Klarheit, Minimalisierung und die Konzentration auf das Wesentliche

Helmut Rüger mit seinem Bild „Inside or Outside“, das nicht nur ästhetisch-schön ist, sondern dem Betrachter auch viele Möglichkeiten der Sichtweise eröffnet.
Foto: Wittkopf

Oberhöchstadt (pf) – „Ein japanisches Gefühl“ – diesen Titel hat Helmut Rüger seiner Ausstellung gegeben, die derzeit im Altkönig-Stift zu sehen ist. „Ruhe und Kontemplation – ich fotografiere das Gefühl, das mich beim Betrachten berührt.“ Dieses Gefühl, für das es im Deutschen kein Wort gibt, heißt in Japan Wabi Sabi. Es bezeichnet ein typisch japanisches ästhetisches Konzept, ein Konzept der Wahrnehmung von Schönheit, das eng mit dem Zen-Buddhismus verbunden ist.

Wilhelm Gundert, ein deutscher Ostasienwissenschaftler, der sich vor allem der buddhistischen Literatur Chinas und Japans widmete, hat es einmal so ausgedrückt: „Wabi bedeutet ursprünglich, sich elend, einsam und verloren fühlen. Dieses Gefühl wandelt sich zur Freude an der Herbheit des Einsam-Stillen. Aber erst in der Verbindung mit Sabi, was bedeutet alt sein, Patina zeigen, über Reife verfügen, entstand die eigentlich nicht übersetzbare Begriffseinheit, die den Maßstab der japanischen Kunstbewertung bildet.

Nicht die offenkundige Schönheit ist das Höchste, sondern die verhüllte, nicht der unmittelbare Glanz der Sonne, sondern der gebrochene des Mondes. Der bemooste Fels, das grasbewachsene Strohdach, die knorrige Kiefer, der leicht berostete Teekessel, das und Ähnliches sind die Symbole dieses Schönheitsideals. Es geht um die Hoheit, die sich in der Hülle des Unscheinbaren verbirgt, die herbe Schlichtheit, die dem Verstehenden doch alle Reize des Schönen offenbaren.“

Es gibt einen berühmten Vers, der dieses Gefühl so in Worte fasst: „In den Wäldern drüben, tief unter der Last des Schnees, ist letzte Nacht ein Pflaumenzweig erblüht.“

Helmut Rüger, der 1952 in Schöneck geboren wurde, hat 1990 die Fotografie zu seinem Beruf gemacht. Vorher war er einer der angesehensten und nahmhaftesten Bonsai-Gärtner Deutschlands. Zu den japanischen Kunstrichtungen, die in den letzten tausend Jahren von Zen beeinflusst wurden, gehört neben den japanischen Gärten, Ikebana, der japanischen Keramik, der japanischen Teezeremonie, der japanischen Poesie, und hier insbesondere der Haikus, auch Bonsai. Das Wort bonsai besteht aus den beiden Wörtern bon „Schale“ und sai „Pflanze“.

In den vergangenen 25 Jahren hat Helmut Rüger Japan mehr als 40 Mal bereist. Die Beschäftigung mit japanischen Gärten und Bonsai, dazu die langjährige Zusammenarbeit mit Menschen und Künstlerpersönlichkeiten aus diesem Bereich, hat seine Sichtweise auf die Dinge geprägt. „Der Geist des Wabi Sabi hat meine Seh- und Erlebensweise nachhaltig verändert“, sagt er.

Als wichtige Eigenschaften und Werte des Wabi Sabi führt er an: Nichts ist vollkommen, alles ist im Fluss, Vergänglichkeit, Unregelmäßigkeit, Alterung und Zerfall, Akzeptanz dessen, was ist, Unnötiges weglassen, Konzentration auf das „Eigentliche“, Bescheidenheit, Einfachheit. Wobei ihm, wie er gesteht, die Akzeptanz dessen, was ist, am schwersten fällt. „Das werde ich wohl bis ans Ende meines Lebens nicht lernen,“ meinte er bei der Ausstellungseröffnung. In Japan wurde die Sicht, das Empfinden von Wabi Sabi geübt und perfektioniert. Es ist aber auch von uns westlichen Menschen fühlbar und nachvollziehbar, meint Helmut Rüger. Seine Bilder sind geprägt von der japanischen Ästhetik. Sie faszinieren durch Klarheit, Minimalisierung und die Konzentration auf das Wesentliche. Dabei geht seine Arbeit über die bloße Abbildung von Objekten weit hinaus. Er sucht stets nach der besonderen Ausstrahlung der Dinge, nach dem einen besonderen Moment. Er möchte das eigentlich Unsichtbare in seinen Bildern einfangen: Die spezielle Energie, die sich dem Betrachter vermittelt, die zu ihm spricht. Sie versucht er einzufangen.

Seine Motive spiegeln immer auch etwas Vergängliches wider, etwas Unfassbares, das durch die Fotografie der Vergänglichkeit entrissen und fassbar wird. Gewissermaßen eine Wiederholung und Fortsetzung der japanischen Formensprache in der Auseinandersetzung mit ihr. Eine Reduktion des Objekts auf das Wesentliche – auf das eigentliche Wesen der Dinge.

Schlichtheit, Einfachheit und Reduktion werden in den Bildern der sogenannten Stein- oder Trockengärten Japans deutlich. Nur wenige Materialien werden zu ihrer Gestaltung eingesetzt. Gerade daraus aber beziehen sie ihre Ausdrucksstärke und Faszination. Durch Ausschnitte und weitere Reduktion hat Helmut Rüger diese Kraft noch verstärkt.

Schönheit in der Vergänglichkeit zeigen seine Bilder. Denn, so fragt er, wird nicht erst durch die Wahrnehmung der Vergänglichkeit der ästhetische Wert eines Objektes sichtbar beziehungsweise fühlbar? Neben Bildern aus seiner Themenreihe Wabi Sabi zeigt der Fotokünstler Bilder aus seiner Serie „Baumgeister“: Zweige, Äste, Collagen in eindrucksvollem Schwarz-Weiß. Wertvolle Bonsaischalen in den Vitrinen ergänzen die Ausstellung und runden sie ab.

Die Werke von Helmut Rüger sind im Altkönig-Stift bis Mitte Dezember täglich zu sehen.



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