Schwanengesang in St. Johann

In ein „Land weit hinter den Sternen“ ließ sich am Sonntagabend das Publikum mit „Reiseleiter“ Bernhard Zosel, dem St. Johann vocal und dem Orphelian-Quartett gern entführen.
Foto: Hackel

Kronberg (aks) – Am Sonntag nach Halloween, Allerheiligen und Allerseelen lud St. Johann zu einem Konzert für Chor und Streicher ein, das es in sich hatte. Wie immer war es eine Wohltat in der stillen spätgotischen Kirche zu sitzen und zu innerer Einkehr zu finden, nach einem sehr heißen und dürren Sommer und noch vor dem großen Weihnachtsrummel, der uns in sieben Wochen erwartet und schon so manche fühlbare Woge schlägt. Die Tage werden wieder dunkler und der Monat November lädt wie jedes Jahr in besonderem Maße ein, sich auf das Jahresende vorzubereiten, ja, sogar auf das eigene Ende. „Ein Land weit hinter den Sternen“ versprach eine spirituelle Reise ins Unbekannte und jeder, der sich darauf einließ, erlebte einen musikalischen Höhepunkt dieses Kirchenjahres unter der Leitung von Bernhard Zosel. Dem Spiritus rector war es gelungen das Orphelian-Quartett aus Frankfurt mit Elisabeth Weber, Violine, Almut Frenzel-Riehl, Violine, Lisa Weiß, Viola, Tine Schwark, Violoncello und als Fünfte im Bunde Sarah von Götze am Kontrabass zu gewinnen für einen Psalmen-Abend mit Werken von Bach, Liszt, Brahms und sechs Motetten des Briten Charles Hubert Parry, die er als „Songs of Farewell“ betitelte, ein sehr melodischer Schwanengesang. Der Chor St. Johann vocal bot mehrstimmige a cappella-Höchstleistung, vorgetragen in altem Englisch. Man konnte den Klang des „Lands hinter den Sternen“ hören. An diesem Abend mit dabei war der lyrische Bariton Peter Anton Ling, der sich bescheiden zwischen den anderen Chorsängern einreihte.

Diese Bibel-Psalme sind alle Ausdruck des sehnlichen Wunsches des Menschen, nicht im Fegefeuer zu enden, nach dem Tod wieder erweckt und vor dem Vergessen bewahrt zu werden. Verzweifelt ruft der Mensch nach Gott, der allzu lange schweigt und den Sterblichen so zu Tode ängstigt. Bei Johann Sebastian Bach, der kurzum Pergolesis „Stabat Mater“ für den 51. Psalms umdichtete und die Musik um eine Viola ergänzte, klingt das sehr würdig, sehr gesetzt, ohne zu viel der italienischen barocken Opulenz. Das ist wunderschöner Gesang voller Inbrunst: „Tilge, Höchster, meine Sünden!“. Große Frömmigkeit und Demut klang auch an in „Laudate dominum“, Psalm 116, den Liszt für die Krönung des österreichischen Kaiserpaars zu König und Königin von Ungarn komponierte. Im Wechsel dazu brachte der Chor die selten aufgeführte Kirchenmusik von Parry zu Gehör mit einer konstanten Gesangsleistung auf hohem Niveau. Das Orphelian-Quartett erhellte den Kirchenraum mit Haydns Streichquartett Es-Dur opus 20,1 von 1772, ein Meisterwerk des Avantgardisten, das in seiner Zeit konkurrenzlos dastand und selten aufgeführt wird. Dieses musikalische Juwel brachte das Orphelian-Quartett mit feiner einfühlsamer Spielweise und harmonischem Miteinander zum Leuchten – strahlende Musik für dunkle Tage! Das Quartett, das sich mit authentisch historischen Instrumenten und dem originalen Klang der Zeit beschäftigt, spielt regelmäßig in unterschiedlichen Ensembles und Orchester, wie auch im Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Ein Höhepunkt war Brahms 13. Psalm, ein Gebet, ein inniges Flehen, Gott möge sich dem Menschen in all seiner Güte zuwenden, damit der Tod nicht obsiegt und damit Feinde die Macht über den Einzelnen verlieren. Der dreistimmige Frauenchor klang überwältigend mit vielen kraftvollen Einzelstimmen, die in erstaunlichem Tempo diese Tour de force bewältigten. Der Applaus war entsprechend und würdigte auch Zosels höchsten Einsatz.

Das Finale ist Parry gewidmet mit dem berühmten Psalm 39: „Herr lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss“, bei dem man unwillkürlich an den ergreifenden Passus aus dem Brahms-Requiem denken muss, eine von „Ernst, Würde und Zuversicht getragene Musik für die Lebenden“. Parry ließ sich von Brahms’ bittersüßer Musik nicht verführen, seine Komposition zeugt von einer leisen Hoffnung, die auf Gottvertrauen beruht: „Ich hoffe auf dich“ – ein stilles Bekenntnis. Lauter wird es, wenn es um die schnöde Eitelkeit geht – „vanity“, die ins Leere und in die Sinnlosigkeit führt. Man hört das eindringliche Flehen: „Schweige nicht zu meinen Tränen!“ und die letzten Töne klingen leise aus, in der unerschütterlichen Zuversicht, von Gott errettet zu werden. Parrys Musik ist stark von Bach und Brahms geprägt, dennoch blieb er seinem eigenen Stil treu und schuf den Boden für die „English Musical Renaissance“. Lange Jahre geriet er in Vergessenheit, sein Werk wurde erst in den 90er-Jahren wieder eingespielt.

Bernhard Zosel gebührt der Dank dafür, diese Musik einem begeisterten Publikum zu präsentieren und so einen verborgenen Schatz zu bergen.

Der Abend war reich an musikalischen Facetten und Texten über mehrere Jahrhunderte, die man als Einladung zu einer Reise nicht nur zu den Sternen, sondern mitten ins Leben getrost annehmen durfte. Nach diesem spirituellen Genuss trat man lebendig und munter den Heimweg an.



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