„Wir hätten gewarnt sein können“ – Interview mit Außen- und Bundespolitiker Jürgen Hardt

Jürgen Hardt sitzt als außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU im Deutschen Bundestag. Foto: Tobias Koch

Der Außenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, der in Ruppersthain seine Kindheit verbrachte, gab dem „Ruppertshainer Echo“ ein Interview. Die Fragen stellte der Vorsitzender des Vereins „Stimme für Ruppersthain“ Thomas Zellhofer. Wir veröffentlichen dieses Interview wegen des Umfangs in Auszügen. Die komplette Version kann unter: info[at]stimme-fuer-ruppertshain[dot]de abgerufen werden.

Sie sind in Ruppertshain aufgewachsen. Erinnern Sie sich noch an die Zeit hier?

Meine ganze Kindheit habe ich in Ruppertshain verbracht. Wir haben erst im Schulhaus und dann neben der Metzgerei Neuhaus in der „Langstraße“, heute Robert-Koch-Straße, gewohnt. Die besten Erinnerungen habe ich an die Zeit in der Jugendfeuerwehr, wir haben viel Spaß gehabt und auch manchen Brand im Wiesengrund gelöscht. Meine Eltern waren immer begeistert vom prächtigen Ausblick auf die „Millionenstadt“ in der Rhein-Main-Ebene vor uns. Bei gutem Wetter kann man sogar den Melibokus an der Bergstraße sehen. Wir sind dann Mitte der 70er Jahre nach Eppstein gezogen. Meine Mutter blieb aber zunächst Lehrerin an der Grundschule in Ruppertshain.

Was hat Sie in die Politik geführt?

In der Oberstufe in der Taunusschule Königstein war mein Leistungskurs „Gemeinschaftskunde“. Dort ging es um Politik und Geschichte. Zu dieser Zeit hatte die Friedensbewegung ihren Höhepunkt. Ich habe aber nicht verstanden, warum die meisten meiner Schulkameraden mehr Angst vor den noch nicht vorhandenen amerikanischen Atomraketen hatten als vor den höchst realen SS-20-Raketen auf sowjetischer Seite. Ich habe mich damals für die CDU engagiert und bis heute diesen Schritt nicht bereut. Nun gehöre ich seit zwölf Jahren der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag an.

Sie sind Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU im Deutschen Bundestag. Was bedeutet das in dieser schwierigen Zeit?

Die Vorstellung, dass doch eigentlich alle Menschen auf der Welt sich lieber im Dialog verständigen wollen als gegeneinander zu kämpfen, ist leider ein Wunschbild, insbesondere in Bezug auf Staatschefs und Diktatoren. Diese bittere Erfahrung bringt eine intensive Beschäftigung mit der Außenpolitik mit sich. Insgesamt hat die Zahl der internationalen Spannungen und Konflikte zugenommen. Außenpolitik ist deshalb ein extrem wichtiges Arbeitsfeld.

Auch im Blick auf Putin habe ich es nicht für möglich gehalten, dass er zu Terror mit Bomben und Raketen greift, um ein Land wie die Ukraine unter seine Kontrolle zu bringen. Doch wir hätten gewarnt sein können: All das, was er jetzt in der Ukraine tut, haben russische Soldaten an der Seite Assads auch bereits in Syrien getan inklusive der Belagerung großer Städte. Doch wir wollten vor der schrecklichen Erkenntnis, dass der Frieden in Europa wieder ernsthaft gefährdet ist, die Augen verschließen. Nun müssen wir umso konsequenter handeln, damit Putin nicht gewinnt. Wenn er mit dem Überfall auf die Ukraine Erfolg hat, wird er weitergehen wollen.

Sind Sie als Außenpolitiker viel unterwegs?

Zur Außenpolitik gehört auch der direkte Austausch mit Kolleginnen und Kollegen in anderen Parlamenten und mit fremden Regierungen. Corona hat auch meine Reisetätigkeit stark eingeschränkt. Doch immer wieder blicke ich bei Abflug oder Ankunft in Frankfurt aus dem Flieger aus dem Fenster auf die Dörfer im Vordertaunus und sehe Feldberg, Altkönig und Atzelberg. Interessant ist, dass man manchmal sehr schnell erkennt, wo man sich befindet, wenn man aus einem Flugzeugfenster schaut. Die Welt liegt wie eine Landkarte unter uns.

Sind Sie auch mit der früheren Bundeskanzlerin unterwegs gewesen?

Kurz nach meinem Amtsantritt als Außenpolitischer Sprecher habe ich sie nach China begleitet und auch gelegentlich zu Terminen zum Beispiel bei unseren Bundeswehrsoldaten im Ausland. Reisen mit der Kanzlerin waren immer extrem stressig. Unmittelbar nach der Landung, meist morgens um 7 Uhr, beginnt ein 15-Stunden-Programm, ohne Rücksicht auf Zeitverschiebung. Bei Gesprächen in Peking waren wir am Nachmittag alle ziemlich geschlaucht und sie hat bei einem Gespräch mit dem Präsidenten des chinesischen Volkskongresses die Gesprächsführung weitgehend uns begleitenden Abgeordneten überlassen. Bei anderen Terminen war es dann umgekehrt und wir haben tapfer die Augen offenhalten müssen.

Die angenehmsten Auslandsreisen hatte ich mit Bundespräsident Joachim Gauck in die USA und nach Kanada. Bei solchen Staatsbesuchen spielen nicht nur die Politik, sondern auch Kultur und Gesellschaft des besuchten Landes eine Rolle. Der Bundespräsident führt keine politischen Verhandlungen im engeren Sinne.

In Washington fuhr ich im Begleittross gemeinsam mit Peer Steinbrück mit „Blaulicht“ und ziemlicher Geschwindigkeit durch die gesperrte Innenstadt der US-Hauptstadt, sonst eher Stop-and-Go. Ich sagte zu Peer Steinbrück, dass ich das noch nie erlebt hätte. Seine Antwort: „Ich schon.“ Er war in Zeiten der Finanzkrise als Bundesfinanzminister oft in Washington.

Gibt es für Sie ein Motto in der Außenpolitik?

Die goldene Regel in der Außenpolitik sollte sein: Reden-Reden-Reden! Und dies idealerweise aus einer Position der Stärke heraus. Dies erhöht die Überzeugungskraft der eigenen Argumente …

Deshalb ist es für Deutschland klug, möglichst eng abgestimmt mit Partnern zu agieren. Eine deutsche Außenpolitik ohne Abstimmung mit Frankreich und anderen EU-Partnern ist wenig erfolgversprechend. Und man muss sich als verlässlich erweisen – Reden und Handeln müssen übereinstimmen. Ich glaube, das war eine große Stärke von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Was muss Deutschland sich für die Zukunft vornehmen?

Wir müssen den Mut haben, unseren Bürgerinnen und Bürgern zu erklären: Von Deutschland wird eine Führungsrolle in außen- und sicherheitspolitischen Fragen erwartet. Deutschland ist zu groß und zu wichtig, um sich unangenehm in den Hintergrund zu drängen. Ich glaube zum Beispiel, dass wir aus der Konsequenz des Überfalls Russlands auf die Ukraine zukünftig mehr deutsche Truppen in den NATO-Staaten Osteuropas stationieren müssen und auch insgesamt deutlich mehr Bundeswehr brauchen. Und wir müssen unsere Wirtschaft stärker auch im Sinne unserer Interessen einsetzen. Es macht einen Unterschied, ob unser Wirtschaftspartner ein freier und demokratischer Rechtsstaat ist oder eine Diktatur wie Russland oder China.

Am 17. März konnten wir den Videoauftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi vor dem Deutschen Bundestag verfolgen. Glauben Sie, dass Nord Stream 2 eine Waffe und Vorbereitung auf den großen Krieg war und dass wir jetzt die entsprechende Antwort bekommen?

Wir haben auch in der Russlandpolitik auf „Wandel durch Handel“ gesetzt. Russland verfügt über große Mengen Rohstoffe. Für die Entwicklung des Landes wäre es wichtig, Handelsgewinne für die Entwicklung von Staat und Gesellschaft sinnvoll einzusetzen. Ich bezweifele, dass wir Putin ohne diese Handelsbeziehungen wirksam daran gehindert hätten, seine aggressiven Pläne durchzusetzen. Aggressive, autoritäre Regime finden immer einen Weg, die Ressourcen des Landes in Richtung Militär umzuleiten. Nord Stream 2 war aber aus einem anderen Grund falsch: Das unter Kanzler Schröder eingeleitete isolierte deutsche Vorgehen in der Energiepolitik hat uns daran gehindert, eine gemeinsame europäische Energiestrategie zu entwickeln. Eine solche Strategie müsste auf eine breitere Vielzahl der Anbieter setzen. Wenn Deutschland sich hierauf eingelassen hätte, ständen wir jetzt besser da. Die Nord-Stream-2-Geschäfte Schröders haben den Argwohn unserer Partner in Europa geweckt, denn sie verbinden Deutschland direkt mit Russland unter Umgehung der europäischen Partner.

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