Die Vier Jahreszeiten mal ganz anders

Die Vier Jahreszeiten ganz ohne Klimawandel präsentiert: Mareike Neumann Karl-Christoph Neumann und Dana Buchenau (v.l.) mit dem Neuen Orchester Kronberg. Foto: Diel

Kronberg (diel) – Sonett kommt vom lateinischen Wort sonare, das heißt tönen, klingen. Im Barock bezeichnete man es auch als Klinggedicht. Geklungen hat es denn auch im Wappensaal der Burg Kronberg mit den Vier Jahrenszeiten von Antonio Vivaldi (1678-1741), gespielt vom Neuen Orchester Kronberg (NOK) unter der Leitung von Karl-Christoph Neumann am vergangenen Samstag. Und zwar in nicht alltäglicher Weise. Sonett, das klingt auch „so nett“, ist aber etwas ganz Besonderes, denn Vivaldi hat – seiner musikalischen Zukunft in Richtung Programmmusik vorauseilend – eine Musikform gewählt, die in seiner Darbietung damals modern und für uns außergewöhnlich ist.

Jeder kennt die Vier Jahreszeiten von Antonio Vivaldi, wirklich, selbst die, die es nicht wissen. Die Melodien Vivaldis sind auch in der heutigen Zeit als Gassenhauer und Werbemelodien omnipräsent, aber jenseits dieser „Massenware“ kam das Konzert in ungeahnte Sphären. Die Schönheit der Jahreszeiten hat das Kronberger Orchester unter Leitung von Karl-Christoph Neumann auf spezielle Weise herausgearbeitet: Denn Vivaldi schrieb nicht nur die Musik, er versetzte die Partitur mit dem Sonett, das heißt mit den wunderschönen poetischen Versen, die er selbst zu jeder Jahreszeit gedichtet haben soll. Keine andere als die bekannte Sängerin und Musikwissenschaftlerin Dana Buchenau hatte die verantwortungsvolle Rolle, die sprachlichen Elemente des Klinggedichtes in das musikalische Werk zu integrieren. Integration ist nicht nur in heutigen politischen Zeiten ein Thema, auch Vivaldi hat eine solche Herausforderung geschaffen und das Kronberger Orchester hat sie meisterhaft angenommen. Zu Beginn einer jeden Jahreszeit rezitierte Dana Buchenau das Sonett in der Originalversion auf Italienisch, ganz wie es sich für eine Sängerin gehört. Sodann begann der musikalische Part. Den einzelnen Abschnitten der Sonette sind nämlich Großbuchstaben vorangestellt. Die Worte der Sonette stehen in den Stimmen der Partitur an entsprechender Stelle und wurden während der Musik auch auf Deutsch vorgelesen. Eine echte Herausforderung, da die Musik und der Text einander überschnitten und miteinander verwoben werden mussten. Entsprechend hatte Karl-Christoph Neumann an diesen „Nahtstellen“ die Musik entsprechend zubereitet. So wurde die Musik anschaulich und präsent. Die Zuhörer erlebten, dass man mit einer Geige einen Hund oder einen Ziegenhirten darstellen kann. Oder man konnte den Scirocco, einen Distelfink, einen Betrunkenen, brechendes Eis oder gar singende Turteltäubchen in einer unglaublichen Klangfülle wahrnehmen. Genau das war das Anliegen Vivaldis. Auf diese Weise wollte er den deskriptiven Charakter seiner Musik herausheben. Ihm war es wichtig, und das betonte er auch in seinem Widmungsschreiben zu den Vier Jahreszeiten, dass die Musik durch die Sonette verständlicher gemacht werden sollte. Eine „interaktive Partitur“, könnte man es in moderner Sprache ausdrücken.

Brillant und mit unglaublicher Virtuosität wurden die Vier Jahreszeiten, die eigentlich vier Violinkonzerte bilden, von der Solo-Violine durch Mareike Neumann dargeboten. Sie ist seit 2011 Mitglied im Beethoven Orchester Bonn und konzertiert regelmäßig mit verschiedenen Barockensembles sowie mit dem Ensemble Horizonte, Detmold. Seit ihrer Kindheit ist Mareike dem Neuen Orchester Kronberg verbunden, und das war auch musikalisch zu hören. Professionelle Unterstützung in feinster Qualität erhielten die Musiker ebenfalls durch Inken Dwars am Cello sowie Roxana Neacsu am Cembalo. Dass im Neuen Orchester Kronberg – mit nur wenigen Ausnahmen – Hobbymusiker sitzen, ist kaum zu glauben, so hoch ist das Niveau der Darbietung, so sorgfältig die musikalischen Höhepunkte von Karl-Christoph Neumann vorbereitet.

Der Abend begann schon spektakulär, weil nichts so lief, wie man es von einem „normalen“ Konzert kennt. Die Musiker schritten mit ihrem Streichinstrument, einen Kanon von Herbert Beuerle (1911-1994), dem Kirchenmusiker und Komponisten (und im übrigen Vater der Konzertmeisterin, Elisabeth Neumann-Beuerle) spielend, in den Wappensaal, verteilten sich in verschiedenen Ecken und der wunderbare Kanon in D-Dur, ein echter Ohrwurm, brachte von allen Seiten die Saiten zum Schwingen und Klingen. Mit der 2. Sinfonie für Streicher von Felix Mendelssohn in D-Dur bleibend wurden die Zuhörer in den Vivaldi hinein katapultiert und von dem Andante der 5. Sinfonie in B- Dur desselben wieder herausgetragen. Den Abend beschloss der Wiener Ländler op. 1 in G-Dur von Joseph Lanner (1801-1843), der zünftig und fesch daher kam und Lust auf Oktoberfest und Dirndl machte. Ein breites Spektrum an Musik, Dichtkunst und solistischem Hochgenuss, was das Publikum erleben konnte und auch durch tosenden Beifall und „Bravo Mareike!“-Rufe honorierte. Ein Konzert der anderen Art. Und nebenbei: Das nötige Sitzfleisch konnten allenfalls die Zuschauer unter Beweis stellen, die Musikerinnen und Musiker absolvierten ihr fast zweistündiges Programm komplett im Stehen.



X