Kronberg (pf) – Dass die Kronberger sich noch heute so sehr für das Haus Hessen interessieren, konnte ein Gast der Veranstaltung im Kronberg Treff in der Receptur nur schwer nachvollziehen. Er stammt aus einem kleinen Ort in Niedersachsen, unterhalb des Welfenschlosses Marienburg. „Aber für die Welfen und ihre Geschichte interessiert sich bei uns kaum jemand“, meinte er.
Das ist in Kronberg anders. Zu dem Vortrag von Heinz Grossmann über die „Kaiserlichen Anverwandten und das ‚neue‘ Haus Hessen“ waren so viele Gäste erschienen, dass die Stühle und Sitzgelegenheiten in dem kleinen Raum nicht ausreichten und einige Besucher im Stehen den Ausführungen des früheren Fernsehredakteurs lauschen mussten.
Nicht zum ersten Mal beschäftigte sich Heinz Grossmann mit dem Hochadel in Hessen, der ihn als historisches Machtzentrum wie in seiner gesellschaftlichen Rolle stets interessierte. Dieses Mal ging es um die Enkel und Urenkel von Kaiser Friedrich III., dem 99-Tage-Kaiser, der mit der ältesten Tochter der englischen Queen Victoria verheiratet war. Nach seinem Tod erbaute sie sich ihren Witwensitz in Kronberg, weitab von Berlin und ihrem ältesten Sohn Kaiser Wilhelm II., mit dessen Politik sie nicht einverstanden war. Sie hatte mit ihrem Mann eine liberale Monarchie in Deutschland schaffen wollen. Durch sie wurde die kleine Stadt Kronberg zu einem Ort, an dem sich der Hochadel ein Stelldichein gab.
Nach der Besetzung Kronbergs durch die Amerikaner Ende März 1945 wurde das Schloss, das Kaiserin Victoria, die sich Kaiserin Friedrich nannte, ihrer jüngsten Tochter, der Landgräfin Margarethe von Hessen vermacht hatte, beschlagnahmt. Alle Bewohner, darunter neun Kinder und Jugendliche, mussten das Schloss verlassen und irrten nachts durch Kronberg auf der Suche nach einem Schlafplatz. Sie alle waren Großnichten oder Großneffen des letzten deutschen Kaisers und Urenkel des 99-Tage-Kaisers Friedrich III..
Diese bewegende Szene las Wilma Aden-Grossmann aus einem Buch von Tatiana von Metternich vor.
Aber sie zitierte auch aus anderen Büchern über das Haus Hessen, so von Barbara Beck, die über „Wilhelm II. und seine Geschwister“ schrieb, von Prinz Rainer von Hessen aus seinem Buch „Die Hessens“ und aus den Aufzeichnungen von Prinz Wolfgang von Hessen, die es nur in wenigen Exemplaren gibt. Eines davon besitzt die Kronberger Stadtbücherei.
Heinz Grossmann berichtete über die Söhne von Landgräfin Margarethe von Hessen, die zweimal Zwillingssöhne zur Welt brachte, Philipp und Wolfgang sowie Christoph und Richard. Sie alle waren Nationalsozialisten. Christoph kam im Oktober 1943 bei einem Flugzeugabsturz in Italien ums Leben. Sein Zwillingsbruder Richard, Chef des NSKK, des Nationalsozialistischen Kraftfahrzeugkorps, verlor seinen Posten im Oktober 1943 und hatte danach nur noch technische Funktionen inne. Philipp, der enge Verbindungen zu Hitler unterhielt, wurde zusammen mit seiner Frau Mafalda, einer Tochter des italienischen Königs Victor Emmanuell III., im Oktober 1943 in KZ-Haft genommen. Mafalda, die in einer Baracke beim KZ Buchenwald untergebracht war, starb nach einem Luftangriff. Philipp, der unter anderem im KZ Flossenbürg und Dachau war, überlebte und kam 1945 wegen seiner prominenten Rolle im NS-Regime für zwei Jahre in alliierte Haft. Wolfgang war ab 1933 Landrat im Obertaunuskreis, ein Amt, das er nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst 1943 wieder übernahm.
Nach der Besetzung Kronbergs am 29. März 1945 wurde Schloss Friedrichshof von der US-Armee beschlagnahmt und zunächst als Truppenunterkunft, später als Offiziersklub und zeitweilig als Residenz des Oberkommandierenden der US-Armee in Europa, von General Dwight D. Eisenhower genutzt. Der Schmuck der Landgrafen von Hessen, der früher in einem Bankfach in Frankfurt lag, war im Krieg im Keller von Schloss Friedrichshof versteckt, erzählte Heinz Grossmann. Dieses Versteck war vom Personal den Amerikanern verraten worden. Sie brachten die Schmuckstücke an sich – ein Diebstahl, der ein gerichtliches Nachspiel hatte. Drei amerikanische Offiziere kamen deswegen später vor ein Militärgericht und wurden verurteilt. Aber nur etwa ein Bruchteil des Schmucks, der von den Amerikanern fälschlich als Kronjuwelen bezeichnet worden war – in Wahrheit waren sie Eigentum der Landgräfin Margarethe von Hessen - , kam später wieder zurück in den Besitz des Hauses Hessen. Nach dem Prozess, berichtete Grossmann, sollte der verbliebene Schmuck eigentlich wieder nach Washington D.C. gebracht werden. Aber einer der Amerikaner bot Prinz Wolfgang an, ihm für ein Viertel des Werts den Schmuck zu besorgen – ein Geschäft, auf das dieser tatsächlich einging.
Als die Amerikaner Schloss Friedrichshof besetzt hatten, so Grossmann, baute ein Königsteiner Schreiner für sie eine Kiste nach der anderen, in denen Wertgegenstände aus dem Schloss in die USA verschickt wurden. Nur ein Bruchteil der „Beute“ kam später wieder zurück nach Kronberg.
Später war es Prinz Philipp, der im Schloss Fasanerie dem großen kulturellen Erbe des Hauses Hessen ein würdiges Domizil gab, während sein Zwillingsbruder Prinz Wolfgang die erforderlichen Kredite besorgte, berichtete Heinz Grossmann.
Wolfgang war es auch, der die Idee hatte, gegenüber der Frankfurter Messe, wo sich ein florierender Würstchen-Imbiss befand, den „Hessischen Hof“ zu bauen, ein Hotel, das heute zu den führenden Häusern Frankfurts gehört.
Es waren viele interessante Details, die Heinz Grossmann seinem Publikum erzählte, das nicht nur interessiert zuhörte, sondern selbst auch einige Erinnerungen zu einem Nachmittag beisteuern konnte, der Geschichte lebendig werden ließ.
Wilma Aden-Grossmann und Heinz Grossmann zitierten und erzählten im vollbesetzten Kronberg Treff in der Receptur vom Haus Hessen und seine Kriegs- und Nachkriegsgeschichte.
Foto: Wittkopf