jünger als ich, von Rente also noch keine Spur. Aber einige Attentate sind noch überhaupt nicht aufgeklärt. Der Mord an Alfred Herrhausen in Bad Homburg, es gibt kaum eine Spur, Verdächtige wurden verhaftet, aber es kam zu keiner Anklage. Dieses Attentat hatte auch eine deutlich höhere technische Komplexität als andere Anschläge, diese Technik verweist in die DDR oder nach Beirut. Es wird RAF-Mitglieder gegeben haben, von denen wir noch nie etwas gehört haben.

Insofern beschäftigt mich das Thema noch weiter, es entstehen auch neue Kontakte. Ein pensionierter Kriminalbeamter hat sich gemeldet, in seinen Armen verblutete der amerikanische Offizier beim Anschlag am IG-Farben-Haus. Ein ehemaliger deutscher Wehrpflichtiger, der bei den Amerikanern genau zu dem Zeitpunkt Dienst hatte, als diese Bombe explodierte, zu seinem Glück auf der anderen Seite des Gebäudes.

KEZ:
Eigentlich war eine Ausstellung geplant. Corona machte einen Strich durch die Rechnung. Ihre Bilder harren derzeit in der Galerie kuk in Frankfurt aus. Gibt es einen Plan B?

Olaf Jahnke:
Die Ausstellung wurde bisher zwei Mal verschoben, der aktuelle Termin Ende Mai wird wahrscheinlich auch nicht zu halten sein, aber dann starten wir eben später. Das Interesse ist wirklich hoch, viele Leute erinnern sich an diese Zeit, die Thematik wurde speziell mit Blick auf die eigene Umgebung hier in Rhein-Main so noch nie aufgegriffen.

Weitere Artikelbilder

14. Mai 2021
Sigrid Stieler

Habe lange an diese Zeit nicht gedacht - ausgelöst durch das Buch kamen etliche Erinnerungen, z.B.
Als Alfred Herrhausen am 30.11.68 ermordet wurde, war ich im Thermalbad in Bad Homburg, die Polizei hatte gerade notdürftig die Straße aufgeräumt......
Und viele andere Bilder tauchten wieder im Gedächtnis auf..... eine Reise in die Vergangenheit....sehr interessant das mal aus heutiger Sicht anzuschauen.



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