Seit sechs Jahrzehnten geht das Ehepaar Dorn gemeinsame Wege

„Wir hangeln uns von Punkt zu Punkt und vielleicht erleben wir ja auch noch die Eiserne Hochzeit in fünf Jahren“.

Foto: S. Puck

Oberhöchstadt (pu) – „Als ehemaliger Flüchtling kann ich die Lage der vor Terror und Krieg hierher fliehenden Menschen sehr gut nachvollziehen. Deshalb haben wir alle, die uns anlässlich unseres Ehrentages beschenken wollen, stattdessen um eine Spende an die Flüchtlingshilfe gebeten“, erzählt Brigitta Maria Martha Dorn. Hinter ihr und ihrem Mann Wendelin liegt ein anstrengendes Wochenende, galt es doch zunächst am Freitag seinen 89. Geburtstag zu feiern und nur einen Tag später im Kreise von Verwandten, Freunden und Mitbewohnern und mit Ständchen des Männergesangvereins 1860 Kronberg das seltene Fest der Diamantenen Hochzeit.

„Eigentlich hatten wir damals direkt an seinem Geburtstag am 21. August 1955 heiraten wollen, doch leider war das Standesamt sonntags geschlossen und so mussten wir das Vorhaben um einen Tag verschieben“, ist ihr der Start ins Eheleben im Frankfurter Römer in lebendiger Erinnerung. Eile sei damals geboten gewesen, weil nach der an Ostern erfolgten Verlobung plötzlich die Möglichkeit bestand, ein gemeinsames großes Zimmer im Haus ihrer Wirtsleute in der Eschersheimer Landstraße zu mieten. Dazu sei die Eheschließung allerdings zwingende Voraussetzung gewesen. Die kirchliche Trauung fand aus organisatorischen Gründen erst einige Monate später in der Weihnachtszeit in Langelsheim bei Goslar statt. Der Tadel des Pfarrers nach viermonatiger „wilder Ehe“ war dem jungen Liebespaar jedenfalls gewiss.

Kennengelernt hatten sich die Fremdsprachenseketärin und der kaufmännische Angestellte 1954 im IG Hochhaus, das damals nach dem Krieg als Sitz der amerikanischen Militärverwaltung offiziell General Creighton W. Abrams Building (seit 2001 Teil der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main) hieß. „Ich habe ihn von Anfang an bewundert, weil er im Gegensatz zu mir das Kaufmännische so drauf hat und sich auch mit technischen Dingen so gut auskennt“, verrät die 85-Jährige. Ihm wiederum gefällt „ihr fröhliches Gemüt“. Während gemeinsamer Kaffeepausen kam man sich näher und gelangte nur wenige Monate später zur Erkenntnis:„Wir wollen es mal zusammen probieren“.

Zu diesem Zeitpunkt lagen schwierige Lebensphasen hinter den jungen Leuten. 17-jährig musste der 1926 in Budenheim bei Mainz geborene Wendelin Dorn als Soldat einrücken, geriet in französische Gefangenschaft und wurde nach England zum Arbeiten bei Bauern geschickt, wo es, im Gegensatz zu vielen anderen Gefangenenlagern, glücklicherweise genügend zu essen gab.

Familie Schnieber, die am 5. Mai 1930 im oberschlesischen Lauban als viertes von insgesamt sechs Kindern die kleine Brigitta auf der Welt begrüßen konnte, bekam die Härte des Krieges ebenfalls in voller Gänze zu spüren.

Zunächst musste die 14-Jährige im Herbst 1944 in einer Möbelfabrik Kanonenund Gasmaskenkisten für den Kriegseinsatz packen und teilweise auch als Küchenhilfe in kasernenähnlichen Unterkünften arbeiten. Als im Februar 1945 die Front unaufhörlich näherrückte, blieb nur noch die Flucht. Dabei erwies sich eine Verschiebung des Aufbruchs um einen Tag im Nachhinein als Glücksfall. „Mein Vater, ein Postbeamter, hatte einen Bus organisiert, um mit uns nach Dresden zu fahren. Doch am besagten Tag stand das Auto doch nicht zur Verfügung – wir saßen in Lauban fest, erfuhren erst später von dem verheerenden Bomben-Großangriff auf Dresden, der uns womöglich wie vielen anderen das Leben gekostet hätte“, gibt die Seniorin die damaligen Ereignisse wieder. Die Familie musste umdisponieren, fand Unterschlupf in einer kleinen Dachkammer im deutsch-besetzten Gebiet in Teplitz-Schönau in Tschechien. Katastrophale Lebensmittelknappheit trieb Schniebers allerdings dreimal wieder zurück über die Grenze, um im Keller des inzwischen abgebrannten ehemaligen Wohnsitzes unter Kohle verstecktes Eingemachtes zu holen. „Wir waren für zwei Einmachgläser zwei bis drei Tage unterwegs, aber wir haben überlebt.“

Nach einer kurzzeitigen Rückkehr nach Kriegsende in die von polnischen Besatzungstruppen kontrollierte Heimat, hieß es auf Druck der Befehlshaber endgültig Lauban den Rücken zu kehren mit Zielrichtung Flüchtlingsheim in Langenheim. Später besuchte die junge Frau in Goslar die Höhere Handelsschule und anschließend die Fremdsprachenschule als Rüstzeit für ihre weitere berufliche Karriere. Nachdem eine Schulkameradin sie darauf aufmerksam machte, eine britische Automobilversicherung in Frankfurt sei auf der Suche nach einer Sekretärin, lieh sie sich Geld von einer Nachbarin, „büchste zu Hause aus und stand mit 21 Jahren in Frankfurt auf eigenen Füßen“. Drei Jahre später lief sie dem Leiter der Büroabteilung über den Weg.

Das junge Ehepaar arbeitete hart, wechselte vor dem Hintergrund der Optimierung der Lebensumstände jeweils mehrfach die Arbeitgeber. Wendelin Dorn übernahm 1960 als Stations-Assistent beim Bodenpersonal der Lufthansa eine verantwortungsvolle Position, seine Frau wirbelte zuletzt als Direktionssekretärin für den Vorstand der Commerzbank. „Ich war die erste weibliche Betriebsratsvorsitzende in einer Großbank und saß außerdem im Aufsichtsrat“, berichtet die diamantene Braut voller Stolz. Die beiden nutzen die sich nunmehr bietende Gelegenheit „die ganze Welt zu bereisen“, zogen im Laufe der Jahre in eine Eigentumswohnung in Oberursel und leben seit dem Jahr 2000 im Altkönig-Stift, wo „wir uns wohl und gut aufgehoben fühlen“. Dem mittlerweile hohen Alter geschuldet, steuern sie nicht mehr die ganz fernen Ziele an, sondern eher die Monte-Grotto-Therme in Albano, haben nach wie vor großen Spaß beim Fotografieren und Organisieren. So initiierte Brigitta Dorn vor einigen Jahren die Gründung eines Italienisch-Kreises und zeichnet ferner für den Einzug von Qi Gong-Gymnastik im Altkönig-Stift verantwortlich.

Zu den sechs Jahrzehnten gemeinsam verbrachten ehelichen Lebensweg soll möglichst noch das eine oder andere Jährchen dazukommen. „Wir hangeln uns von Punkt zu Punkt, sehen im kommenden August erst einmal dem 90. Geburtstag meines Mannes entgegen und vielleicht erleben wir ja auch noch die Eiserne Hochzeit in fünf Jahren“, riskiert Brigitta Dorn einen Blick in die Zukunft.

An ihrer Festtagsfreude sollen nicht nur die Zuflucht suchenden Heimatlosen teilhaben; Wendelin und Brigitta Dorn haben für den Park des Altkönig-Stifts eine weitere Ruhebank gestiftet, die somit Bewohnern und Besuchern gleichermaßen zugute kommt. Und welches Erfolgsrezept für eine funktionierende Ehe haben die Jubilare parat? „Man muss mal zurückstecken können und dem Partner Freiräume lassen“, verrät die 85-jährige und ihr Gatte ergänzt: „Kompromissbereitschaft ist ebenso wichtig!“



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