Warum mich das Baugebiet im Schlämmer nur am Rande interessiert
Neulich abends gab es einen Elternabend. Online, modern, zeitgemäß. Auch der Bürgermeister war dabei. Im Grunde ging es darum, wie berufstätige Eltern ihr Arbeitsverhältnis und damit das Einkommen ihrer Familie aufrechterhalten sollen, wenn die Kinderbetreuung nicht mehr bis 16.30 Uhr, sondern nur noch bis 12.30 Uhr stattfindet. Also nicht weil Corona ist und zu ist oder die Gruppen nicht mehr gemischt werden dürfen. Wie die letzten zwei Jahre immer mal wieder. Sondern einfach so. Ab jetzt. Sofort. Und für bis wann genau kann der Träger leider nicht sagen. Weil einfach keiner mehr da ist, der sich hat ausbilden lassen und sich um unsere Kinder kümmern will. Zumindest nicht am Ende des Regenbogens. Alle weg halt.
Unsere Größte geht mittlerweile in die vierte Klasse. Sie hatte noch jeweils mindestens zwei tolle Fachkräfte in ihrer Krippen- und Kindergartenzeit. Die ihre Neugier befriedigt und ihr soziales Wesen gefördert haben. Einfach zu ihrer Welt gehörten. Ihre Namen kennt sie noch heute und sie erinnert sich an viele Momente mit ihnen. Sie hatte auch ganze drei Erzieherinnen in drei Jahren Kindergarten. Wenn ich unsere Mittlere frage, wer sie heute betreut hat, kann sie mir oft die Namen nicht nennen. Wie auch bei einer zweistelligen Zahl an Bezugspersonen in knapp drei Jahren Kindergarten? Sie kommt im Sommer in die Schule. Wenn ich sie morgens in den Kindergarten bringe, schaue ich durch das Fenster vom Container und bin genauso gespannt wie sie, wer heute in ihrer Gruppe sitzt und wie die Menschen heißen, denen ich jetzt mein Kind anvertraue.
Container denken sie? Ja, der Weg dorthin hat jetzt sogar ein Fenster. Und zumindest durch dieses kommt ein echtes, reales und natürliches Licht zu den Kindern. Ja, es ist ein toller Container. Weil er einen Ort der Geborgenheit bildet. Einfach nur, weil er da ist und die Kinder zu ihm gehen können. Nicht ganz so schön wie der eigentliche Gruppenraum, der seit mehr als zwei Jahren saniert wird. Oder der Essensraum, aus dem die Kinder dann auch ausziehen mussten. Oder der Vorraum vom Gemeindesaal, der für kurze Zeit auch angebracht erschien. War halt nur genauso klein wie der Essensraum. Platz für Spielzeug hatten beide nicht. Aber Ersterer hatte wenigstens eine Garderobe, an der die Kinder ihre Jacken aufhängen konnten. Das fand ich toll, und für eine Zeitlang war auch ihre Jacke zu Hause am Haken.
Danach kam der Gemeindesaal. Aber hier konnten die Kinder auch nicht bleiben. Für den Träger war es kein Problem, dass die nächsten Kindertoiletten über dem Hof waren. Wohl aber für die Pfarrerin, dass das Gemeindeleben nicht dauerhaft stattfinden kann, wenn die Kinder im Saal untergebracht sind. Wie soll Leben eigentlich fortlaufend stattfinden, ohne Kinder? Das war auch das einzige Mal, dass sich die ranghöchste Hirtin mit ihren jüngsten Schafen beschäftigt hat. Irgendwann monierte dann das Jugendamt, dass die Toiletten so weit weg waren und es kam der Container. Ich bin froh, dass die Kinder jetzt dort sind. Zumindest ist der Raum von Bestand. Auch wenn ich glaube, dass meine Tochter mittlerweile keine Ahnung mehr hat, wie ihr eigentlicher Gruppenraum aussieht. Der wird ja immer noch saniert. Nach zwei Jahren. Wie lange noch, niemand kann darüber Auskunft geben.
Auf dem Elternabend hieß es, die Unflexibilität des Gesetzgebers und die daraus resultierende Rigorosität des zuständigen Jugendamts sei dafür verantwortlich, dass die Schließzeiten verkürzt sind. Mal ehrlich, wer braucht denn auch schon Fachkräfte und Betreuungsschlüssel für die Pädagogik? Der Träger sagte: „Es würden nicht die Leute weglaufen“ und „Die Situation sei nicht so schlimm“. Was sind schon elf Fachkräfte in drei Jahren? Was bedeutet es schon, wenn Erwerbstätige ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können, weil ihre Kinder zu Hause sind? Was bedeutet schon ein Vertrag über Betreuungszeiten? Die Bank hat bestimmt auch Verständnis, wenn der Kredit wegen Verdienstausfall nicht mehr bedient werden kann. Oder der Kühlschrank, wenn er leer ist. Wegen dem Jugendamt halt. Die sind aber auch gemein. Sorgen dafür, dass Kinderbetreuung nach gesetzlichen Vorgaben zu erfolgen hat.
Mir sind mindestens drei Familien in unserem Kindergarten bekannt, die ihre Erwerbstätigkeit in der bestehenden Form über den Sommer heraus nicht aufrechterhalten können. Weil halt zu ist um 12.30 Uhr. Wie Alleinerziehende diese Belastung bewältigen, kann ich mir nicht erklären. Ich sehe erwachsene Menschen weinend und erschöpft. Und meist sind es diejenigen, die in den vergangenen zwei Jahren schon weit über das Maß der Belastbarkeit hinaus versucht haben, Familie und Beruf zu vereinbaren. Oma und Opa sind alt, krank und können auch nicht mehr.
Ich selbst habe meine Kinder Gott sei Dank nie so lange fremdbetreuen lassen müssen und letztendlich vor zwei Jahren mein Erwerbsleben weitestgehend aussetzen können. Aber ich frage mich, ob das allen so gelingt? Gelingen kann? Mal abgesehen davon, dass es Gott sei Dank noch Berufe gibt, die physische Anwesenheit und direkte soziale Interaktion erfordern: Homeoffice mit Kindern funktioniert nicht. In allererster Linie nicht für die Kinder. Aber genausowenig für den Arbeitgeber und erst recht nicht für den Arbeitnehmer. Und weil nur wenige Menschen im Erwerbsleben ein Einkommen erzielen, das alleine ausreicht, um eine Familie zu ernähren, sind fast alle auf eine gesicherte Kinderbetreuung angewiesen. Ob sie nun wollen oder nicht.
Was mir ganz wichtig ist: Ich glaube, dass die verbliebenen Fachkräfte und die vielen Hilfskräfte, deren Namen ich nicht mehr erinnere, versuchen, sich bestmöglich um unsere Kinder zu kümmern. Mit hohem Engagement, was ich so beobachte. Das rechne ich ihnen hoch an, denn auch die Belastung der Verbliebenen ist einfach zu hoch.
Dennoch, und alle Aktivisten mögen es mir nachsehen: Die zwei Fragen, die ich mir stelle, wenn ich die Diskussion um den Schlämmer verfolge, sind: Wer wird das Personal sein, welches die Kinder im neu zu bauenden Kindergarten betreut? Und wo findet man es?
Carlos Hemberger, Kelkheim