„Zugespitzt“ – In Kelkheim darf über die Kanzler und die Kanzlerin gelacht werden

Helmut Schmidt wie er leibt und lebte: schick geschniegelt und mit der markanten Pfeife im Mund. Helmut Kohl musste schon wegen seiner Figur früh als die „Birne“ herhalten. Er nahm es mit Humor.Fotos: Judith Ulbricht

Kelkheim (ju) – Müssen Politiker es aushalten, dass man sich über sie lustig macht? Sie müssen! Als Stilmittel erfand die Presse dafür die Karikatur. Eine Karikatur ist ein Bild (visuelle Darstellung), das politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche Personen, Situationen, Handlungsweisen oder Zustände in überspitzter und übertriebener Weise darstellt. Sie erzählen etwas über den Charakter, sind ein Stück Zeitgeschichte, vergegenwärtigen Stimmungen und historische Ereignisse.Was dabei rauskommen kann, zeigt jetzt die Ausstellung „Zugespitzt – Die Kanzler in der Karikatur“ im Museum Kelkheim.

Acht Kanzler, eine Kanzlerin

Die „Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte“ würdigte Kelkheim-Hornau 2023 als „Ort der Demokratiegeschichte“.

„Diese Ehrung nahmen wir zum Anlass, um der politischen Geschichte Deutschlands auch im Jahr 2024 eine Ausstellung zu widmen“, erklärte die ehemalige Kulturdezernetin der Stadt, Dr. Beate Matuschek bei der Eröffnung. Ihr ist es auch zu verdanken, das die Ausstellung, die ursprünglich im „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ in Bonn beheimatet ist, in die Möbelstadt kam. „Acht Kanzler und eine Kanzlerin haben wir seit 1949 kommen und gehen sehen – und finden hier in der Ausstellung ein Stück Zeitgeschichte wieder, denn 1949 war ein Neubeginn, eine Neuordnung.“ Man merkt Matuschek an, dass ihr diese Ausstellung sehr am Herzen liegt. Bei einem kleinen Rundgang weiß sie zu jedem Kanzler kleine Anekdoten zu erzählen. Konrad Adenauer habe sie zum Beispiel erst bewusst als Kanzler wahrgenommen, als sie im, damals noch schwarz/weiß Fernsehen, das Staatsbegräbnis live miterlebte. Sie berichtet von der glücklosen Kanzlerschaft Ludwig Erhards, von Ludwig Kiesinger, dem während seiner Amtzeit immer die Nazivergangenheit nachhing, von Willy Brandt, der zwar den Friedensnobelpreis erhielt, aber die Innenpolitik total verpennte. „Damit scheint er allerdings nicht allein zu sein“, bemerkte Matuschek, die auszumachen schien, dass so einige Kanzler gerade innenpolitisch versagt haben. Und dann sagt sie einen Satz, der den Sinn der Ausstellung nicht besser beschreiben könnte: „Man kann mit seinen Erinnerungen als Zeitzeuge in die Ausstellung eintauchen, denn das ist das Schöne hier. Jeder hat eine Erinnerung an einen von den Kanzlern oder an die Kanzlerin.“

Erinnerungen

Erinnerungen hat auch Bürgermeister Albrecht Kündiger. Er war damals in der 3. Klasse, als Konrad Adenauer starb. „Ich musste einen Aufsatz über ihn schreiben. Eine Seite lang. Heute würde der allerding anders ausfallen als damals“, schmunzelt er. Als politisch engagierter junger Mann, der Kündiger Anfang der 70er Jahre war, ist ihm auch Willy Brandt im Gedächtnis geblieben. „Er stand für einen Aufbruch, das hat mich natürlich begeistert.“

Im Mittelpunkt der Satiere

Seit der Wahl des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer vor 70 Jahren stehen die deutschen Regierungschefs und die Chefin im Zentrum der Satire: Als schlauer Fuchs (Konrad Adenauer) und tatkräftiger Lotse (Helmut Schmidt), als Medien-Macho (Gerhard Schröder), schwarze Witwe (Angela Merkel) und natürlich als „Birne“ (Helmut Kohl). In der Ausstellung bekommen die Kanzler und die Kanzlerin ihre Namen weg. Und nicht alle konnten immer entspannt mit der gezeichneten Kritik umgehen. Adenauer wandte sich in einem Brief an die herausgebende Zeitung und verwehrte sich darin gegen die in einer Karikatur festgehaltene Behauptung, er sei während der Nazizeit ein „Mitläufer“ gewesen. Auch Gerhard Schöder, der sich gern als Medienkanzler gerierte und mit Sprüchen wie „Genosse der Bosse“ oder „Hömma, hol mir ma ‚ne Flasche Bier, sonst streik‘ ich hier und schreibe nicht weiter.“ Aufmerksamkeit erregte, legte sich mit der Presse an. Unvergessen die Auftritt des Gummikanzlers in der vom WDR produzierten Kultserie „Hurra Deutschland“, nicht immer zum Gefallen von Schröder, Unterlassungsklagen folgten. Auch mit der BILD stand der 6. Kanzler auf Kriegsfuß.

Karikatur ist Kunst

Stadtarchivar Julian Wirth schätzt die Hintersinnigkeit und Bissigkeit vieler Karikaturen. Für ihn sind sie Kunst. „Sie werden zu Kunst durch Form, Farbe, Inhalt und das gewisse Etwas. Sie sind Infotainment“, fasst er zusammen. Ihm haben es besonders Schröder und Kohl angetan und er kann sich nicht verkneifen vor der Karikatur von Gerhard Schröder, die ihn als kleinen Napoleon darstellt, eine Hand auf einem Brief auf dem „Ich“ steht, zu bemerken: „Das trifft ihn haargenau!“. Helmut Kohl war zeitlebens ein dankbares Motiv für die Karikaturisten, weiß Wirth zu berichten. Schon allein wegen seiner mächtigen Figur musste er manchen Hohn ertragen, schnell war der Begriff der „Birne“ geboren. Vor der Wende noch als Landei verspottet, „wuchs“ er nach der Wende in den Karikaturen zum Staatsmann und großer Europäer heran.

Wer Lust hat, seine eigenen Erinnerungen an die deutschen Kanzler mit bissigen, humorvollen Karikaturen abzugleichen, der ist im Kelkheimer Museum bestens aufgehoben.

Öffnungszeiten

Geöffnet: Freitag, 26. Januar, bis Sonntag, 17. März, immer Freitag, Samstag, Sonntag 15 bis 18 Uhr

Eintritt zur Ausstellung: 5 Euro, Schulklassen haben freien Eintritt, Eintritt zur Ausstellung und Führung: 10 Euro

Führungen

Führungen finden immer sonntags ab 15 Uhr statt am:

• 28. Januar – Führung mit Julian Wirth

• 4. Februar – Führung mit Kirstin Funke

• 11. Februar – Führung mit Kirstin Funke

• 18. Februar – Führung mit Kirstin Funke

• 25. Februar – Führung mit Julian Wirth

• 3. März – Führung mit Dr. Beate Matuschek

• 10. März – Führung mit Dr. Beate Matuschek

• 17. März – Führung mit Julian Wirth

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