Ausgeprägte Architektur und große Kunst: Das Sanatorium Dr. Kohnstamm

Die neue Stadtarchivarin Dr. Alexandra König zeigte den zahlreichen Besuchern den sensationellen Ausblick auf Burg und Stadt von der Dachterrasse des Neubaus des einstigen Sanatoriums Dr. Kohnstamm oberhalb des Ölmühlweges. Fotos: Behr

Königstein (cb) – Dass Königsteiner Bürger gerne und mit großem Interesse auf den Spuren ihrer Stadtgeschichte wandeln, durfte die neue Stadtarchivarin Dr. Alexandra König am vergangenen Samstag im wahrsten Sinne des Wortes hautnah erleben. Zu ihrer Auftaktführung in dem seit Oktober von ihr frisch bekleidetem Amt fand sich eine kaum überschaubare Menschenschar von rund 120 Gästen vor dem Eingangstor des ehemaligen Siegfried-Vögele-Instituts im Ölmühlweg 12 ein, um gemeinsam mit ihr die einstige Zufluchtsstätte der Intellektuellen, das Sanatorium des Neurologen und Psychiaters Dr. Kohnstamm, zu besichtigen.

Die zahlreichen Besucher, die angesichts des großen Andrangs spontan in zwei Gruppen aufgeteilt wurden, wollten mit der von der Kur- und Stadtinformation kostenlos angebotenen Hausführung die Chance nutzen, hinter die imposanten Mauern des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zu blicken. „Ich kenne hier fast jeden Dritten“, freute sich ein Teilnehmer. „Das ist für uns Königsteiner eine gute Gelegenheit, mehr über diesen historisch so bedeutsamen Komplex zu erfahren.“

Und in der Tat gab es viel Spannendes rund um außergewöhnliche Architektur und große Kunst, psychische Krankheiten und berühmte Persönlichkeiten in dem markanten Gebäude zu erfahren, das die Stadtarchivarin mit viel historischem und architektonischem Fachwissen engagiert und kompetent zum Besten gab. Unterstützt wurde sie dabei von Prof. Dr. Jürgen Hesse, dem Gründungsdirektor und langjährigen Geschäftsführer des einstigen Siegfried Vögele Institutes (SVI) – Internationale Gesellschaft für Direktmarketing mbH – das hier zuletzt von 2002 bis 2018 als Tochter der Deutschen Post DHL-Group ansässig war. Uwe Wachkamp, ehemaliger technischer Leiter des SVI, und Christian Bandy von der Kur- und Stadtverwaltung begleiteten ebenfalls die Besucher durch den beeindruckenden Gebäudekomplex.

Gründer des Sanatoriums

Nach einer kurzen Begrüßung im Park folgten die Zuhörer aufmerksam den Schilderungen Alexandra Königs über Dr. Oskar Felix Kohnstamm, den Gründer des Sanatoriums. Der Neurologe, Psychiater und Verfasser von Schriften zur Kunsttheorie war Anfang des 19. Jahrhunderts eine präsente und prägende Persönlichkeit im Königsteiner Stadtleben. Bereits 1895 kam er im Alter von 24 Jahren nach Königstein und eröffnete – zunächst als Landarzt – eine Praxis in der Frankfurter Straße.

Es war die Zeit, als Königstein bereits als Kurort und Sommerresidenz des Großherzogs von Luxemburg bekannt und auch die Wasserheilanstalt Dr. Amelung (heutige Privatklinik Dr. Amelung) schon vor Ort ansässig war. Das medizinische Interesse des jungen Arztes, der in Gießen, Straßburg und an der Berliner Charité studiert und über Muskelkontraktionen promoviert hatte – übrigens noch heute als der „Kohnstamm-Effekt“ bekannt – verlagerte sich aber zunehmend auf Nervenheilkunde und Psychoanalyse, das damalige Thema der Stunde. So eröffnete er schließlich 1905 mit seiner Frau Eva Gad, ebenfalls promovierte Medizinerin und Tochter seines Berliner Doktorvaters, das gleichnamige Sanatorium in einem stattlichen, sehr modernen und eleganten Neubau im Ölmühlweg.

Stattliche Architektur

Das Gebäude im Stil einer herrschaftlichen Villa wurde von dem damaligen renommierten Frankfurter Architekturbüro Josef Rindsfüßer und Martin Kühn entworfen und in nur zehn Monaten errichtet. Die Architekten hatten unter anderem auch bekannte Kauf- und Geschäftshäuser wie beispielsweise den Zeilpalast in Frankfurt erbaut. Der Altbau des Sanatoriums lehnte sich mit seinem rustizierten Sockelgeschoss aus Taunusschieferverblendung, den reich durchgliederten Baukörpern und Jugendstilelementen sowie mit seiner Fachwerkverblendung und dem Mansardendach zum einen an die örtliche Fachwerkarchitektur an, zum anderen aber wirkte das Gebäude großräumig und städtisch konventionell.

Gegenüber standen bereits einige Häuser wie die Villa Germania oder aber die Villa Flinsch am Romberg (vgl. historisches Foto im Bild oben). Der schöne Blick zur Burg und ins Woogtal war jedoch frei und unverbaubar, wie die Gäste der Führung selbst eindrucksvoll sehen konnten. Fast alle Zimmer waren mit Balkon ausgestattet, es gab zwei Liegehallen, ein Musikzimmer und einen großen Speisesaal für gemeinsame Mahlzeiten, die als Teil der Therapie galten.

Da das von Kohnstamm und seiner Familie geführte Sanatorium großen Zuspruch bei den immer wiederkehrenden Patienten fand, beauftragte der Nervenarzt den Offenbacher Architekten Prof. Hugo Eberhardt, der sich unter anderem als Gründer des Deutschen Ledermuseums in Offenbach und als Leiter der Werkkunstschule, der heutigen Hochschule für Gestaltung, einen Namen machte, für eine Erweiterung des Gebäudes. Eberhardt, der gleichzeitig der Architekt des Bankiers Ludwig Arnold Hahn und seiner ortsansässigen Villa war, entwarf den heutigen Neubau sowohl zum Ruhm der Stadt Königstein als wohl auch zum eigenen. Er schuf einen Gebäudekomplex aus Haupthaus mit Ärztezimmer, Behandlungsräumen, Turnhalle, Pförtnerhaus und Wandelgängen sowie einen Bäderraum im Keller, Wohn- und Schlafräume unter der Dachschräge. Im Gegensatz zum kompakten Altbau orientierte sich der Neubau in Materialwahl und Bauform noch mehr an der einfach gehaltenen Landhausarchitektur der Nachbarschaft und integrierte Skulpturen mit Wasserelementen wie beispielsweise die Pinguine am Brunnen im Brunnenhof, um einen architektonischen Bezug zum Thema Wasser herzustellen.

Zentrale Bedeutung hatte dabei im gesamten Gebäudekomplex das Brunnenhaus, das als Gelenk alle Gebäude verbindet und somit alle täglichen Wege der Patienten von ihren Zimmern und dem Speisezimmer im Altbau zu Ärzten und Anwendungen im Neubau unweigerlich durch das Brunnenhaus führten. Nicht zuletzt deshalb hat sich Architekt Eberhard wohl hier wie auch am Hauptportal mit seiner Namensinschrift verewigt.

Prominente Patienten

Kaum hatte das exklusiv ausgerichtete Sanatorium seine Pforten 1905 geöffnet, da waren die 20 vorhandenen Plätze, die intellektuelle und wohlhabende Menschen ansprechen sollten, auch schon ausgebucht. Dabei schlug der Tagespreis mit 50 Goldreichsmark ganz schön zu Buche. Zum Vergleich: Eine vierköpfige Familie verfügte zu jener Zeit über 22 Reichsmark Wochenverdienst.

Kohnstamm behandelte vor allem Nervenleiden wie die damalige Modekrankheit Neurasthenie, was der Volksmund heute als „Burnout“ bezeichnet, aber auch Depressionen, Suchterkrankungen, Schlaflosigkeit und Schizophrenie. Angesichts dieser vielfach bei der Elite diagnostizierten Erkrankungen wundert es kaum, dass zu Kohnstamms Patienten vor allem auch namhafte Persönlichkeiten wie Dichter, Denker, Schauspieler, Musiker und Maler zählten.

Ein wichtiger Vermittler seiner Patienten aus dieser Künstlerszene war sein Freund Stefan George, den Kohnstamm aus der gemeinsamen Schulzeit in Darmstadt kannte und der sich wiederum als Herausgeber der „Blätter für die Kunst“ in den Kreisen der Intellektuellen bewegte.

So suchten unter anderem Ernst Hardt, Schriftsteller und erster Intendant des WDR, der manisch-depressive Dirigent Otto Klemperer, der deutsche Dramatiker Carl Sternheim, der belgische Künstler und Wegbereiter des Bauhauses Henry van de Velde und der deutsche Schriftsteller Gerdt von Bassewitz Hilfe in Königstein. Letzterer ist als Autor des Klassikers „Peterchens Mondfahrt“ bekannt geworden, den von Bassewitz tatsächlich im Sanatorium geschrieben haben soll. Auch der renommierte Berliner Kunsthistoriker Botho Graef und über ihn vor allem der bekannte Maler Ernst Ludwig Kirchner, einer der wichtigsten Vertreter des Expressionismus, der seine künstlerischen Spuren bis heute in Königstein hinterlassen hat, konsultierten Kohnstamm mehrfach.

Kunst als Therapie

Kohnstamm behandelte seine Patienten mit Hydro- und Lufttherapie in Anlehnung an Georg Pingler, dem Begründer des Kurwesens in Königstein, sowie guter Ernährung, setzte aber auch auf Suggestion bis hin zur damals modernen Hypnose. Einer der wichtigsten Therapieansätze des Nervenarztes aber basierte darauf, dass die Patienten während ihres Aufenthaltes das tun sollten, was sie am besten konnten. Gleichzeitig nutzte er diese Künste zur Unterhaltung der anderen Patienten und zur künstlerischen Ausgestaltung des Gebäudes. So bestärkte er beispielsweise Otto Klemperer darin, Klavier zu spielen, während er den Künstler Kirchner ermunterte, einen Zyklus von Wandgemälden zu erschaffen, die ihn selbst überdauern würden und die tatsächlich heute auf ewig mit der Kurstadt Königstein verbunden sind.

Ernst Ludwig Kirchner, der erstmals 1915 mit einer schweren Kriegspsychose und von Drogen gezeichnet nach Königstein kam, hatte selbst Architektur studiert und war seitdem von der Idee des Gesamtkunstwerks, einer Einheit von Architektur und Wandgestaltung, fasziniert. Kohnstamm hatte darauf bestanden, dass Kirchner während seines zweiten Aufenthaltes im Jahr 1916 fünf großflächige Wandkassetten des Brunnentreppenhauses mit Motiven bemalen sollte, die er gerne mochte. So entstand der so genannte „Fehmarn-Zyklus“, ein Zyklus von drei im Meer badenden Damen. Damit griff Kirchner gleichzeitig das in der Architektur vorgegebene Wasserthema wieder auf und nutze Skizzen, die er Jahre zuvor auf seiner Lieblingsinsel Fehmarn angefertigt hatte. 1937 wurden die Werke in der Villa Kohnstamm allerdings von den Nationalsozialisten für „Entartete Kunst“ erklärt und zerstört.

„Entartete Kunst“ wiederhergestellt

Kirchners Kunstwerke, die sich den Betrachtern aber dennoch dank Professor Dr. Hesse auch heute im Treppenhaus des Brunnenhauses offenbaren, gelten zu Recht als einer der Höhepunkte des Komplexes. Es handelt sich um schwarz-weiße Reproduktionen der einst in Blau und Gelb dominierenden, farbenfrohen Gemälde. Hesse brachte sie seinerzeit in mühevoller Arbeit mit Hilfe von textilen Foto-Reproduktionen in Originalgröße wieder im Originalmaßstab auf die Leinwände. Wie Hesse verriet, „werden die Kunstwerke sogar schon bald wieder in Farbe erstrahlen.“ Kirchner hat jedoch noch mehr künstlerische Andenken aus seiner Zeit in Königstein hinterlassen. Insgesamt 30 Skizzenbücher entwarf er, viele Zeichnungen und Holzschnitte von den Menschen im Sanatorium, aber auch von der Stadt, der Kirche und dem Taunus.

Der charismatische Kohnstamm hat also mit seinem Wirken Werke für die Ewigkeit geschaffen und Königstein zu internationaler Bekanntheit verholfen. Nach seinem Tod in Folge einer Blinddarmentzündung verkaufte seine Frau Eva den Gebäudekomplex zunächst an die jüdischen Ärzte Karl Frankl und Dr. Bernard Spinak, die das gut gehende Sanatorium unter dem bestehenden Namen bis zur zwangsweise erfolgten Schließung 1938 weiterführten. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus ebenso wie schon im Ersten Weltkrieg als Lazarett genutzt. Heute gehört der markante Gebäudekomplex einem Finanzinvestor und es bleibt mit Spannung abzuwarten, wozu die frühere „Zufluchtsstätte der Intellektuellen“ in Zukunft genutzt wird.

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