Spurensuche Gartenschläfer – Neue Erkenntnisse für den Schutz der stark gefährdeten Schlafmaus

Ein eher seltener Anblick, denn der Gartenschläfer ist ein nachtaktives Tier. Auf seinem Speiseplan steht so gut wie alles, aber am liebsten verspeist er Insekten, eine Information, die durch die Forschungsarbeit ans Tageslicht kam.Foto: BUND

Kelkheim (ju) – Susanne Steib strahlt über das ganze Gesicht, wenn sie über den kleinen, kuscheligen, quirligen, Maske tragenden Nager spricht – den Gartenschläfer. Die Managerin für Naturschutzprojekte beim BUND weiß, dass der kleine Bilch in Gefahr ist, in Kelkheim aber inzwischen eine Lobby und viele, viele Fans hat.

„Spurensuche Gartenschläfer“

Wer könnte diesen kleinen Knopfaugen auch widerstehen? Größter Fan ist Bürgermeister Albrecht Kündiger, der seine Stadt zur Stadt der Gartenschläfer machen möchte. Erster Schritt in diese Richtung ist eine Ausstellung im Rathaus, die noch bis zum 14. April läuft. Hier können sich Interessierte auf die „Spurensuche Gartenschläfer“ begeben. Die kleine Ausstellung zum gleichnamigen Projekt des BUND, der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung informiert über den Gartenschläfer, seine Lebensräume und die Forschungsmethoden, um dem maskierten Bilch und seiner Lebensweise, aber vor allem den Rückgangsursachen, auf die Schliche zu kommen.

Forschungsobjekt

Denn dem kleinen Kerl geht es nicht gut, auf der Roten Liste wird er unter der Kategorie „stark gefährdet“ geführt. Die Bestände des Gartenschläfers sind in den letzten Jahrzehnten massiv zurückgegangen. Er kommt in sehr unterschiedlichen Lebensräumen vor. Er besiedelt als Kulturfolger sowohl Gärten, Weinberge und Streuobstwiesen als auch Hochlagen einiger Mittelgebirge, etwa die hohen Fichtenwälder im Harz oder im Bayerischen Wald. Trotz dieser Anpassungsfähigkeit gingen in den letzten 100 Jahren viele Vorkommen verloren. In vielen Regionen Deutschlands ist der Gartenschläfer bereits ausgestorben. Die Ursachen waren bis dahin völlig unklar, „der kleine Bilch ist wenig bekannt und deswegen wenig erforscht“, weiß Susanne Steib. Nach einem traurigen Anlass im Jahr 2018, als Sascha Apitz, Vorsitzender der „Krautgärten e.V.“, Susanne Steib einen verstorbenen Gartenschläfer übergab, der in der Gartenanlage gefunden wurde, bildete sich ein Team aus Naturschutz und Wissenschaft, um auf Spurensuche zu gehen. Das Ziel: Die Erhaltung der Gartenschläferbestände in einem großen Teil seines deutschen Verbreitungsgebiets, zu dem Kelkheim und das Rhein-Main-Gebiet gehört. Im Rahmen des Projektes, das noch bis 2024 läuft, werden auch in Hessen Nahrungsanalysen vorgenommen, eine Telemetrie einzelner Tiere durchgeführt, Totfunde von Gartenschläfern auf Krankheiten und Parasiten untersucht, der Temperaturverlauf in Winterschlafquartieren beobachtet sowie Haarproben genetisch analysiert.

„Citizen Scientists“

Und auch ehrenamtliche „Citizen Scientists“ waren in die Forschungsarbeit mit einbezogen. „Ohne die vielen Freiwilligen wäre die Forschungsarbeit so nicht möglich gewesen“, bestätigt auch Steib. „Nur so konnten alle denkbaren Bereiche, die für das Verschwinden der Gartenschläfer eine Rolle spielen, untersucht werden.“ Ganz wichtig dabei die Meldungen über Sichtungen der Tiere. Die „SOKO Gartenschläfer“ nahm ihre Arbeit auf, unter meldestelle.gartenschlaefer.de konnten Menschen Sichtungen melden, häufig auch mit Fotos. So kamen bis jetzt 4.000 verifizierte Sichtungen in ganz Deutschland zusammen, davon 1.300 allein in Hessen. In Kelkheim gab es etliche Sichtungen, die interessanterweise in Richtung Fischbach, Ruppertshain und Eppenhain abnahmen, aber auch in Königstein und Kronberg wurde der Nager entdeckt.

Neben den Sichtungen durch die „Citizen Scientists“ beschäftigte sich die Wissenschaft ausgiebig mit dem Bilch. Über 200 tote Gartenschläfer wurde seziert und untersucht, mit Hilfe von Kotsammlungen über einen Zeitraum von drei Jahren, konnte festgestellt werden, was der Gartenschläfer isst und wie belastet sein Futter ist. Zähne der Totfunde wurden aufgeschnitten, um ähnlich wie bei einem Baum, anhand der Jahresringe das Alter der Tier zu ermitteln, da man bis heute nicht sicher sagen kann, wie alt die Nager in freier Wildbahn werden können.

Erste Erkenntnisse

Susanne Steib erklärte Interessierten in einem Vortrag nach der Ausstellungseröffnung die Vorgehensweise der Forschung und präsentierte erste Ergebnisse. So wurde festgestellt, dass der anpassungsfähige Gartenschläfer immer weniger geeignete Lebensräume findet. Inzwischen ist er überwiegend im urbanen Raum zu finden, Wiesbaden ist die geheime Hauptstadt der Gartenschläfer, hier hat der Nager sogar den Hauptbahnhof als Lebensraum für sich erobert. Der natürliche Lebensraum Wald hat sich durch intensivierte Forstwirtschaft und die Folgen des Klimawandels bereits seit langem stark verändert. „Es findet zwar gerade ein Umdenken im Umgang mit dem Wald statt, aber für den Gartenschläfer ist das zu spät. Der Waldbewirtschaftungsprozess, der schon vor 200 Jahren angestoßen wurde, hat dafür gesorgt, dass unser kleiner Freund hier kein Zuhause mehr findet“, weiß die Fachfrau. Hinzu kommt für den Bilch das Insektensterben. Die Forschung hatte nämlich ergeben, dass der Gartenschläfer kein Kostverächter ist, aber Insekten ganz oben auf seinem Speiseplan stehen. „Diese Erkenntnis erhielten wir über die gesammelten Kotproben. Sie haben einiges über das Fressverhalten des kleinen Kerls Preis gegeben“, so Susanne Steib. Auch der Einsatz von Rattengiften und Pestiziden hat direkte Auswirkungen auf die Population. „Alle untersuchten Totfunde wiesen zum Teil erhebliche Belastungen mit Giften auf. Zum Teil sogar solche, die heute bereits verboten sind.“

Eine Entwarnung konnten die Forschenden und Steib allerdings geben: Es ist keine genetische Verarmung bei den Gartenschläfern zu erkennen, sondern es gibt eine Vielfalt verschiedener genetischer Linien in Deutschland. Und das, obwohl der Bilch auf seinen kurzen Beinchen keine großen Strecken zurücklegen kann.

Schutzaktionen

Auch wenn die Populationen im Rhein-Main-Gebiet stabil zu sein scheinen, wirbt der BUND für verschiedenste Schutzmaßnahmen. So kümmern sie sich um alle Lebensräume und starten Schutzaktionen in Städten, in der Kulturlandschaft und in Wäldern. Außerdem werden Rückzugsräume für den Gartenschläfer geschaffen, durch die Pflanzung von Hecken, durch das Zulassen von verwilderten Flächen, der Pflege von Streuobstwiesen oder konkret durch das Anbieten von Nistkästen, in denen der Nager seine Jungen aufziehen und seinen Winterschlaf halten kann.

Wichtig ist Susanne Steib, dass bei diesen Prozessen alle mit einbezogen werden: Vom Kleingartenverein bis zu Waldbesitzern, von Schädlingsbekämpfenden bis zu den Naturschutzbehörden. „Alle können einen Beitrag leisten. Das fängt damit an, im Garten die Regentonne abzudecken, auf Gift zu verzichten, insektenfreundliche Pflanzen auszusäen, natürliche Versteckmöglichkeiten wie Steinhaufen zu schaffen, Nistkästen aufzuhängen oder im größeren Rahmen bei der Gestaltung von Städten und Kulturlandschaften auf den kleinen Nager Rücksicht zu nehmen“, plädiert Steib.

Denn das hilft nicht nur dem Gartenschläfer, sondern seinem gesamten Lebensraum mit allen darin lebenden Arten.



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