„Deutsche und Polen wissen nicht viel voneinander“

Kronberg (pf) – „Deutsche und Polen – Beziehungen in schwierigen Zeiten“, zu diesem aktuellen Thema hatte Hildegard Klär, Vorsitzende der Europa-Union Hochtaunus, für Freitagabend einen ausgewiesenen Experten in die Stadthalle eingeladen: Dr. Andrzej Kaluza vom Deutschen Polen-Institut Darmstadt. Das DPI ist ebenso wie die Europa-Union ein Verein, der 1980 gegründet wurde. „Er trägt mit seinem Programm dazu bei, die gegenseitigen Kenntnisse des Kultur- und Geisteslebens von Polen und Deutschen zu vertiefen, beschäftigt sich mit polnischer Gesellschaft, Geschichte und Kultur sowie mit den deutsch-polnischen Beziehungen im Kontext der europäischen Integration“, so beschreibt Wikipedia Aufgaben und Ziele des Vereins, deren Präsidentin die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth ist.

Regelmäßig veröffentlicht das DPI seine „Polen-Analysen“, in denen es auch bekannt gibt, wie Polen und Deutsche die Stimmung zwischen ihren Ländern einschätzen. Nach dem aktuellen Barometer halten 70 Prozent der Deutschen und 69 Prozent der Polen die bilateralen Beziehungen für gut. „Das ist nicht selbstverständlich“, meinte der Referent, „denn sie wissen nicht viel voneinander.“ Das liege nicht zuletzt an den Medien. Während es in Warschau immerhin sieben deutsche Korrespondenten gibt, die regelmäßig aus Polen berichten, gibt es in Berlin keinen einzigen polnischen Korrespondenten, sagte Kaluza. Die Informationen, die in Polen über Deutschland erscheinen, entnähmen die polnischen Korrespondenten in London den britischen Medien.

Seit 2004 ist Polen Mitglied der Europäischen Union und hat seitdem ein wahres Wirtschaftswunder erlebt. Das Bruttosozialprodukt ist um 120 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosigkeit, die 2004 noch 20 Prozent betrug, liegt heute bei unter fünf Prozent. Galt der Begriff „polnische Wirtschaft“ viele Jahrzehnte lang als Synonym für chaotische Verhältnisse, habe er sich heute zu einer Qualitätsbezeichnung gewandelt, so der Referent. Polen sei heute von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland geworden, in das Arbeitskräfte vor allem aus den sechs östlichen befreundeten Ländern Armenien, Aserbeidschan, Belarus, Georgien, Moldawien und der Ukraine kommen.

Deutschland, berichtete er, zähle heute für Polen zu den wichtigsten Handelspartnern. Die Geschäfte zwischen den Nachbarländern seien deutlich größer als die zwischen Polen und Großbritannien, in das nach dem EU-Beitritt viele Polen, aber auch Litauer, Slowaken und Rumänen als Arbeitskräfte gingen. Darin sieht er heute mit eine der Ursachen für den Brexit. „Polen war der größte Profiteur vom EU-Haushalt, aber das wird sich jetzt ändern“, prophezeite Kaluza.

Während in Deutschland vor allem die Themen der polnischen Justizreform, Energie- und Klimapolitik, Migrations- und Innenpolitik sowie die Haltung der Polen zum Holocaust interessierten, seien es in Polen insbesondere Klima- und Energiepolitik, Sicherheitspolitik und Nato, EU-Politik, Migration und Integration sowie Geschichte und das durch Vertreibung und die Folgen der Nazi-Diktatur entstandene Leid.

Polen gilt in Deutschland als national, katholisch, autoritär, antiliberal und rückständig, Deutschland in Polen als postindustriell, postnational, liberal und modern. Deutschland, so fasste es der Referent zusammen, erwarte von Polen Loyalität in der EU-Politik und Solidarität in der Flüchtlingsfrage, Polen von Deutschland dagegen Respekt für seine innen- und außenpolitischen Entscheidungen sowie Solidarität in der Energie- und Ostpolitik. Das Thema Reparationen für das während der Nazi-Diktatur erlittene Unrecht, das er als „Büchse der Pandora“ bezeichnete, werde dagegen zumeist ausgeklammert, zumal in Polen jeder etwas anderes zu dem Thema sage.

Für noch ausbaufähig hält Kaluza das Thema Tourismus. Nur etwa ein Viertel der Deutschen habe schon Urlaub in Polen gemacht. „Aber die Menschen, die dort waren, sind begeistert und fahren immer wieder hin“, weiß er. Polen sei stolz auf seine wirtschaftliche Entwicklung, die Qualität seiner Produkte, auf seine Ausbildung und die gute Zusammenarbeit mit deutschen Hochschulen. Polnische Handwerker würden in Deutschland geschätzt ebenso wie die polnischen Pflegekräfte. Der Nachbar Deutschland sei in P-len sehr präsent als Partner, von dem man sich etwas abgucken könne, sehr viel präsenter als beispielsweise die USA oder Frankreich.

In der anschließenden Diskussion berichtete Kaluza auf Fragen aus dem Publikum nach der Situation der katholischen Kirche in Polen von einer dramatischen Veränderung. Zwar seien die Kirchen sonntags nach wie vor gut besucht, doch inzwischen deutlich weniger von den unter 40-Jährigen. „Die Kirche ist satt geworden, von ihr kommt nicht viel“, kritisierte er. Angesprochen auf die im Mai anstehenden Präsidentschaftswahlen in Polen hielt er durchaus für möglich, dass Amtsinhaber Andrzej Duda durch eine Frau abgelöst werden könnte, wenn sich zur erwarteten Stichwahl die übrigen Kandidaten für sie aussprechen würden. Viel zu sagen habe der Präsident zwar nicht, aber er habe ein entscheidendes Vetorecht, wenn es um Gesetzesänderungen gehe.

Interessierte Besucher der Veranstaltungen waren Mitglieder des Partnerschaftsvereins Königstein-Kórnik, die in wenigen Wochen wieder zu ihren polnischen Freunden reisen werden. Ihre Partnerstadt liegt 20 Kilometer südöstlich von Posen im Gebiet der großpolnischen Seenplatte. Auch das Land Hessen unterhält seit mittlerweile 20 Jahren eine Partnerschaft mit der Woiwodschaft Wielkopolska, ein Ereignis, das am 28. Februar mit einem Sonderkonzert im Staatstheater Darmstadt gefeiert wird.

Dr. Andrzej Kaluza vom Deutschen Polen Institut Darmstadt informierte auf Einladung der Europa-Union Hochtaunus über das Thema „Deutsche und Polen – Beziehungen in schwierigen Zeiten“.
Foto: Wittkopf



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