Auf der Suche nach dem Wohlbefinden: Dietrich Grönemeyer plädiert für Zusammenrücken von Seelsorge und Medizin

Königstein (hhf) – An der Kinderuniversität bezeichnet der „Arzt und Autor“ Dietrich Grönemeyer die Seele schon einmal als „das coolste Körperteil“, als Radiologe beherrscht er aber auch die nüchterne Naturwissenschaft, bemängelt sogar, dass er vom Körper nur Momentaufnahmen sieht und nicht das Zusammenspiel der Organe. Privat sieht er sich als gläubigen Menschen – „transkonfessionell“ - und definiert seine Seele nach Heinrich Böll als „Faden zum Himmel“, als die Verbindung zu Höherem. Vielen Menschen durch seine einfühlsamen Bücher bekannt, die zwar medizinische Probleme zum Inhalt haben, aber eben mehr als rein medizinische Ratschläge geben, war er geradezu prädestiniert, als Gesprächspartner auf das Kreuzfest eingeladen zu werden.

In der Bühnenhalle der Bischof-Neumann-Schule war er zu erleben, dort fand der letzte Termin einer vierteiligen Veranstaltungsreihe „auf dem Weg zum Kreuzfest in Königstein“ statt, die sich mit dem Glauben in heutigen Zeiten beschäftigt. Unter dem Titel „Wer’s glaubt, wird selig“ traf sich Meinhard Schmidt-Degenhard, bekannt als Moderator aus dem hr-Fernsehen, mit den verschiedenen Interviewpartnern und unterhielt sich nun mit Dr. Grönemeyer über das Thema „Über Kreuz mit dem Leid – Glaube als Lebenshilfe?“

Die ärztliche Untersuchung begann am Kreuzfest natürlich mit dem Rückgrat – auch zu diesem Thema hat der umtriebige Arzt ein Buch geschrieben, das Birgit Wehner vom Veranstaltungsteam aus eigener Erfahrung hervorhob: „Es hat mir nach meiner Bandscheibenoperation sehr geholfen.“ Das liegt am ganzheitlichen Blick von Dietrich Grönemeyer: „Das Rückgrat hält den Menschen nicht nur aufrecht, es ist auch ein empfindsames Organ.“ Das durften die gut über 100 Gäste im Saal auch gleich am eigenen Körper erfahren, nach vorne rutschen und Schultern hängen lassen, hieß es: „Sehen Sie, die Mundwinkel gehen runter, das Atmen fällt schwer und sie tragen die Last der Welt.“ Die Gegenprobe zauberte ein Lächeln auf die Lippen und die verbesserte Sauerstoffzufuhr machte tatsächlich auch das Gehirn etwas freier, eine Methode um schnell etwas „Kraft zu schöpfen“, die im Alltag viel zu kurz komme.

Auch die Alltagssprache sei ohnehin reich an psychosomatischen Ausdrücken, nicht nur wenn wir Rückgrat zeigen sollen, sondern auch wenn es besonders herzlich zugeht. Gerade um die Zusammenhänge von Herz und spirituellen Belangen wussten alle alten Kulturen bescheid, was sich wohl auch in der deutschen Sprache erhalten hat. Große Hoffnungen setzte der Referent dabei auch auf verschüttetes Wissen in Klöstern und Klostergärten, wo Leid an Körper und Seele gemeinsam kuriert wurden. Gerade das Herz verändert seine Tätigkeit im Zusammenhang mit Gefühlen wie Angst oder Freude und macht damit dem „Geist“ durchaus Konkurrenz auf der Suche nach dem Sitz der Seele im Körper. Das Gehirn zeigt sich sogar oft als kontraproduktiv: „Ich habe schon als jugendlicher Gottesdiensthelfer nicht verstanden, warum Kriege über Begrifflichkeiten entstehen, vor Gott sind wir doch alle gleich“, da nutze es auch nicht zu streiten ob Latein oder Arabisch die richtige Sprache sei, um Gott zu verstehen: „Die Tiere und Pflanzen verstehen ihn schon“.

„Ehrfurcht vor’m Leben“, Demut vor der höheren Macht, die es begrenzt und Aktivität in der Liebe zu anderen Lebewesen forderte Grönemeyer mit besonderem Blick auf Albert Schweitzer und Moderator Schmidt-Degenhard ergänzte: „Leben mit Leben, das auch leben will...“ Pure Lebensfreude gehört auch dazu, und die lebt man am besten in Bewegung aus, denn damit tut man gleich etwas gegen den ungesunden Bewegungsmangel, der in unserer Gesellschaft so viele Zivilisationskrankheiten fördert. Nicht nur den Kindern in „seinen“ Schulen verordnet der Arzt daher täglich eine Stunde Bewegung, auch für das Publikum war es nun an der Zeit, einmal kräftig auf der Stelle zu rennen: „Wer sagt, ich habe nicht eine Stunde Zeit zum Bewegen, der lügt!“, der Trick ist nur, dass man diese Stunde über den Tag aufteilen darf.

Und wenn trotz aller Gesundheitsvorsorge dann doch das Schicksal zuschlägt? Erlebt hat Dietrich Grönemeyer das am eigenen Leibe, als er mit einer Herzmuskelentzündung zu kämpfen hatte: „Die Kollegen sagten ‚das wird schon wieder‘, aber mein Arztwissen sagte, es kann auch jeden Moment stehen bleiben.“ Erst nach zehn Jahren waren alle Folgen ausgeheilt, nicht nur mit Methoden der Schulmedizin: „Genau hinhören, was in fremden Kulturen verborgen ist, und auch in der eigenen“ lautete der diesbezügliche Rat und während auf die Heilkräfte der Hildegard von Bingen hingewiesen wurde, schenkten sich die Herren auf der Bühne nach ayurvedischem Prinzip ein Glas heißes Wasser ein.

Die zentrale Frage „Kann Glaube gesund machen“ beantwortete der gläubige Mediziner, der die Seele nach dem Gesetz der Energieerhaltung nach dem Tode nicht verloren gehen lassen will, mit einem klaren Jein: Ja, ein Gefühl der Geborgenheit in Gott kann das Herz ruhiger schlagen lassen, auch die Erfahrung eigener, menschlicher (Selbst-) Heilungskräfte. Nicht nur die Hand der Eltern heilt seelischen Schmerz bei Kindern ebenso wie Bauchweh, auch sind in vielen Kulturen Priester gleichzeitig Heiler. Irgendwann kommt aber auch jene Krankheit, die nicht zu heilen ist, das musste der Mediziner erfahren, als ein Bruder im Alter von 44 Jahren mit der Diagnose „Krebs im Endstadium“ zu ihm kam. Umgang mit dem Tod – „Ärzte sind dafür nicht ausgebildet“ bestätigte Grönemeyer die Vermutung des Laien und empfahl den Kollegen dringend, sich einerseits frühzeitig seelsorgerischen Beistand ins Team zu holen und zum anderen, auf der Gefühlsebene „einfach Mensch zu sein.“ Ihm privat, der aus dem Gefühl der Berufung heraus Arzt geworden war, wurde am Sarg des Bruders plötzlich klar, dass eine ganz andere Kraft für das Kommen und gehen auf dieser Welt zuständig ist. Da, wo der Mensch nicht gegen den Tod ankommen kann, gilt es um so mehr, den „Betroffenen mit dem Übergang ins Jenseits in Einklang zu bringen“ und nach dem größtmöglichen „Wohlergehen“ innerhalb der gegebenen Situation zu suchen. (Anm. d. Red: Ganz ähnlich der Grundsatz der Hospizbewegung: „Dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben“).

Dafür freilich ist eine gesellschaftliche Entwicklung nötig: Kirche, Medizin, Psychologie und Sozialarbeiter müssen enger zusammenarbeiten – und jeder davon an sich selbst: Schul-Medizin ist ebenso einseitig wie Amts-Kirche... „Sowohl die Medizin wie auch die Kirche müssen mehr die Sprache der Menschen sprechen.“ Dazu vielleicht jeweils ein Zuviel an Verwaltung abbauen und gegenseitig voneinander lernen, um künftig Alte und Einsame in mehr Würde zu betreuen.

Eine Frage blieb am Ende des eindrucksvollen Gesprächs schließlich doch noch offen: „Hält er nun Audienz oder Sprechstunde?“ wunderten sich einige angesichts der langen Schlange, die sich zwischen dem Büchertisch der Buchhandlung Millennium im Flur und der Bühne gebildet hatte, auf der der signierwillige Grönemeyer auch noch viele persönliche Fragen zu beantworten hatte, was er im Einklang mit seinen zuvor geäußerten Einstellungen auch bis zum letzten Besucher geduldig tat.

Trotz lustiger Mitmach-Einlagen ging das Gespräch zwischen Dr. Dietrich Grönemeyer (links) und Meinhard Schmidt-Degenhard über Glaube und Gesundheit sehr in die Tiefe und machte auch vor persönlichen Betroffenheiten nicht halt.

Foto: Friedel



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