KV 02 Oberhöchstadt reißt das Publikum mit Spitzenleistungen vom Hocker

Die Kleine Garde begeisterte das närrische Publikum in Oberhöchstadt mit gekonnten akrobatischen Einlagen. Foto: S. Puck

Fichtegickelshausen (pu) – Süßes und gute Laune Versprühendes in Form von Lollypops, Schokolade, humorvollen Vorträgen und über die Bühne wirbelnden Tänzerinnen und Tänzern für das Publikum dagegen Saures und zum Nachdenken Anregendes für führende Köpfe und Politik bot das viereinhalbstündige, vom Karnevalverein 1902 Oberhöchstadt (KV02), zusammengestellte Unterhaltungsprogramm zur besten Sendezeit am Wochenende in der buntfröhlichen Narrhalla Haus Altkönig. Für Stadtrat Prof. Dr. Jörg Mehlhorn war die Sache glasklar, der KV02 muss expandieren. „Lasst das Rathaus rocken“, so sein Rat nach der freiwilligen Schlüsselübergabe an Sitzungspräsident Orlando Kieser.

Akuten Handlungsbedarf und Baustellen soweit das Auge reicht, sieht Protokoller Hans-Georg Kaufmann allemal. Seiner Meinung nach passen strukturelles Defizit und sogar in der Nacht beheizte Toiletten auf dem Friedhof Frankfurter Straße ebenso wenig zusammen wie kleine Stadtbusse, die kaum genug Platz für Rollatoren bieten und eine Stadt wie Kronberg mit ihren vielen Senioren. Zornesröte treibt ihm jedoch die aktuelle Entwicklung von Pegida und Co auf die Stirn. „Wer Hass predigt, hat bei uns in Deutschland nichts verloren“. Nicht minder hart ging er mit der drittgrößten Waffenexport-Nation ins Gericht. „Mit dem Tod kann man, es ist nicht zum Lachen, noch immer beste Geschäfte machen!“ Als falsch dagegen hätten sich Gerüchte erwiesen, der „teuerste Bischof aller Zeiten“ Tebartz-van Eltz baue nun eine Kathedrale im Kronberger Tal, die „protzige Baustelle ist der Limburger jedoch ziemlich ähnlich“. Mit Häusern, dessen Bewohnern und vor allen Dingen deren Briefkästen sammelt ebenso Zeitungsbote Steffen Reiter jede Menge Erfahrungen. Zuverlässig, jederzeit zu Höchstleistungen bereit, gut gewachsen und attraktiv, ist er selbstredend die Idealbesetzung für den vom Kronberger Bote zu vergebenden Posten. Die drei Dinge, die Austrägern das Leben schwer machen, sind rasch herausgefunden: Hunde, Aufkleberhinweis-Flut an den Briefkästen und zu allem bereite Frauen. „Die warten schon wie schwarze Witwen in ihrem Netz bis ich mit meinem Blättche komm und nehmen es dann ganz verwegen persönlich und fast schon nackisch entgegen.“ Doch hilfsbereit wie er für seine Kundschaft ist: „Ihr liebe Leut, gesagt, getan, auf nem aale Fahrrad lernt man‘s fahrn und kann sich so auf dieser Schiene, auch noch e bissi was dazu verdiene.“ Weniger spaßig findet er die „selbsternannten Ordnungshüter, die den ganzen Tag hinter dem Fenster stehen und jeden aufschreiben“ und die über das normale Maß hinausgehende Hinweisflut. „Werbung, nein danke, Kronberger Bote, ja bitte – auf fast jedem Briefkasten klebt was druff. Um da vor etwaigen Klagen gewappnet zu sein, musste ja acht Semester Jura studieren, das kann ja wohl net Sinn und Zweck der Sache sein!“

Mit diesem geschliffenen und vom Publikum mit großem Beifall honorierten Vortrag knüpfte das Nachwuchstalent nahtlos an die verheißungsvolle Premiere des Vorjahres an. Da schickt sich offenbar tatsächlich einer an, ein ganz Großer werden zu wollen. Obwohl noch relativ jung an Jahren, zählt der an diesem Abend ebenfalls auftretende Thomas Siebenhaar vom CluGeHu Weißkirchen zweifellos längst zu den Fastnachts-Urgesteinen mit eingebauter Gickel-Garantie. Seit 25 Jahren steht er in der Bütt, ob als Bräutigam, werdender Vater, Skifahrer und vieles mehr. Wo Siebenhaar auftritt, tobt der Saal vor Vergnügen.

Initiative gegen Advent im Sommer

Seine diesjährige Wahl fiel auf „Weihnachtsstress“, ein geradezu ihm auf den Leib geschneidertes Thema. Besinnlichkeit und ruhige Advents- und Weihnachtszeit – von wegen! „In Wirklichkeit ist es Stress und Frust, los geht es nämlich schon im August. Maria und Josef sind noch unterwegs, da fressen wir schon Weihnachtskeks“, zeigte er kein Verständnis für die gängige Praxis, noch mitten in der Grillzeit bereits die Lebkuchenregale in den Geschäften zu platzieren und sprach damit, wie die spontane Reaktion des Publikums deutlich werden ließ, dem Großteil aus dem Herzen. Einmal auf den Plan gerufen, gründet er flugs eine „Traditionsinitiative gegen Advent im Sommer“ und kaum, dass er dem ersten, bei 30 Grad Celsius um die Ecke lugenden Weihnachtsmann damit gedroht hat, ihm eins auf die „Zibbelkapp“ zu geben, entdeckt er mit der ausufernden Weihnachtsdekoration schon das nächste Ärgernis. „Schauste heut an so manches Haus, sieht es wie in Disney-World aus. Für den ganzen Deko-Mist brauchst ohne Frage, in deinem Keller eine eigene Atomanlage und während wir die Gärten machen immer heller, steigen die Wasserspiegel immer schneller!“ Dazu die ganze Völlerei an den Feiertagen bei der ja ach so gut meinenden Verwandtschaft. „Ich werde hier sterben, falle ins Koma, totgekocht von der eigenen Oma.“ Siebenhaars Fazit: „Was mittlerweile aus der Weihnachtszeit gemacht worden ist, ist ganz klar die eigentliche Narretei.“ Damit hatte er es auf seine typische Art auf den Punkt gebracht, der Saal tobte, erhob sich zu minutenlangen Standing Ovations und entließ ihn erst nach der sängerischen Zugabe „Komm piss einen gelben Stern in den Pulverschnee“ mehr als ungern wieder von der Bühne.

Mit gelben Stern im Pulverschnee kennen sich zweifellos auch „die Pinkler“ aus. Steffen Schmidt, Ulrich Heinecke und Andreas Risse schlüpften in die Rolle von Fußballfans, die sich auf der Stadiontoilette treffen und wort- und einfallsreich Erfahrungen, Lebenstipps und Kalauer austauschen. „Is kaa Toilettenpapier uffm Kloo, sondern nur Luftschlange, brauchste eine ruhige Hand …“.

Nicht minder umjubelt Sitzungspräsident Orlando Kieser mit innovativer und umweltfreundlicher Idee in Kronberg Sherpas einzuführen, Stimmungssängerin Chris Malu sowie Anneliese Hecking und Ulrich Heinecke als Rollator schiebende Senioren und ihre Betrachtung einiger Geschehnisse und Entwicklungen wie die Schließung des Nassauer Hofs und die demnächst dort zu erwartenden Bautätigkeiten sowie weitere seit langem diskutierte Baustellen. „In Oberursel, Bad Homburg, Friedrichsdorf und sogar Staabach bewegt sich ebbes, nur net in Kronbersch. Wenn jemand hier Veränderungen und Neues gedanklich ins Auge fasst, gründet sich unverzüglich eine Drei-Mann-Bürgerinitiative und schreibt 111 Leserbriefe in vier Wochen!“ Erster Stadtrat Jürgen Odszuck und Bürgermeister Klaus Temmen (beide parteilos) hätten wohl, so unkten die beiden, das Lebensmotto der Fastnachter übernommen: „Allen wohl und keinem weh.“ In die Pötte kommen könne man dagegen mal mit der dringenden Sanierung des Hauses Altkönig. „1,2 Millionen Sanierungsstau, man kann das Haus natürlich auch abreißen und noch sieben bis acht Bauplätze draus machen“, so der nicht ernst gemeinte Rat. Ein Unding sei außerdem nach wie vor die Situation um die seit zwei Jahren nicht mehr zur Verfügung stehende Behindertentoilette am Berliner Platz. „Wenn der Schäuble in Kronberg wohnen würde, wäre das WC in Ordnung“, spekulierten die beiden Rollatoren-Renner. Dagegen regelmäßig positiv aufhorchen lasse „Willis Wilde Horde“, der von Hans-Willi Schmidt geführte Altstadtkreis mit sämtlichen Aktivitäten.

Tragende Kräfte des mit unterhaltsamen Höhepunkten gespickten Programms waren erneut die Tänzerinnen und Tänzer des KV02. Zum Schreien komisch die umgeschriebene hessische Schneewittchen-Version des Männerballetts „Die Dreamboys“. So fand „Scheeschlückchen“ Asyl und Schlafstätte bei den kleinen Elfern, ließ sich dort das Handkäs-Sparmenü mit Äppler-Shake munden, bevor sie in Tiefschlaf fiel und schließlich vom feuchten Furz des Orscheler Prinzen aus demselben wieder geweckt zum Märchenfinale mit der Oberhöchstädter Ausführung von Helene Fischer „Atemlos“ über die Bretter wirbelte.

Kreativ und mitreißend umgesetzt auch die weiteren Darbietungen. Ob die kleine Garde mit „Mulan“, die mittlere Garde als quirlige „Stubenmädchen“, die Große Garde als knallige „Lollypops“ oder die jeweiligen Pflichttänze – tolle Kostüme und schöne Choreografien entfachten ein Feuer der Begeisterung bei der versammelten Narrenschar, die es endgültig auf die Tische und Stühle trieb, als die Rüsselsheimer „Bembeljescher“ mit ihren schmissigen Klängen die Halle ein weiteres Mal zum Beben brachten.

Ob der Sanierungsbedarf durch diese Schwingen noch etwas größer wurde, ist bisher nicht bekannt geworden. Die Fassenacht ist jedenfalls mit lautem „Helau“, bunter Vielfalt und Spitzenleistungen in Fichtegickelshausen angekommen.



X