Schneidhain (nd) – Am vergangenen Sonntag war es wieder so weit – das Heimatkino in Schneidhain öffnete seine Pforten. Wie schon in den beiden vergangenen Jahren war das Interesse groß, und so waren rund 250 Besucher in die Heinrich-Dorn-Halle gekommen, um die filmischen Zeugnisse des Schneidhainer Dorflebens zu sehen. Organisiert wird die Veranstaltung vom Heimat- und Brauchtumsverein Schneidhain (HBV). Der Verein bekommt die Filme vom Königsteiner Stadtarchiv zur Verfügung gestellt. Der passionierte Hobbyfilmer Hubert Müller hatte in den 70er und 80er Jahren wichtige Ereignisse rund um Schneidhain, aber auch das Alltagsleben, auf Kamera gebannt. Seine Frau hatte die Aufnahmen nach seinem Tod im Jahr 1990 an das Stadtarchiv in Königstein übergeben.
Der Duft von Popcorn zog durch die Heinrich-Dorn-Halle, als der Zweite Vorsitzende des HBV, Oliver Ernst, die Besucher begrüßte. Stilecht konnte man bei den Kerbemädels zusätzlich Eiskonfekt erwerben.
Das Jahr 1975 – die „Fohlenelf“ wird Deutscher Meister
Wir schreiben das Jahr 1975. Helmut Schmidt (SPD) ist Bundeskanzler und an den Kiosken in Deutschland kann man die erste Ausgabe des Comic-Magazins „Yps“ erstehen. Die dem Heft beiliegenden Gimmicks sollten fortan die jungen Leser begeistern. Im Jahr 2000 wurde die Herausgabe schließlich eingestellt. Doch nicht nur für Comic-Fans war es ein gutes Jahr. Auch die Anhänger von Borussia Mönchengladbach kommen voll auf ihre Kosten. Der Fußballverein, der in den 1970er Jahren den Spitznamen „Fohlenelf“ bekommt, wird Deutscher Meister. Den Beinamen erhält die Mannschaft dank ihrer temporeichen und offensiven Spielweise. Mit vorwiegend jungen Spielern dominiert der Verein zu dieser Zeit die Bundesliga. Im Radio laufen derweilen die Nummer-1-Hits „Paloma Blanca“ von der George Baker Selection, „Fox on the Run“ von The Sweet und – natürlich unvergessen – „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens, rauf und runter.
1975 – Bebauungsplan zur Bebauung des Bangerts bewegte Schneidhain
Vor dem eigentlichen Film wurden noch einige Werbespots aus dem Jahr 1975 gezeigt. Die neuesten Produkte wurden darin beworben. Allein die Aufmachung der Werbeclips sorgt heute für Kopfschütteln und Erheiterung.
Die Schneidhainer bewegten indes ganz andere Dinge. Die geplante Bebauung des Bangerts sorgte für Aufregung, sowohl bei Schneidhainern als auch bei Königsteiner Bürgern. Das Gelände war fünf Jahre zuvor für den Preis von 13 Millionen Mark an die Hoechst AG verkauft worden. Von der ersten Rate in Höhe von 6,5 Millionen Mark kaufte die Stadt Königstein Flächen am Schloss und am Burghain, östlich des Kreisels, in der Siedlung für sozialen Wohnungsbau, sowie im Bereich Woogtal und Freibad. Als im Jahr 1974 ein neuer Flächennutzungsplan für den Bangert vorgelegt wird, der eine Erweiterung des Baugebiets von 14,5 auf 32 Hektar vorsieht, regt sich Widerstand in der Bevölkerung. Wohnraum für 2.300 Personen sollte hier entstehen. Im Februar 1975 kommen 150 Königsteiner zusammen, um die Bürgerinitiative „Rettet den Bangert“ zu gründen. Nach jahrelangem Hin und Her billigt die Stadtverordnetenversammlung 1988 schließlich die ausgehandelten Bedingungen zur Rückabwicklung des Verkaufs des Bangerts zwischen der Hoechst AG und der Stadt Königstein. Mehrere Beteiligte aus dieser Zeit waren in den Filmen des Heimatkinos zu sehen, unter anderem sah man ein Interview mit dem damaligen Bürgermeister Antonius Weber. „Die Bebauung wird sich herrlich in die Landschaft einfügen“, sagte Weber im Interview. Es waren Erinnerungen an Pläne, die Schneidhain dauerhaft verändert hätten.
Einschulung, Jugendfeuerwehr und die Kerb
Natürlich hatte Hubert Müller im Jahr 1975 nicht nur Politisches gefilmt. Für Erheiterung im Publikum sorgte die alljährliche Fahrt eines Schneidhainers zum Mainzer Rosenmontagsumzug. Dieser hatte sein bunt bemaltes Boot für den Umzug kurzerhand auf das Dach seines Autos geschnallt – das wäre heute wohl in der Form nicht möglich. Ein Kinderfest mit Eierlaufen, die Dornröschenaufführung im Kindergarten und eine Übung der Jugendfeuerwehr brachten die Besucher ebenfalls zum Lachen. Gemurmel ging durch die Heinrich-Dorn-Halle, denn viele Gäste erkannten sich, sowie Bekannte und Verwandte auf den alten Aufnahmen. Die Schnaademer Kerb durfte selbstverständlich auch nicht fehlen. Diese war der heutigen Kerb schon sehr ähnlich – sogar den Autoscooter und das Kinderkarussell gab es damals schon. Genauso wie den Kerbeumzug und den Kerbaum. Nur einer fehlte. „Wo ist denn der Schlagges? Das kann passieren, wenn man zu tief ins Glas schaut“, so Filmsprecherin Irene Riedel, während die Kamera auf den leeren Stuhl im Kerbebaum gerichtet war. Ein seltener Anblick, auch damals schon, war ein Landwirt, der seine Felder noch mit Ochsen bestellte.
Die folgende 20-minütige Pause nutzten die Besucher, um sich eine frische Portion Popcorn bei Anja und Michael Frick zu holen. Ein kühles Getränk durfte natürlich auch nicht fehlen. Auf die kleine Ausstellung in den Fenstern der Heinrich-Dorn-Halle konnte man während der Pause ebenfalls einen Blick werfen. Dort waren hölzerne Schießscheiben zu sehen, die von der Schneidhainerin Erika Wahl bemalt worden waren und dem HBV von Familie Gehrke für das Heimatkino zur Verfügung gestellt wurden.
Das Jahr 1985 – Boris Becker gewinnt Wimbledon
„Wer war denn 1985 Bundeskanzler?“, fragte Oliver Ernst die Zuschauer. Es war Helmut Kohl (CDU), der 1982 auf Helmut Schmidt gefolgt war und bis 1998 Kanzler bleiben sollte. Im Jahr 1985 wurde Michail Sergejewitsch Gorbatschow Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und läutete die Überwindung des Kalten Krieges ein. Der Amerikaner Robert Duane Ballard entdeckte das Wrack der Titanic, das seit ihrem Untergang im April 1912 verschollen war. Auch sportlich freuten sich die Deutschen wieder über Erfolge. Gerade mal 17-jährig gewann Boris Becker das Wimbledon-Turnier. Die Nummer-1-Hits, die nun nicht mehr nur im Radio, sondern auch im Fernsehen liefen, hat heute noch jeder im Ohr. „You‘re My Heart, You‘re My Soul“ von Modern Talking, „Live Is Life“ von Opus und Falcos „Rock Me Amadeus“ konnte damals wohl jeder mitsingen.
Schneidhain im Jahr 1985 - Circus Althoff und neuer Sportplatz
Die Werbespots aus dem Jahr 1985 zeigten mit dem Computerspiel „Space Invaders“ den neuesten Schrei, und Milchschnitte warb mit dem „Pausenbrot, das Kinder wirklich gerne essen“.
So manch ein Schneidhainer mag sich noch daran erinnern, als im Jahr 1985 der Circus Althoff zu Besuch kam. Was heute undenkbar scheint, war damals ein Publikumsmagnet – der Zirkus hatte zwei Elefanten, zwei Kragenbären, einen Eis- und einen Braunbären, eine Gruppe von sechs Schimpansen und mehrere Löwen. Bis heute reisen mehrere Zirkusse unter dem Namen Althoff, allerdings nicht mehr mit exotischen Tieren.
Weitere Höhepunkte im Dorfleben waren das Schlittenfahren am Rodelberg, die Leichtathletik-Stadtmeisterschaften, der Martinsumzug und die Einweihung des neuen Sportplatzes, der dort lag, wo heute der Netto steht. Die Jugendfeuerwehr feierte ihr 10-jähriges Bestehen und Otto Katzer wurde als Ortsvorsteher verabschiedet. Dieser hatte einen langen Kampf im Ortsbeirat um eine bessere Beschrankung des Bahnübergangs an der Wiesbadener Straße geführt, was ihm den Spitznamen „Halbschranken-Otto“ einbrachte.
Sein Nachfolger als Ortsvorsteher wurde Walter Sambeth. Die Bahnübergänge und deren, möglichst geräuschlose, Sicherung sind bis heute Thema in Schneidhain und auch im Ortsbeirat. Die Schnaademer Kerb musste im Jahr 1985 auf die Kerbeborsch verzichten, es gab schlichtweg keine. Dafür besuchte Burgfräulein Ulrike mit ihrem Gefolge die Kerb. Auf den Kerbebaum musste indes nicht verzichtet werden: Den stellte die Freiwillige Feuerwehr auf. Auch ein Interview mit Heinrich Dorn war filmisch festgehalten worden. Dieser war von 1945 bis 1970 Bürgermeister von Schneidhain. Von den Amerikanern eingesetzt, war er Schneidhains erster Bürgermeister nach dem Zweiten Weltkrieg.
Königstein
Aufnahmen aus Königstein bekam man ebenfalls zu sehen. Die Bands „Hammerschmitt“ und „Flatsch“ traten bei Rock auf der Burg auf, das damals von der Open Air AG Königstein organisiert wurde. „Es verlief alles äußerst friedlich und diszipliniert“, kommentierte Hubert Müller im Video, auch wenn er den Musikgeschmack nicht unbedingt zu teilen schien.
Fazit
Das Publikum war auch in diesem Jahr begeistert von den Filmaufnahmen und der gesamten Veranstaltung – sicher werden sie im nächsten Jahr wiederkommen. Hubert Müller hat sich mit den Aufnahmen nicht nur selbst ein Denkmal gesetzt, sondern allen Schneidhainern, die darauf zu sehen sind.
Der Zweite Vorsitzende des Heimat- und Brauchtumsvereins, Oliver Ernst, begrüßte das Publikum und moderierte durch die Veranstaltung. Foto: Diehl
Popcorn darf bei einem Kinobesuch einfach nicht fehlen. Es wurde von Michael und Anja Frick verkauft.Foto: Diehl
Unter den Ausstellungsstücken war auch eine Baumscheibe des Kerbebaums von 1990.


