„Wie ist mir so reich und glücklich“– Romanze am Schafhof

Kronberg/Königstein – Die Musikdarbietungen des renommierten Rheingau Musik Festivals auf dem Schafhof werden sicherlich vielen Besuchern glückliche und unvergessliche Stunden bereiten. Ähnlich dürfte es wohl bereits vor über 200 Jahren einem renommierten Musikgenie, dessen Werke immer wieder beim Rheingau Musik Festival zu hören sind, in unmittelbarer Sichtweite des Schafhofs ergangen sein. Es handelt sich hierbei um Felix Mendelssohn Bartholdy (FMB), der sich am 9. September 1836 im Kronthal, in dem sich zu dieser Zeit ein kleiner Kurbetrieb befand, verlobte. Interessanterweise hält FMB, damals einer der berühmtesten Musiker Europas, in seinem als Tagebuch geführten „Schreibkalender“ für diesen Tag lediglich kurz fest: „Nach Kronthal um ½ 10. Ab ½ 9 zurück.“ Seine Verlobung erwähnt er nicht einmal! Zum Glück ist von ihm ein Brief erhalten, den er am Abend des 9. Septembers an seine Mutter geschrieben hatte, dem folgende Zeilen zu entnehmen sind: „Frankfurt a/M den 9ten Sept. 1836 – Liebe Mutter In diesem Augenblick wo ich wieder in mein Zimmer trete, kann ich nichts andres thun, als an Dich schreiben, dass ich mich jetzt eben mit Cecile Jeanrenaud verlobt habe. Mir schwindelt der Kopf, von dem was ich an diesem Tag erlebt, es ist schon tief in der Nacht; ich weiß weiter nichts zu sagen, aber ich musste an Dich schreiben. Wie ist mir so reich und glücklich…“

Abfahrt nach Kronthal

Seine Frau Cecile erinnert sich an das freudige Ereignis nochmals ein dreiviertel Jahr später, wie ihr Eintrag für den 7. Juni 1837 in das von beiden geführte „Tagebuch der Hochzeitsreise“, welches die ersten 6 Monate ihrer Ehe umfasst, zeigt: „Abfahrt nach Kronthal. Wunderschöner Weg den Berg hinab. Wie es zu steil wird steigen wir aus, und versuchen den Weg nach unseren Bäumen zu finden. Verirrung in den vielen kleinen Thälchen. Endlich kommen wir an das Gasthaus. Sehen die Stube wo zu Mittag gegessen wurde, die Bank wo wir nach Tische saßen, finden die Castanienbäume wo ich auf Felix so lange gewartet und endlich den Platz wo wir uns im vorigen Herbst versprochen.“

Cecile Jeanrenaud war 1817 in Lyon zur Welt gekommen, als ihr Vater dort gerade beruflich tätig war. Ein Jahr später kehrte die Familie jedoch wieder aus Frankreich nach Frankfurt zurück. Hier hatte Ceciles Vater bereits von 1810 an das Predigeramt an der Deutsch-Reformierten Kirche innegehabt. Die Mutter von Cecile entstammte der durch Handel wohlhabend gewordenen und in Frankfurt sehr bekannten hugenottischen Familie Souchay. Nachdem ihr gesundheitlich angeschlagener Ehemann 1819 verstorben war, kehrte die Witwe mit den Kindern in ihr Elternhaus in der Frankfurter Altstadt zurück.

FMB lernte seine künftige Ehefrau im Frühjahr 1836 kennen. Er, der 1835 zum Kapellmeister in Leipzig berufen und dort im März 1836 zum Ehrendoktor der Philosophie ernannt worden war, übernahm ab Frühjahr 1836 quasi nebenbei die temporäre Leitung des „Cäcilienvereins“ in Frankfurt.

Der Cäcilienverein wurde ursprünglich 1818 von dem renommierten Sänger und Komponisten Johan Nepomuk Scheible aus Hufingen bei Donaueschingen, der 1816 auf Vermittlung von Clemens Brentano als Musikdirektor an den Main gekommen war, als Cäcilienchor in Frankfurt gegründet. Der Name erinnert an die als Märtyrerin verstorbene Heilige Cäcilia, welche als Patronin der Kirchenmusik verehrt wird. FMB hatte bereits als 13-Jähriger Scheible in Frankfurt auf einer Reise in die Schweiz kennengelernt, um seitdem mit diesem eine lebenslange Freundschaft zu pflegen. Anfangs beriet der erfahrene Scheible den jungen FMB in vielen Aspekten zur Musik. 1832 soll sich FMB mit den Worten: „Die Leute singen mit so viel Feuer und so zusammen, dass es eine Freude ist“ über den Cäcilienverein sehr positiv geäußert haben: Kein Wunder also, dass FMB dem Chor gerne einige Kompositionen widmete, wie zum Beispiel im Jahr 1814 sein achtstimmiges „Kyrie“. 1836 sollte Mendelssohns Oratorium „Paulus“ vom Cäcilienverein uraufgeführt werden. Da Scheible aber krankheitsbedingt die Einstudierung nicht leisten konnte, wurde das Werk, das bis heute zu den meistgespielten aus der Feder des hochbegabten Komponisten gehört, erstmalig in Düsseldorf öffentlich präsentiert. FMB sprang danach für seinen erkrankten Kollegen kurzfristig ein. Dafür sagte er sogar kurzfristig seine Konzertreise nach Italien und in die Schweiz ab, nichts ahnend, welche Folgen dieser Freundschaftsdienst für ihn persönlich haben sollte.

Erquickend wie reine Himmelsluft

Unter den Sängerinnen des Chores war ihm schon bald die hübsche Cecile Charlotte Sophie Jeanrenaud aufgefallen, die als Sopranistin in dem Chor sang. Der seinerzeit sehr bekannte Sänger und Schauspieler Eduard Devirent, welcher die junge Dame kannte, beschrieb sie folgendermaßen: „Cécilie war eine jener süßen weiblichen Erscheinungen, deren stiller und kindlicher Sinn, deren bloße Nähe auf jeden Mann wohltuend und beruhigend wirken musste. Eine schlanke Gestalt, die Gesichtszüge von auffallender Schönheit.“ Eine andere Beschreibung ihres Naturells bestätigt zwar auch ihre Anmut, sieht sie aber sonst eher als naives Wesen: „Sie war nicht hervorragend geistreich, nicht tief gelehrt, nicht sehr tatenvoll, aber ihr Umgang war so wohltuend ruhig, so erquickend wie die reine Himmelsluft oder das frische Quellwasser“. Neben der Musik liebte sie wie ihr künftiger Ehemann das Zeichnen.

Junge Liebe

Und so kam es, wie es wohl kommen musste. Der berühmte Musikvirtuose verliebte sich rasch in die junge Sängerin, ob erst bei den Chorproben im Cäcilienverein oder schon sogleich während seines Antrittsbesuchs bei der Familie Souchay am 4. Mai 1836 sei dahingestellt. Cecile glaubte wohl anfangs, dass der Musiker mehr an ihrer Schwester Julie interessiert gewesen sei als an ihr. Nicht anders ging es FMB, wie ein Brief von ihm an seine Schwester Rebecca vom 24. Juli 1836 zeigt. Darin offenbarte der frisch Verliebte seine Gefühle: „Ich bin so entsetzlich verliebt, wie noch niemals in meinem Leben, und ich weiß nicht, was ich anfangen soll. Übermorgen soll ich von Frankfurt abreisen, mir ist aber, als kostete das den Hals, ich will in jedem Fall vor Leipzig wieder hier sein, um dies gar zu nette Mädchen noch einmal zu sehen, aber ob sie sich etwas aus mir macht, das weiß ich eben gar nicht.“ Doch die gegenseitigen Zweifel lösten sich schnell in Luft auf, denn nicht einmal zwei Monate später waren die beiden verlobt. Am 28. März 1837 folgte die Hochzeit in der Kirche, in welcher einst Ceciles Vater gepredigt hatte. Elf Monate später kam das erste Kind auf die Welt, dem noch vier weitere folgen sollten.

Walter A. Ried

Felix Mendelssohn Bartholdy

Foto: Abteilung Kommunikation und Marketing Bad Soden



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