Bürger, Stadt und Freundeskreis machen mobil gegen drohende Abschiebung von afghanischer Familie

Bürgermeister Leonhard Helm (re.) will sich dafür einsetzen, dass die Familie Kapoor, die seit über drei Jahren in Königstein lebt und arbeitet, auch hier bleiben kann. Weder Vertreter von Stadt noch Kirchengemeinde können verstehen, warum der in Afghanistan bedrohte Familie, die einer verfolgten Hindu-Minderheit angehört, kein Bleiberecht gewährt wird.

Königstein (el) – Als die Familie Kapoor vor dreieinhalb Jahren aus Afghanistan nach Deutschland kam, stand sie vor dem Nichts und musste in ihrer alten Heimat tagtäglich um ihr Leben bangen. Als Mitglied einer hinduistischen Minderheit (15.000 Menschen bei einer Einwohnerzahl von 33 Millionen) war sie Anfeindungen und Verfolgungen und nicht zuletzt möglichen Gewaltakten ausgesetzt. Krishma Kapoor und ihrem Mann Krishan sowie den beiden Söhnen Sahel (14) und Karan (18) blieb nichts anderes übrig, als sich hinter die rettenden Mauern eines Hindu-Tempels in der Hauptstadt Kabul zu flüchten. Unter Tränen berichtet die Afghanin von ihrem damaligen Leben, das von Angst und Hoffnungslosigkeit geprägt war. 2013, mit der Ankunft in Deutschland, hatte sich die Familie ein Leben in Sicherheit und Freiheit erhofft. Dieser Traum droht nun zu zerplatzen. In der vergangenen Woche erhielt die Familie den Bescheid vom zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dass ihr ab sofort mit 30-tägiger Frist die Abschiebung droht. Nicht nur die Betroffenen selbst sind über eine solche Entscheidung fassungslos, auch eine ganze Stadt scheint in diesen Tagen mobil zu machen, stellt sich hinter die Kapoors und will erreichen, dass sie bleiben können. Denn sie hätten sich laut Bürgermeister Leonhard Helm in den vergangenen Jahren bestens hier integriert, ihre Kinder besuchten die Friedrich-Stoltze-Schule, die Mutter habe eine Festanstellung in der Küche des städtischen Horts und auch für den Vater habe man bereits ein Arbeitsverhältnis in Frankfurt eingefädelt. Außerdem haben alle Familienmitglieder von Anfang an großes Interesse daran gezeigt, Deutsch zu sprechen und besuchen regelmäßig die Sprachkurse unter Anleitung von Karen Bauer in der Friedrich-Stoltze-Schule.

Die Kapoors seien ein gelungenes Beispiel für Integration, sagte der Bürgermeister, der sich noch gut erinnern kann, als er vor einigen Jahren die Wohnanlage in der Pingler-Straße besuchte und ihm einer der beiden Söhne freundlich und zuvorkommend die Tür aufgehalten habe. Auch die Bedenken der anderen Bewohner, dass nun Fremde unter ihnen wohnen, mit deren Kultur sie nicht vertraut sind, wurden schnell durch das freundliche und aufmerksame Wesen aller Familienmitglieder zerstreut. Als „krass und ungerecht“ bewertete Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer, auch in ihrer Funktion als Gründungsmitglied des Freundeskreises Asyl, der von Anfang an die Stadt in ihren Bemühungen um Integration und Aufnahme der Flüchtlinge unterstützt hat, das Urteil, welches sie darüber hinaus als „schwerwiegenden Fehler im System“ bezeichnete.

Denn im Fall der Kapoors muss davon ausgegangen werden, dass überhaupt keine Einzelfallprüfung stattgefunden habe. Zudem mutet es mehr als befremdlich an, dass ein solcher Bescheid nun ganze drei Jahre nach der Einreise kommt. Suzanne Müller-Hess, Fachdienstleiterin Sicherheit und Ordnung bei der Stadt Königstein und gleichzeitig Helferin der ersten Stunde beim Freundeskreis Asyl hat nach eigenen Angaben bereits im Juni 2015 und erneut im September 2015 beim zuständigen Amt nachgefragt, wann denn im Zuge des Asylantrags der Kapoors mit einer Anhörung der Familie zu rechnen sei. Eine Antwort darauf habe sie nie erhalten, so Müller-Hess. Hermann-Josef Lenerz als zuständiger Fachbereichsleiter für Kinderbetreuung, Jugend und Vereine, kann die Arbeit der städtischen Mitarbeiterin Kapoor mit am besten beurteilen und schätzt sie sehr.

Mittags gelte es, Essen für circa 100 Hort- und Kindergartenkinder zuzubereiten. Ihre Aufgaben erledige Frau Kapoor dabei sehr zuverlässig, sie habe ich ungemein eingearbeitet und sei auch in der Lage, die Essensausgabe selbstständig zu bewältigen, wenn es erforderlich sei.

Um auf die nicht hinnehmbare Situation der Familie hinzuweisen, der nun die Abschiebung droht, hat Bürgermeister Helm bereits mit dem Büro des zuständigen hessischen Ministers Wintermeyer telefoniert. Außerdem ist mittlerweile ein Anwalt beauftragt worden, der sich mit der Situation der Hindus in Afghanistan auskennt. Von einer Petition verspreche man sich laut Stoodt-Neuschäfer aufschiebende Wirkung und Zeit, sich zu sortieren. Alle, die mit der Familie zu tun hätten, die katholische und evangelische Kirchengemeinde in Königstein, die Mitglieder des Freundeskreises Asyl, im Kindergarten und im Hort – alle würden sie laut der Pfarrerin darin übereinstimmen, dass es widersinnig sei, Menschen zu sagen, sie sollten sich an die Regeln halten und integrieren und mit dieser Perspektive hier leben zu lassen, um ihnen dann zu sagen, dass die Afghanen das Land verlassen müssen. „Man muss sich schon nach dem Sinn einer solchen Entscheidung fragen“, pflichtet der Königsteiner Rathauschef bei, der auch für die zahlreichen Menschen spricht, die sich hierzulande und in Königstein in der Flüchtlingsarbeit ehrenamtlich engagieren und doch nichts bewirken können. Helm: „Damit verliert die Politik ihre Glaubwürdigkeit.“ Er werde die Angelegenheit zur Chefsache machen, versprach Helm, der diesbezüglich bereits am Rande einer weiteren Veranstaltung das Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Heinz Riesenhuber (CDU) und dem Europaabgeordneten Thomas Mann gesucht hat und für den sich ebenfalls die Frage nach der Einzelfallprüfung geradezu aufdrängt. Dazu müsse man sich fragen, warum eine Stadt keine Antworten auf Anfragen beim Bundesamt erhalte und nicht angehört werde.

Weitere Fragen, die dieser Fall aufwirft: Als die Mutter und die beiden Söhne 2013 zuerst über das Aufnahmelager in Gießen nach Königstein kamen – der Vater folgte ein Jahr später – war noch keine Rede von der großen Flüchtlingswelle, die im Sommer 2015 auf Deutschland zurollen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war die Familie bereits zwei Jahre in Deutschland. Mit einem großen Rückstau an zu bearbeitenden Asyl-Anträgen könne die lange Bearbeitungszeit eigentlich nicht erklärt werden, so Stoodt-Neuschäfer, die das Gespräch mit der SPD-Landtagsabgeordneten Elke Barth gesucht hat. In diesen mehr als drei Jahren seien Erwartungen gewachsen, so die Pfarrerin. „Es entstehen Bindungen“, ergänzt der Bürgermeister und spricht damit die nicht zu vernachlässigende emotionale Komponente an. Ein weiterer Grund, weswegen das Asylverfahren der Familie Kapoor aus Sicht von Stadt, Kirchengemeinde und Freundeskreis Asyl mit einem Fragezeichen zu versehen ist: Die Anhörung von Mutter und Söhne habe auf Farsi stattgefunden, einer afghanischen Sprache, der die Familie nicht mächtig ist. Hier werde ein großer Fehler gemacht, den sie nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könne, so Stoodt-Neuschäfer. Das Zitat, das beim Kennenlernen der Familie am meisten nachwirkt, kommt aus dem Mund des jüngsten Sprosses, der die achte Klasse der Friedrich-Stoltze-Schule besucht und wie sein Bruder auch große Ambitionen und beste Chancen darauf hat, die Mittlere Reife zu schaffen. Sahel sagt ganz klar und deutlich ins Mikrofon der Kollegin des Hessischen Rundfunks: „Ich habe alles hier gelernt. Königstein ist wie eine Mutter für mich.“



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