Kronberg (war) – „Auf zum Taunus“ – mit diesem Buchtitel wird noch heute Ernst Ritter von Marx häufig in Verbindung gebracht. Von Marx hatte als Landrat des Obertaunuskreises, dem Vorgänger des heutigen Hochtaunuskreises, dieses reich bebilderte und aufwendige Werk 1908 herausbringen lassen. Dessen Untertitel lautet „Unternehmung zur Hebung des Verkehrs und Förderung der Besiedlung im südlichen Taunus“. Für uns ist kaum mehr nachvollziehbar, dass der Landrat damit zu Beginn des letzten Jahrhunderts mehr Menschen in diese Region, die heute zu den begehrtesten Wohnlagen in Deutschland zählt, locken wollte. Auch Kronberg ist in dem Werk mit zwei Immobilien vertreten. So werden ein Wohnhaus in der Burgerstraße für 19.000 Reichsmark und die Villa Waldeck in der Jaminstraße für den Preis von stolzen 100.000 Reichsmark angepriesen. Während das erste Objekt in der mittleren Preisklasse angesiedelt war, kam die Villa Waldeck wohl nur für sehr vermögende Kaufinteressenten in Frage.
Peter Maresch, Archivar beim Kreisarchiv des Hochtaunuskreises, referierte kürzlich unter der Überschrift „Zwischen Kurstadt und Kaiser – Neues zu Landrat Ritter von Marx“ auf Einladung des Kronberger Geschichtsvereins über den einst sehr prominenten Mann. Der Referent stützte sich bei seinen Ausführungen auf zwei sogenannte Erinnerungsbände, die von Marx persönlich während seiner Amtszeit angelegt hatte. Diese beiden Bücher, jeweils rund 400 Seiten stark, haben die Nachfahren des einstigen Landrats vor kurzem zwecks archivalischer Auswertung zur Verfügung gestellt. Maresch dazu: „Es handelt sich bei den von Marx als ‚Erinnerungen I und II‘ betitelten Bänden um keine autobiografischen Notizen, sondern um Dokumente aus seinem Leben zwischen 1887 und 1912.“
Dieser wurde 1869 in Wien als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Bankiers geboren. 1871 siedelte die Familie nach Frankfurt am Main um. Mit 24 Jahren heiratete von Marx Nellie Goldschmidt, die ebenfalls einer sehr vermögenden jüdischen Bankiersfamilie entstammte. Nach seinem Jurastudium in Genf, Berlin und Leipzig trat er im Jahr 1891 als Referendar in den preußischen Staatsdienst ein. Nachdem er von 1897 bis 1901 als Regierungsassessor und Beigeordneter des Landrats Wilhelm von Meister beim Obertaunuskreis tätig gewesen war, wurde er 1901 von den 28 Homburger Stadtverordneten einstimmig zum neuen Homburger Bürgermeister gewählt. „Ohne Frage war Marx ein tatkräftiger Verwaltungsmann, der sich den dringenden Finanzproblemen der Stadt sofort annahm“, so das Urteil von Maresch.
Zu dieser Zeit war Homburg extrem überschuldet, denn die Schuldenlast war vom Jahr 1867, als die Kurstadt zu Preußen kam, bis 1902 von 200.000 auf 5.000.000 Reichsmark angewachsen. Hauptgrund dafür war die Einstellung des Spielbankbetriebs durch die preußische Regierung. Daraufhin war der Kurbetrieb als wichtigste Einnahmequelle der Stadt stark eingebrochen. Der neue Bürgermeister, seit 1902 Oberbürgermeister, wollte zunächst die Einwohnerzahl in Homburg, das sich ab 1912 Bad Homburg nennen durfte, erhöhen. Dazu wurde 1908 das eingangs schon erwähnte Buch „Auf zum Taunus“ in einer Auflage von 5.000 Exemplaren herausgegeben. In Homburg wies er dafür neue Areale zum Bau von Häusern und Villen aus und projektierte südlich des Bahnhofs in genügender Ferne zum Kurviertel ein Industriegebiet. Zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur ließ er die Altstadtbrücke, die seit 1955 „Ritter von Marx-Brücke“ heißt, innerhalb kurzer Zeit als neue Hauptverkehrsachse über den Dächern der Altstadt errichten.
Schon bald jedoch machte ihm eine Reihe von Gegnern das Leben schwer. Sein größter Rivale war der in Homburg sehr prominente Louis Jacobi, der als Architekt im Dienst von Kaiser Wilhelm II. die Saalburg neu errichtet und für Kaiserin Friedrich die Restaurierung der alten Burg in Kronberg geleitet hatte. Dieser Konflikt gipfelte darin, dass seine Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt im Jahr 1905 letztendlich scheiterte. Pikanterweise erhielt ein Jahr später Jacobi diese seltene Ehrung überreicht.
Trotz dieser Querelen bekleidete von Marx ab Februar 1905 das Amt des Landrats des Obertaunuskreises. In dieser Funktion darf er laut Maresch als „Urvater“ des Offiziersheims dem heutigen Hotel Kempinski, in Falkenstein gelten. Damals war die dortige Dettweilersche Klinik in finanzielle Schieflage geraten. Eine Tuberkuloseklinik war als Ersatz geplant, deren Einrichtung viele Bürger aus Königstein und Falkenstein, aber auch zahlreiche Kronberger, aus Angst vor Ansteckung energisch ablehnten. Auf Anregung des Landrats wurde dort schließlich 1909 eine recht luxuriöse Kurklinik für „rekonvaleszente Offiziere“ eröffnet und das Projekt von Kaiser Wilhelm II. sehr gefördert.
Die angedachte Einrichtung einer Weihestätte in „Gestalt eines nordischen Tempels“ am Brunhildisfelsen auf dem Großen Feldberg sowie einer Eisenbahnverbindung von Homburg nach Königstein, damit „der herrliche Wald zwischen Oberursel und Cronberg zu seiner nötigen Geltung gelangt“, scheiterten hingegen. Nach dem Ersten Weltkrieg, den von Marx als Offizier hauptsächlich in Brüssel beim Generalgouvernement verbracht hatte, kehrte er in seine Funktion als Landrat nach Bad Homburg zurück.
Im März 1921 schied Ritter von Marx dann jedoch offiziell aus, nachdem er bereits Ende 1920 krankgeschrieben worden war. Zuvor hatte es Unstimmigkeiten beim dem Landratsamt angliederten Kreislebensmittelamt gegeben.
Eine durch das Wiesbadener Regierungspräsidium einberufene Untersuchungskommission sollte nunmehr Licht in die angeblichen Machenschaften bei dem Amt bringen, das eine wichtige Funktion bei der prekären Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in der unmittelbaren Nachkriegszeit ausübte. Ritter von Marx wurde jetzt vorgeworfen, selbst illegal mit Kondensmilch gehandelt zu haben. Dieser verkaufte sofort nach dem Ausscheiden sein Haus in Bad Homburg, um zunächst in die Schweiz und 1928 nach Frankfurt überzusiedeln. 1935 emigrierte er schließlich wohl wegen seiner jüdischen Wurzeln nach England. Hier verstarb er 1944 in Oxford.