„Het Onderwater Cabaret“ – die wiederentdeckte lebendige Geschichte von Curt Bloch

Curt Blochs Tochter Simone war extra aus New York angereist und stellte sich den Fragen der interessierten Zuhörerschaft. Thilo von Debschitz hat vorher den Lebensweg Blochs nachgezeichnet, gespickt mit einigen amüsanten wie auch bitteren Anekdoten.Foto: J. Ulbricht

An meine deutschen Leser

Vielleicht kommen euch die Gedichte,

Die ich in eurer Sprache schrieb,

In spätren Zeiten zu Gesichte,

Und täten sie’s, wär mir’s recht lieb.

Und lest ihr sie, müsst ihr nicht denken,

Die sind nun nicht mehr aktuell,

Drum kann man sich das Lesen schenken,

Drum weg damit und möglichst schnell.

Denn amüsant ist die Lektüre

Für manche Leute sicher nicht.

Die sehn, man sitzt hier über ihre

Verfloss’ne Dummheit zu Gericht,

Die Dummheit der vergangnen Zeiten,

Denn die steht grausam hier zu Buch,

Die sie schwer büßten und bereuten

Für ihr Gefühl schon schwer genug.

So schwer, dass man vergessen möchte

Und ein Erinnern brächte Pein,

Drum scheint dies Buch euch eine schlechte

Aufgrabung alten Leids zu sein.

Ihr wähnt euch endgültig entflohen

Dem Schatten der Vergangenheit.

Und denkt nicht dran, dass euch bedrohen

Der gleiche Schmerz, das gleiche Leid.

Wenn man euch eure alten Fehler

Nun wiederum vergessen lässt,

Dann führt ein neuer Puppenspieler

Euch zu nem neuen Schlachtefest.

Denn ihr lasst euch so leicht umgarnen,

Wenn ihr vom Kriege seid erholt.

Und darum möchte ich euch warnen,

Dass man euch nicht nochmal verkohlt.

Zum zweiten Mal seid ihr versunken

Nun in genau dem gleichen Loch.

Und macht euch wieder wer betrunken,

verlasst euch drauf, geschieht es noch.

Im Gegensatz zu andern Dichtern,

Die euch in einen Rausch versetzt,

will ich euch gern vom Rausch entnüchtern,

Fühlt euch drum bitte nicht verletzt!

Und wirkt meine Gardinenpredigt,

Seht ihr die alten Fehler ein,

dann fühle ich mich reich entschädigt

Und wird mir’s ein Vergnügen sein.

Curt Bloch

Kelkheim (ju) – Die Aula der Eichendorffschule ist fast bis auf den letzten Platz belegt. Eine angenehme Anspannung liegt in der Luft, denn hier wird heute ein Stück Geschichte wiederentdeckt und geschrieben.

Das Unterwasser-Kabarett

Thilo von Debschitz, Referent des Abends, war neben dem Historiker Gerard Groeneveld und dem Team des Jüdischen Museums Berlin maßgeblich an der Wiederentdeckung und öffentlichen Präsentation des kreativen Nachlasses von Curt Bloch beteiligt. An diesem Abend wurde das von Bloch gefertigte Widerstandsmagazin „Het Onderwater Cabaret“ (Das Unterwasser-Kabarett), in Anspielung auf seine Situation als Untergetauchter („Onderduikern“), einer breiten, vorwiegend jugendlichen Zuhörerschaft präsentiert. Gleichzeitig war Blochs Tochter Simone aus New York angereist, um diesen großen Schritt zu begleiten und Fragen zum Leben und Schaffen ihres Vaters zu beantworten. Für sie ein sichtlich emotionaler Moment. Denn was ihr Vater in seinem Versteck im niederländischen Enschede geschaffen hat, gehört einer breiten Öffentlichkeit zugeführt, „gerade in Zeiten von wiedererstarkendem Rassismus, Antisemitismus und Hass“, wie Schulleiter Stefan Haid in seinen Eingangsworten mahnte.

Ein Jude in Deutschland

Die Zuhörer lernen Bloch durch Thilo von Debschitz kennen, der sie mitnimmt auf diese leidvolle Reise des Juden Curt Bloch, die in der Wiederentdeckung, Veröffentlichung und Ausstellung seiner Magazine ein versöhnliches Ende findet.

Bloch wird am 8. November 1908 in Dortmund geboren. Nach bestandenem Abitur beginnt er ein Studium der Rechtswissenschaft und besteht im Dezember 1930 seine Doktorprüfung. Er sieht sich am Beginn einer erfolgreichen juristischen Karriere, doch 1933 werden mit der Machtergreifung Hitlers alle seine Pläne zunichte gemacht. Als Jude muss er seinen Job aufgeben, darf nicht mehr arbeiten und flüchtet aus diesem Grund in die Niederlande – in der Hoffnung, hier sicher zu sein vor den Repressalien der Nazis. Als diese 1940 einmarschieren, sind die Juden auch hier nicht mehr sicher. Registrierungen, Entlassungen aus ihren Jobs, Erniedrigung durch das „J“ in ihrem Ausweis und ab 1942 das Tragen des Judensterns nehmen ihnen die Menschenrechte. Am 20. Juni 1942 ordnete Adolf Eichmann den Beginn der Deportationen aus den Niederlanden an. Bloch sieht nur noch einen Weg, um der Verfrachtung in ein Konzentrationslager zu entkommen – er taucht unter.

Mutter und Schwester sterben

Curt Blochs Mutter Paula und seine kleine Schwester Helene, die wegen der Repressalien gegen die Juden 1939 ebenfalls aus Dortmund in die Niederlande umgesiedelt waren, wurden im Mai 1943 festgenommen und ins Lager Westerbork interniert. Noch im selben Monat bringt man sie in Güterzügen in den Südosten Polens. Am 21. Mai 1943 werden die beiden im Konzentrationslager Sobibor ermordet – Paula Bloch im Alter von 60 Jahren, Helene im Alter von 19 Jahren. Bloch in seinem Versteck weiß bis dahin nur, dass seine Familie abgeholt wurde – wie es ihr erging, erfährt er erst nach Ende des Krieges.

Ein Magazin entsteht

Die Angst, die Einsamkeit, das Untätigsein machen Bloch das Leben im Versteck zur Qual. Um nicht vollends den Verstand zu verlieren und um eine Aufgabe zu haben, erschafft er „Het Onderwater Cabaret“.

Woche für Woche stellte er ein klein­formatiges Heft (Postkartengröße) mit hand­geschriebenen Gedichten in deutscher und nieder­ländischer Sprache zusammen. Das erste Heft erschien am 22. August 1943. Das Widerstandsmagazin setzte sich mit der Nazi-Propaganda auseinander und behandelte eine Viel­zahl von Themen: den Verlauf des Krieges, die Lügen und Verbrechen der National­sozialisten und ihrer Kollabo­rateure, seine Situation im Versteck und das Schicksal seiner Familie, den nahenden Unter­gang und das Schicksal des deutschen Volkes. Mit beißender Satire und sardonischem Witz machte sich Bloch über alle wichtigen faschistischen Führer lustig, von Hitler, Goebbels und Göring bis hin zu Mussolini, Stalin und Seyß-Inquart, dem Reichs­kommissar der Nieder­lande. Er war sich stets des Aus­maßes ihrer Gräuel­taten bewusst, was auch daran lag, dass ihn in seinem Versteck nicht nur nationalsozialistische Lektüre erreichte, sondern auch Zeitungen des niederländischen Widerstandes, die ein ganz anderes Bild zeichneten. Über 500 Gedichte schreibt Bloch in dieser Zeit, die Einzug in das Magazin finden und die auf der Veranstaltung in einer kleinen Auswahl von Schülern vorgetragen werden.

Die Magazine wurden von Mitversteckten und den Personen in seiner Hausgemeinschaft gelesen. Außerdem wurden sie über Kuriere in andere Häuser gebracht, in denen Juden versteckt waren. Rund 30 Leser hat das Magazin und findet nach ungefähr einer Woche immer wieder den Weg zurück zu Bloch. Er sehnt das Ende des Krieges herbei, was auch in den Texten deutlich wird. Ungeduld und das Wissen um das nahe Ende sprühen förmlich aus ihnen heraus. Am 3. April 1945 erscheint das letzte von insgesamt 96 Magazinen – Bloch ist frei. Die Überschrift dieser letzten Ausgabe lautet: „Überwasser-Finale des Unterwasser-Kabaretts“.

Drei Jahre bleibt Bloch noch in den Niederlanden, stark traumatisiert, depressiv. Hier lernt er seine Frau Ruth kennen, die das KZ Auschwitz überlebt hat, und steht vor der Entscheidung: Depression oder Heirat. Er entscheidet sich für Letzteres. 1948 emegrieren die beiden in die USA und werden in New York heimisch. Sein Werk nimmt er mit.

Wiederentdeckung

Nach Blochs Tod im Jahr 1975 blieben seine Magazine in seiner Familie weitgehend unbeachtet, bis seine Enkelin Lucy auf die Hefte stieß und sie näher untersuchte. Sie bemühte sich gemeinsam mit ihrer Mutter Simone, Blochs Tochter, um eine Förderung, um die Geschichte der Hefte und ihres kreativen Inhaltes weiter zu erforschen. In von Debschitz und Gerard Groeneveld fanden sie ihre Unterstützer. Die beiden recherchieren, Groeneveld publiziert ein Buch und Debschitz reaktiviert Kontakte mit dem jüdischen Museum und verständigt sich mit Simone Bloch darauf, eine dreisprachige, frei zugängliche Website mit sämtlichen Inhalten des „Onderwater Cabaret“ zu entwickeln. Träger der Website ist die Gemeinnützige Vereinigung der Rotary Clubs Wiesbaden e.V., und auch die Kelkheimer Rotarier waren und sind Unterstützer dieses Projektes.

www.curt-bloch.com

Diese Website ermöglicht nicht nur den vollen Zugriff auf Curt Blochs kreativen Nachlass aus dem Versteck, sondern erinnert auch an den Zweiten Weltkrieg und seine Opfer. Sie soll dazu dienen, Ereignisse in der Vergangenheit besser zu verstehen und sich mit diesem Wissen jeglicher Form der Diskriminierung in der Gegenwart entgegenzustellen. In der heutigen Welt, in der Krieg, Des­information, Diskriminierung, Aus­grenzung und Verfolgung weit verbreitet sind, sind Blochs Werke nach wie vor von großer Bedeutung.

Fragestunde

In einer angeregten Fragestunde „löcherten“ die Zuhörer Simone Bloch mit Fragen zum Leben ihres Vaters, den sie leider nur 15 Jahre erlebte. Sie gesteht auch, dass sie wie die meisten Teenager nicht den gleichen Humor wie ihr Vater hatte. Manchmal war sie sich nicht mal sicher, ob er überhaupt Humor hatte. Zu Hause waren sie in fast allem unter­schiedlicher Meinung, und einen Streit gewinnen zu wollen „war für uns eine Art Sport“. Im Laufe der Zeit habe sie erkannt, dass er ein groß­zügiger und lustiger Mensch war. Sie wurde erst neugierig auf die Geschichte ihres Vaters, als er plötzlich weg war. Sie begann, Deutsch zu lernen, weil es die einzige Möglich­keit war, jemals zu erfahren, woher er kam – woher sie kam. Ein Satz von ihr auf der Seite des Jüdischen Museums fasst zusammen, was jetzt geschaffen wurde:

„Mein Vater, ein netter jüdischer Junge aus Dortmund, lebte vor fast 100 Jahren in Berlin, als die Welt aus den Fugen zu geraten begann. Er kam in dem Glauben hierher, dass die Zukunft Deutsch­lands von jemandem wie ihm beein­flusst werden könnte. Wenn es nur so gewesen wäre. Aber am Ende hatte er doch irgendwie Recht!“

Jüdisches Museum

Das Jüdische Museum in Berlin einigte sich mit Simone Bloch auf die Übernahme der Originalhefte und die Präsentation einer Ausstellung, die seit dem 8. Februar unter dem Titel „Mein Dichten ist wie Dynamit – Curt Blochs Het Onderwater Cabaret“ geöffnet ist.Die Ausstellung ist bis 26. Mai in der Eric F. Ross Galerie des Jüdischen Museums zu sehen.



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