Lesepapst Denis Scheck beschließt Kronberger Lesefestival

Denis Scheck verriet den Kronberger Lesern, was man lesen sollte und was nicht und warum wir Bibliotheken brauchen.
Foto: Wehle

Kronberg (gw) – Kurz vor Eröffnung der siebzigsten Ausgabe der Buchmesse in Frankfurt gab sich Literaturkritiker Denis Scheck die Ehre in der Stadtbibliothek des sonnigen Taunusstädtchens Kronberg. Der gebürtige Stuttgarter sei das „Produkt von Bibliotheken im Allgemeinen“, denn schon seit zartesten Jugendtagen waren Büchereien sein Zuhause und nährten seinen Wissensdurst. Sie schulten seinen Geist wie eine „Tankstelle des Geistes“, so hat es auch Helmut Schmidt einmal genannt. Mit holden 13 Jahren gab er bereits eine Schülerzeitschrift heraus, so skizziert Scheck einleitend seinen Werdegang.

Seinem Ruf als kritischer Geist wurde er bereits in den ersten Minuten gerecht: Als Herr über das gedruckte Wort und gleichzeitig Meister des Gesprochenen nahm er sich erst einmal vollmundig pointiert die Spiegel „Bestsellerliste“ vor, ja betitelte diese sogar als semantisches Missverständnis. Denn hier findet der geneigte Leser keineswegs die besten Bücher – sondern eben die meistverkauften – seines Erachtens literarischer „Massengeschmack“. So will er dieses Ranking eher als Warnung denn als Empfehlung verstanden wissen. Niemanden wunderte es, dass es eine selbst ernannte „Spottliste“ mit einigen der bekannten Autoren gibt, für die Scheck nach kritischer Lektüre überhaupt keine Sympathie finden konnte. Negativ aufgefallen darunter auch der Rapper-Autor „Kollegah“, der die Liste mit „Das ist Alpha!“ mit seinen zehn Boss-Geboten anführt, der seinen Fans sogar empfiehlt mit dem Grübeln aufzuhören. Das erregt bei Denis Scheck heftigen Widerspruch: „Eine literarische Todsünde! Fangt an zu Grübeln“, lautet sein Credo.

Überhaupt sei der ungebrochene Trend zu Ratgebern für ihn bloß schreckliche Selbstdarstellung, ob es sich um „Kann weg“ (Susanne Fröhlich) oder eben von Kollegah, dem selbstherrlichen deutschen Rapper handelt, der den Echo-Preis zum Einsturz brachte. Als Scheck mit süffisantem Ernst dem gesitteten Kronberger Publikum derbe Ausdrücke wie „ungefickte Lauchs“ um die Ohren haute, herrscht erstmal Schweigen im Raum.

Denis Scheck nimmt die deutsche Sprache sehr ernst und verliert bei unsäglichen Aussagen jedes Vertrauen und Respekt vor dem Autor, beispielsweise wenn er Aussagen wie diese liest: „Er war die Sonne seiner eigenen Galaxie“. Das wäre eine völlige Irreführung des Lesers, da bekannt sei, dass jede Galaxie mindestens Tausende von Sonnen hervorbrächte. Gleichermaßen niederschmetternd seien die Erkenntnisse aus der Lektüre von Donald Trumps „The Art of the Deal“ und er hat keinerlei Scheu, auch Werke von Literaturpreisträgerinnen wie Nino Haratschwilis „Die Katze und der General“ als misslungenes Buch zu kritisieren. Überhaupt sind ihm die rund 700 Literaturpreise in Deutschland viel zu viel. „Da ist man so in Not, dass man auch mich mit einem Preis bedachte“, kommentierte er seine zahlreichen Auszeichnungen, darunter der Deutsche Buchpreis und plädiert aber dafür, dass man lieber weniger, dafür aber höher dotierte Preise vergibt.

Aber dann holte er doch noch einige Bücher aus dem Stapel, die man unbedingt kennen muss. Darunter „Der Spaß an der Sache“ von David Foster Wallace, einem der bedeutenden, innovativen amerikanischen Erzähler, diese Essays stecken so voller großartiger Wortspiele und glänzender Selbstironie. Die schräge Kreuzfahrt-Reflexion „Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich“ vom selben Autor sollten alle, die eine Kreuzfahrt planen, vorher gelesen haben. In Daniel Kehlmanns (sein Bestseller: Die Vermessung der Welt) „Tyll“ versetzt der Autor die Figur des Till Eulenspiegel in verschiedene Rollen während des Dreißigjährigen Krieges. Vor dem Hintergrund einer aus den Fugen geratenen Welt verwebt der Autor Schicksale zu einem wundervollen Zeitepos, sprachtrunken, bildersatt und verzaubernd geschriebenen, ein hinreißendes Meisterwerk Kehlmanns. Einer der Gründe, warum wir so gern Märchen lesen sei, weil wir darin nicht nur erfahren, dass es Drachen gibt, sondern dass wir sie auch besiegen können, so erklärte es Scheck.

Wunderbar fesselnd ist „Heimat“ von Nora Krug, das sich als deutsches Familienalbum versteht. Auf der Suche nach ihren deutschen Wurzeln hat die preisgekrönte Illustratorin und Autorin sich mit ihren deutschen Wurzeln und der Nazivergangenheit auseinander gesetzt. In sechsjähriger Puzzlearbeit entstand ein fast dreihundert Seiten starkes Buch in Bild und Handschrift – sehr lesenswert! Scheck geriet ins Schwärmen, wenn er von der in Buenos Aires geborenen Maria Cecilia Barbetta und ihrem neuen Buch „Nachtleuchten“ sprach, das von den Wirren des politischen Umsturzes 1974 in Buenos Aires handelt. Es habe auch sein Leben verändert, so Scheck, und meint eine Anekdote, in welcher der Mechaniker der Autowerkstatt (er ist eigentlich Schriftsteller) ein Schild an der Garage anbringt „Einfahrt freihalten – Freiheit aushalten“ … diese bemerkenswerte Weisheit wolle Scheck sich auch an seine Garage heften.

Dieser literarische Vormittag war ein komprimierter Galopp durch 50 Bücher in 90 Minuten. Das ist schon eine Leistung und wen die vollständige Liste der vorgestellten Bücher interessiert, kann diese bei Dirk Sackis in der Kronberger Bücherstube nachfragen. Dort sind alle Neuheiten und viele weitere Publikationen vorrätig.

Am Ende fasste Scheck zusammen: „Der Kreisel muss sich drehen, damit er nicht umfällt“, so sei nun mal die Buchbranche und er empfiehlt auf jeden Fall einen Gang über die Buchmesse, um die eigene literarische Intelligenz auszubilden. Schmunzelnd fügte er hinzu: „Glauben Sie uns Kritikern gar nichts!“. Die Begegnung mit Denis Scheck war eine herrliche Reise durch die Welt der Bücher mit vielen süffisanten Bemerkungen über das Gute, Schöne und Wahre, beste Orientierung inklusive, die aber nicht vor dem Selbstlesen bewahre.



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