Wunderbare Lesung mit Pfingstwunder-Autorin Lewitscharoff

Nach der Lesung gab es noch jede Menge Signierwünsche, die Sibylle Lewitscharoff („Das Pfingstwunder“) gerne erfüllte. Foto: Schemuth

Königstein (el) – Einen hochkarätigen Gast durften die Mitglieder des neu gegründeten Fördervereins der Königsteiner Stadtbibliothek um Marie-Charlotte Siepenkort zu einer ganz besonderen Lesung begrüßen, die im Nachhinein eher wie ein Fest der Sinne anmutete, so sehr regte sie den Intellekt an. Vor zwei Jahren hatte Marie-Charlotte Siepenkort, die Georg-Büchner-Preisträgerin (2013), Sibylle Lewitscharoff bei einer Lesung gehört und konnte sie nun dafür gewinnen, in der hoch geschätzten Stadtbibliothek in Königstein ihren neuesten Roman „Das Pfingstwunder“ vorzustellen. Als einen ersten kleinen symbolischen Akt, nahm die mit über 20 Preisen mehrfach ausgezeichnete Autorin auf der Empore der Bibliothek an einem Tischchen Platz, auf dem eine Vase mit wunderschönen Pfingstrosen stand. Auf Anhieb brachte ihr der schwäbische Dialekt Sympathien bei ihren Zuhörern ein, was jedoch keinen Moment lang über die Tatsache hinwegtäuschte, dass man es hier mit einem sehr messerscharfen Geist zu tun hat, der in seinem neuesten Werk einen Klassiker der Weltliteratur als Haupthandlungsstrang eingearbeitet hat. „Divina Commedia“ („Göttliche Komödie“) von Dante Alighieri ist eines der größten Werke der Weltliteratur, dessen Handlung fest verwoben ist mit dem Strang, den Lewitscharoff von Anfang an aufbaut. Ihr Plot handelt von einem Kongress in Italien, den Dante-Forscher besuchen, just zum Thema „Divina Commedia“. Plötzlich steigen die Kongressteilnehmer gen Himmel auf, ähnlich wie bei der dreiteiligen, epochalen Wanderung von Dante durch das Reich nach dem Tode. Nur einer nicht: der 34. Teilnehmer, der zurückbleibt und sich ewig die Frage nach dem „Warum?“ stellen muss. So sehr brütet er darüber, dass er zusehends in seiner Wohnung verwahrlost – diesen fortschreitenden Zustand zu schildern habe ihr einen Heidenspaß bereitet, so die Autorin, die sich im Zuge der Recherche für das Buch mit den deutschen Übersetzungen der Commedia beschäftigt hat – und das sind 50 an der Zahl! Eine prägende Übersetzung ist jene von Johannes von Sachsen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Der Adelige ließ sich sogar ein eigenes Dante-Zimmer in seinem Schloss einrichten. Faszinierend schräg und aus Sicht der deutschen Sprache völlig inkorrekt, weil es sein erfundenes Alt-Deutsch so nie gegeben hat, ist die Übersetzung von Rudolf Borchert aus den 1920er-Jahren. Malerisch ist auch die Kulisse, die die Autorin auserkoren hat: Man stelle sich die Malteser-Villa in Rom auf dem aretinischen Hügel vor. Es wird zwei bis drei Tage lang sehr heftig diskutiert, bis plötzlich etwas Seltsames geschieht: Jeder versteht die Sprache des anderen. Nur der Deutsche bleibt sitzen und wird Zeuge der Himmelsfahrt aller anderen, selbst der Hund darf mit, nur er nicht. Was geschieht mit einem rationalen Mann, der so etwas erlebt? Wie kann er sich das Gesehene begreiflich machen? Er beginnt in der Commedia nach Hinweisen zu suchen. Das Unwirkliche hat ihn aus der Bahn geworfen und wie bei Dante, der sich im Wald verirrt hat, scheint alles auf dem Kopf zu stehen und damit nimmt auch seine körperliche Zerrüttung ihren Lauf.

Von der Hölle über das Fegefeuer bis hin zum Läuterungsberg – am Letzteren angekommen, beginnt die Selbsterkenntnis von Dante und er reflektiert, dass wer seine Sünde erkennt, auch die Fähigkeit besitzt, anderen zu verzeihen. Wenn sich Geist und Körper erheben – die Himmelfahrt – das ist für Sibylle Lewitscharoff ebenfalls ein Meisterwerk, ohne kitschig zu wirken, denn Dante sei es gelungen, hier ebenfalls die Reflexion einzuweben in den beseeligenden Flug nach oben.

Auch als wahres „Wissenschaftspanoptikum“ will die Autorin die Commedia verstanden sehen. In seine hinreißenden Verse habe der italienische Dichter das Weltwissen der Zeit eingearbeitet.

Und da sich die Wissenschaft nun mal an Fakten orientiert: Hier sind einige wissenswerte über die Autorin selbst: Sie sei schon als Kind eine Leseratte gewesen, gesteht sie und habe sich ins Wortgetümmel gestürzt und noch eine Erkenntnis habe sie im Zuge ihres Schriftstellerlebens gewonnen: Man muss den großen Sprachapparat kennen, um schreiben und sich an den Großen messen zu können. Und dazu müsse man die Bescheidenheit besitzen, instinktiv zu wissen, was groß sei. Beim Schreiben bestehe die Kunst darin, das eigene Werk durch die großen Lektüren anzureichern, so die in Berlin lebende Schriftstellerin, die jedem davon abraten würde zu versuchen, ein Buch so zu schreiben als wäre das die eigene Biografie. Diese öde Verklammerung möchte keiner lesen.



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