„Gute Seele“ der Unternehmerfamilie Nauheim feierte 100. Wiegenfest

Die Jubilarin Johanna Nauheim mit einem Teil ihrer sechs Enkel und bisher 13 Urenkelkinder anlässlich der Geburtstagsfeier im Schlosshotel Kronberg. Die jüngsten der Familie überraschten das Oberhaupt mit gelben und roten Rosen. Foto: S. Puck

Kronberg (pu) – Am 28. Dezember letzten Jahres hat mit Johanna Nauheim eine Frau ihren 100. Geburtstag gefeiert, die durch ihr ausgleichendes Wesen, ihre Herzlichkeit und ihre Umsichtigkeit großen Anteil am Werdegang der bekannten Kronberger Unternehmerfamilie hat, die nach den Worten von Bürgermeister Klaus Temmen, der aus Krankheitsgründen nicht an der Geburtstagsfeier im Schlosshotel teilnehmen konnte, jedoch durch Stadträtin Brigitte Möller die herzlichsten Glückwünsche überbringen ließ, „die Entwicklung der Burgstadt mitgeprägt hat“.

Geboren wurde die Jubilarin in Braubach, doch schon im zarten Alter von zwei Jahren kam sie nach Ende des Ersten Weltkrieges mit ihrer Familie nach Kronberg im Taunus. Nach dem Schulbesuch entschied sie sich ihren Neigungen entsprechend für eine Schneiderlehre. Ihr Talent wurde von einem der bekanntesten damaligen Frankfurter Damenschneider-Betriebe erkannt und gefördert und von Seiten des Arbeitsgebers honorierte man ihre Leistungen vor allem durch die Übernahme am Ende der Lehrzeit.

Eine Wende in ihrem Leben bahnte sich an, als sie „bei Onkel Gustav auf dem Doppes“ den in Darmstadt geborenen Heinrich Nauheim kennenlernte, der nach Beendigung einer Lehre als Kfz-Mechaniker von Pioniergeist erfüllt 1931 in der Hainstraße 1a, eine kleine Tankstelle samt kleiner Werkstatt zur Instandsetzung von Fahrzeugen aller Art gegründet hatte. Der stattliche, tatkräftige junge Mann verstand sein Handwerk vortrefflich, der heranwachsende Betrieb florierte trotz der wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Zwei tatkräftige Menschen hatten sich gefunden, so unterschiedlich sie vom Charakter her auch waren. Das junge Paar heiratete am 25. September 1937 in der Kirche St. Peter und Paul. Die frisch gebackene Ehefrau half fortan im eigenen Betrieb, erledigte die anfallenden kaufmännischen Arbeiten, empfing und betreute mit ihrer herzlichen und einfühlsamen Art neben der Kundschaft die Angestellten, für die sie als „gute Seele des Hauses und Kummerkasten“ stets ein offenes Ohr hatte. Unter ihrer Regie kam auch die Geselligkeit nicht zu kurz. „Um ein Lager zu erschaffen, braucht es 100 Männer, um ein Heim zu erschaffen, braucht es jedoch nur eine Frau“, brachte es Michael Nauheim, „Dienstältester“ von insgesamt sechs Enkeln, wie er es launig ausdrückte, im Verlauf der Geburtstagsfeier mit einem bekannten Zitat auf den Punkt. Das „Heim“ bezog sich sowohl auf das berufliche als auch das private Umfeld.

Die Geburt des Sohnes Günter 1939 krönte das junge Glück, das jedoch durch den ausbrechenden Zweiten Weltkrieg und den Einzug Heinrichs zur Wehrmacht im Jahr darauf bangen Zeiten entgegensah. An eine Weiterführung des Betriebs war vorerst nicht mehr zu denken. Die Ehefrau begleitete vielmehr ihren Mann nach Hildburghausen, wo er als Ausbilder in der Militärschule seinen Dienst verrichtete. 1941 erblickte mit Töchterchen Gisela das einzige Mädel des insgesamt dreiköpfigen Nauheim-Nachwuchses das Licht der Welt, dem 1947 noch der zweite Sohn Peter folgen sollte.

Nach dem Ende des Krieges, überstandener Gefangenschaft und der Rückkehr in die Burgstadt, wurde der Betrieb umgehend wieder aufgenommen.

1949 traf der Firmenchef eine weitere wegweisende, zukunftssichernde Entscheidung mit der Übernahme einer Vertragshändlerschaft für die Marke Ford, was nur vier Jahre später den Erwerb des Hauses und Grundstücks in der Frankfurter Straße 15 nach sich zog, um dem wachsenden Platzbedarf Rechnung zu tragen. 1960 folgte ein Neubau entlang der Bahnhofstraße, der 1965 um ein weiteres Stockwerk erweitert wurde. Zu Nauheims Kundschaft zählte seinerzeit auch viel Prominenz, darunter, wie Brigitte Möller als langjährige Wegbegleiterin sich erinnerte, beispielsweise der damals in der Burgstadt wohnhafte Schauspieler und Fernsehmoderator Hans-Joachim Kuhlenkampff. 1970 der nächste Meilenstein in der Familien- und Unternehmergeschichte mit der Inbetriebnahme einer 1.200 Quadratmeter großen Werkstatt im Eschborner Industriegebiet mit 20 Arbeitsplätzen, Ersatzteillager und Büroräumen. Sechs Jahre später zogen sich Heinrich und Johanna Nauheim endgültig aus dem Berufsleben in den verdienten Ruhestand zurück, legten die Verantwortung in die Hände des ältesten Sohns Günter und gingen häufiger als in der Vergangenheit auf Reisen, einer ihrer gemeinsamen Leidenschaften, bis der Tod Heinrichs im August 1985 den gemeinsamen Lebensweg beendete.

Inzwischen umfasst der engste Familienkreis der Jubilarin neben den drei Kindern und sechs Enkelkindern 13 Urenkelkinder und das 14. ist gerade unterwegs. Selbstredend hatte sie trotz veränderter beruflicher Laufbahn Nähnadel und -maschine viele Jahre jederzeit zur Hand. Ihr Leben lang hat Johanna Nauheim viel Kraft aus ihrem starken Glauben gezogen. Sie war früher Mitglied im Kirchenchor, singt nach wie vor leidenschaftlich gerne und hat, wie ihre Schwiegertochter aus dem Nähkästchen plauderte, anlässlich der goldenen Hochzeit von Monika und Günter vor einem Jahr ein mehrstrophiges Gebet, das sie schon als junges Mädchen begleitete, aufgesagt. „Sie hat sich vom Pfarrer während des Gottesdienstes das Mikrofon geben lassen und uns alle damit beeindruckt“, ließ Monika Nauheim diesen emotionalen Augenblick Revue passieren. Nach einem ereignisreichen Jahrhundert mit sämtlichen Höhen und Tiefen sind der Jubilarin vor allem viele, fröhliche Stunden im Familien- und Freundeskreis in Erinnerung geblieben und obwohl sie mittlerweile ihre Beine nicht mehr tragen, lebt sie nach wie vor im eigenen Haus, nimmt möglichst häufig Anteil am Familienleben, genießt beispielsweise im Sommer gerne bei einem Gläschen Äppler oder alkoholfreies Bier auf der Terrasse ihres Sohnes und dessen Frau und den schönen Blick auf Schönberg. Die Jubilarin, die nach wie vor auch Mitglied in der CDU Kronberg ist, weiß die Geschicke der Eschborner und Kronberger Niederlassungen bei den Enkeln Stefan und Michael in besten Händen und blickt mit Stolz und Freude auf die große Familie.



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