Historiker aus USA zu den Ursachen des Ersten Weltkrieges

Professor Dr. Ralph R. Menning und seine Mutter Ilse Emmy Menning (links) im angeregten Gespräch mit Geschichtsinteressierten nach seinem Vortrag im Altkönig-Stift.

Foto: Wittkopf

Oberhöchstadt (pf) – Dass ein Vortrag über den Beginn des Ersten Weltkriegs so großes Interesse auslösen würde, überraschte – vor allem auch Professor Dr. Ralph R. Menning, der in den USA an der Kent State University Ohio Neuere und Neueste Geschichte unterrichtet. Seine Geschichtsvorlesung unter dem Motto „Aufgezwungen? Gewollt? Hineingeschlittert? – Deutschland und der Kriegsbeginn 1914: Rückblick auf 100 Jahre Kontroverse“ hatte so viele Zuhörer in den Festsaal des Altkönig-Stifts gelockt, dass nahezu alle Plätze besetzt waren. „Hätte ich den Vortrag an meiner Universität in Amerika angeboten, wären höchstens drei Reihen des Saals besetzt gewesen“, freute sich der Professor über die große Zuhörerschaft. Und zu einem Seminar, meinte er, wären von den 30.000 Studenten seiner Universität wohl nur 15 erschienen.

Das Thema, das in den USA heute so wenig Resonanz finden würde, ist in Europa unter Historikern immer noch umstritten und in England bis heute aktuell, sagte Prof. Menning. Erst dieser Tage wieder sorgte es in der britischen Presse für Schlagzeilen wie er anhand einer Titelseite der Daily Mail bewies.

Dabei hat der Erste Weltkrieg die Welt am entscheidendsten verändert, erklärte er. Er habe zu einer Selbstabwertung Europas geführt, Russland und vor allem die USA erst zu Weltmächten gemacht. „Die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts“, so bezeichnete ihn das Hamburger Magazin „Der Spiegel“ und widmete dem Thema vor zehn Jahren ein ganzes Heft seiner Reihe „SPIEGEL special“.

Der deutsche Geschichtsprofessor, der als Kind mit seinen Eltern in die USA kam, dort studierte und bis heute dort lebt und lehrt – sein Vater war viele Jahre lang Journalist der Deutschen Presseagentur Auslandskorrespondent in Amerika – schilderte sehr anschaulich und spannend, wie es damals zum Krieg kam. Er stellte das verzweigte Geflecht der damals miteinander verbündeten Staaten in Europa dar und was die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo auslöste. Während der damalige Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg von einem erzwungenen Krieg sprach, wurde später im Versailler Vertrag Deutschland von den Alliierten die Alleinschuld zugesprochen – ein Umstand, der später ausschlaggebend für den Zweiten Weltkrieg wurde.

Nach 1918 kam es zu einem „Krieg der Dokumente“, berichtete Professor Menning. In Deutschland wurde innerhalb weniger Jahre von dem Theologen Johannes Lepsius, dem Juristen Albrecht Mendelssohn Bartholdy und dem Historiker Friedrich Thimme das 40 Bände umfassende Werk „Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871 - 1914“ herausgegeben. In London erschien einige Jahre später in elf Bänden „British Documents on the Origins of the War, 1898 – 1914“, herausgegeben von den britischen Historikern G.P. Gooch und Harold Temperley.

Die unterschiedliche Sichtweise der einzelnen Nationen spiegelt sich bis heute in den Veröffentlichungen der Historiker der europäischen Länder wider. In den 1960er- Jahren entfesselte Fritz Fischer mit seinen Werken „Griff nach der Weltmacht: Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschlands 1914/18“ und „Krieg der Illusionen: Die deutsche Politik von 1911 bis 1914“ einen Historikerstreit. Während er in seinen Büchern, die zu Bestsellern wurden, die These vertrat, dass die imperialistischen Weltmachtbestrebungen des Deutschen Reiches den Ersten Weltkrieg auslösten, sieht Professor Menning die Faktenlage keineswegs so eindeutig.

Er glaubt vielmehr, dass der Zusammenprall verschiedener Ängste in den einzelnen Staaten und Nationen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führten. In Deutschland litt Reichskanzler von Bethmann Hollweg nach dem Tod seiner Frau im Frühjahr 1914 unter Depressionen, berichtete der Historiker. Außerdem gab es Bestrebungen, die SPD auszubremsen, die damals stärkste Kraft im Reichstag war. Aber auch in Frankreich, Russland und England gab es Ängste. Befürchtet wurde, dass die französisch-russische Allianz übermächtig werden könnte und gleichzeitig fing das englisch-russische Bündnis an zu wackeln.

All dies zusammen genommen habe sicherlich mit eine Rolle gespielt, dass es zum Ersten Weltkrieg kam. Aber abschließend gelöst sei die Frage nicht, ob der Krieg aufgezwungen, gewollt war oder ob die Nationen hineinschlitterten. „Es gibt noch Quellen und Momente, die erforscht werden können, kleine Mosaiksteinchen, die die Sache so interessant machen“, sagte er. Seine hoch interessante Geschichtsvorlesung führte zu einer lebhaften Diskussion. Und selbst nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung bildeten sich um Professor Menning und seine Mutter, die im Altkönig-Stift lebt und die den Vortrag angeregt hatte, ein Kreis von Geschichtsinteressierten, die ihn mit immer neuen Fragen bestürmten und ihn immer weiter in die Diskussion verstrickten. „Wenn Sie wieder einmal Sehnsucht nach einem voll besetzten Saal haben – bei uns sind sie jederzeit willkommen“, hatte sich Stiftsdirektorin Thekla Thiede-Werner kurz vorher bei ihm bedankt – womit sie schon an diesem Nachmittag Recht behielt.



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