Was für ein Theater in Kronbergs Straßen – Kulturkreis lässt Menschen „da capo“ international feiern

Beim Marionetten-Duo des Italieners Remo Di Filippo und der Australierin Rhoda Lopez hängt grundsätzlich vieles am seidenen Faden. Während des „Da Capo“ Straßentheater-Festivals fuhr ihnen häufig der kleine Radrennfahrer eigenwillig davon. Fotos: Göllner

Kronberg (mg) – Jupiter, Zeus, Petrus oder schlichtweg der Zufall und eine gewisse Wahrscheinlichkeit meinten es allesamt gut mit dem Internationalen Straßentheater-Festival „Da Capo“, das nun bald seit einem Vierteljahrhundert in Kronberg im Taunus stattfindet. Bei sommerlichen Temperaturen und für den diesjährigen Monat Mai doch recht viel Sonnenschein fiel es den internationalen Künstlerinnen und Künstlern ein ganzes Stück leichter, zum einen für filigrane, subtile und zum anderen prägnant humoristische und das Nachdenken anregende Unterhaltung zu sorgen. Die Geschäftsführerin des Kronberger Kulturkreises Dorothée Arden hatte zahlreiches „Straßentheater-Kulturgut“ aufgeboten und in die Gassen der Altstadt im Vordertaunus geladen. Am 26. Mai begegneten den Besucherinnen und Besuchern sieben Stunden lang, ausgehend vom Berliner Platz über den Schulgarten hinweg, den zahlreichen mal mehr, mal weniger versteckten Winkeln und Pfaden an Recepturhof und Zehntscheune entlang bis hinauf zur über allem thronenden Burg, so viele Straßentheatervorführungen, dass Reizüberflutung im positiven Sinn im künstlerischen Raum stand. Nach einer guten Stunde fühlte man sich tatsächlich einmal in „einer anderen Welt“. Straßenkunst gehört in größeren Städten seit langem zum gewohnten Erscheinungsbild. Da schmücken Malereien und Graffiti graue Waschbetonwände von Brücken und ehemaligen Fabrikanlagen, die nun Ruinen sind. An Straßenkreuzungen wird während der Ampelrotphase jongliert, in den Fußgängerzogen klingen Gitarren, Geigen oder Saxophone, und ab und an sieht man auch ein wenig kleines Theater wie beispielsweise Pantomimenkunst in öffentlichen Parks. Ein ganzes Straßentheaterfestival, zu dem eine Kommune organisiert einlädt, ist jedoch etwas völlig anderes. Alleine der Umstand, dass es in Kronberg international besetzt ist, zeugt von hoher Qualitätsdichte und attraktiver Vielfalt.

Gartenzwerge und Giraffen

Lief man an diesem Sonntag durch Kronberg, so begegneten dem Besucher zwangsläufig kuriose Gestalten und sogenannte „Walking-Acts“ wie die Giraffen des Xirriquiteula Teatre, deren lange Beine gut kaschierte Stelzen waren. Selbst auf kurze Distanz fragte man sich wegen der attraktiven Umsetzung der Kostüme, ob der Opel-Zoo vermutlich vergessen hatte, seine Tore zu schließen. Nur der menschliche Kopf, der beim Übergang zwischen Rumpf und Hals erschien, löste dann das Rätsel.

Ins Gespräch kam man zwangsläufig mit den „Gartenzwergen aus Bodenhaltung“ vom Theater Pikante. Es war schier unmöglich, nicht mit ihnen zu interagieren, obwohl sie nicht direkt auf den Straßentheaterteilnehmer zukamen. Sie stellten sich praktisch so subtil in den Weg, suchten sich Orte, an denen alleine ihre farbenprächtigen Mützen, Hemden und Jacken im Vergleich ins Auge fielen und sprachen doch einen Hauch überdurchschnittlich laut, so dass man in ihren Dunstkreis geriet. Mal selbstbewusst, mal schwatzhaft oder auch mal schüchtern wechseln sie das Gartenzwergewechselbad der Gefühle in kurzer Zeit und lassen den aufmerksamen Betrachter an ihrem Paralleluniversum teilhaben.

„Es scheint, als kennen Sie sich mit Gartenzwergen doch ganz gut aus“, formulierte es dann einer der sympathischen Mützenträger angenehm überrascht und sprach damit eine Frau aus Bad Schwalbach an, die wegen des „Da-Capo“-Festivals nach Kronberg kam. Ihr Begleiter und sie hatten einen Dackel dabei, den sie jedoch etwas weiter für einen kleinen Moment anleinen mussten, da doch größere Aufregung wegen des Vierbeiners bei den Zwergen entstand: „Das haben Sie gut gemacht, mit der Leine. Und die passt ja farblich auch richtig gut zum Lavendel. Das mit den Hunden ist nämlich für uns Gartenzwerge so eine Sache, wir werden leider sehr oft angepinkelt.“ Viel Gelächter war die Folge im Publikum, die Zwerge selbst verstanden die humorvolle Reaktion gar nicht so recht, denn schließlich ist es lediglich ihr bitterer Alltag. Sie waren dann jedoch sehr schnell wieder mit sich selbst beschäftigt und geschäftig, wie es für Gartenzwerge eben üblich ist.

Rockkapelle und Seemannsgarn

An verschiedenen Orten der Stadt traf man auch die „Jungs“ von Mahoin, die womöglich in jedem Hafen dieser Welt eine Bekanntschaft pflegen, gleichzeitig mit stampfenden Beats und nordischer Muse das Publikum anzogen, sobald sie sich an Plätzen wie der Schirn niedergelassen hatten. Mahoin ist eine Matrosen-Marching-Band, hausgemacht in Hamburg. Das internationale musikalische Repertoire passte mit etwas Seemannsgarn blendend in die gesamte Atmosphäre des Straßentheatertages. The Beez wiederum ließen es humorvoll, bisweilen auch nachdenklich „krachen“. Und zwar mit elektronischer Gitarre und Bass-Akkordeon. Die Rayners boten individuell interpretierte Klassiker wie Midnight Oils „Beds Are Burning“, ließen gleichzeitig auch den Chanson auf rockige Art und Weise ein Stück weit mit Eigenkompositionen wie „Berlin“ aufleben, in denen es Deta Rayner in erster Linie um ihren Herzensstadtteil Kreuzberg ging.

Onis Kurbelkoffer

Oni Maurer hatte gemeinsam mit ihrem unterstützenden Begleiter Nico dann ihren geheimnisvollen Kurbelkoffer mit den darin versteckten Geschichten und Anekdoten und einiges mehr im Schlepptau an der Zehntscheune positioniert, die sie im Übrigen gerne kaufen würde, da sie ihr so gut gefiele, nur das nötige Kleingeld müsste erst noch in die Kasse fließen. In Kronberg im Taunus liegt davon ja genug herum, nicht unbedingt, aber womöglich auch auf der Straße? Damit das mit dem Erwerb einer Kulturscheune zukünftig möglich sein könnte, begann Oni mit ihrer Vorführung. Es wurde in den großen Muscheln, die vorher verteilt wurden, doch tatsächlich von Muscheln erzählt, die spannende Geschichten aus dem Meer mitbrachten, beispielsweise die Liebesgeschichte, in der sich ein Fisch in eine Plastikflasche „verguckt“; aber auch die Umweltverschmutzung der Meere kam pädagogisch wertvoll zum Tragen, gewiss auch an dieser Stelle für Alt und Jung. Gekonnt und gestenreich mit zusätzlich ausdrücklicher Mimik nahm Maurer ihre jungen und auch nicht mehr wirklich jungen Zuschauer mit auf die Gedankenreisen, forderte sie auf angenehme Art und Weise an der einen oder anderen Stelle und ließ sie dann auch wieder gewähren. Es war interessant zu sehen, welche Varianten im Umgang mit dem Tauschgeschäft von Hans im Glück bei den Besuchenden zustande kamen, dessen Geschichte als nächstes bei Oni Maurer auf dem Programm stand: „Hans erhält als Lohn für sieben Jahre Arbeit einen kopfgroßen Klumpen Gold. Diesen tauscht er gegen ein Pferd, das Pferd gegen eine Kuh, die Kuh gegen ein Schwein, das Schwein gegen eine Gans, und die Gans gibt er für einen einfachen Feldstein her. Er hat das Empfinden, jeweils so zu tauschen, dass alles eintrifft, was er sich wünscht, und fühlt sich vom Glück bevorzugt „wie ein Sonntagskind““ (Quelle: www.oniversum.eu). Die Besucherschaft wurde dann ebenfalls angeregt, ihre zuvor erhaltenen Kleinode zu tauschen – oder eben zu behalten. Im Gespräch mit dem Redakteur erklärte Oni Maurer dann auch Hintergründiges aus ihrem Erfahrungsschatz. Es sei ganz verschieden, wie Menschen in unterschiedlichen Städten reagierten. In eher „gut situierten“ Kommunen behielten viele oft das bereits Erhaltene, in anderen werde vermehrt getauscht. Das für Straßentheater klassische Gesellschaftspolitische fand bei Oni Maurer zwischen den Zeilen statt, nicht bissig, gleichzeitig durchaus vermittelnd – eine mehr als gelungene Vorstellung, auch des Lebens.

Seidene Fäden und Faszination „Säcke“

Das Duo aus dem Italiener Remo Di Filippo und der Australierin Rhoda Lopez be- und verzauberte dann den Schulgarten unmittelbar in der Nähe des stets eindrucksvollen Mammutbaums. Das Marionettentheater wird mit von Künstlerin und Künstler selbst hergestellten Puppen bespielt, die Kleidung näht die „italienische Mama“ zu Hause auf dem geographischen Stiefel. Das Programm war eine Show ohne Dialog. Jede Marionette, die man sah, präsentierte ihre eigene Geschichte. Musik und Gesang untermalten die kleinen, an kaum wahrnehmbaren Fäden hängenden und sich bewegenden Protagonisten. Darunter ein Rennradfahrer, eine Geigenspielerin oder einfach eine Figur, die behutsam den Bühnenboden mit einem sehr kleinen Besen kehrte. Bei jeder Vorstellung waren um die 500 Menschen vor Ort, um sich das geschickte Treiben von „Di Filippo Marionette“ anzuschauen und dieses zu bestaunen. Genauso viele Zuschauerinnen und Zuschauer folgten bei den jeweiligen zeitlich versetzten Auftritten den artistischen Kunststücken und humorvollen Einlagen von Anne und Mitja um die Ecke auf dem Berliner Platz, die sich beim italienischen Straßenzirkus-Projekt „Zuzzurruloni“ im Jahr 2012 kennenlernten. Im Jahr 2016 gründeten sie dann gemeinsam die Artistengruppe „elabö“. Sie widmen sich dem Genre des Zirkustheaters und gestalten die Dramaturgie ihrer Stücke wortlos und mit sehr viel physischem Theater und Artistik. In ihrem Programm „Bagage“ versuchen zwei ungleiche Figuren mit sämtlichen fantasievollen Mitteln, sich einem großen Stapel Säcke zu widmen und sich von diesen „nicht unterkriegen“ zu lassen. Dabei tritt Zwischenmenschliches zu Tage, mal konkurrierendes mal zugewandtes – in jedem Fall immer Unterhaltsames.

Die Schneekugel und „Die Show“

Ein Kuriositätenkabinett auf Rädern, das ursprünglich eine kleine Gondel war, begegnete den Menschen immer wieder auf den Straßen, gleichsam auf dem Weg Richtung Kronberger Burg. Auch hier wurde neben zahlreichen kuriosen Objekten, die mal schräg, mal lustig daherkommen, ebenfalls Bedauerliches wie der Klimawandel künstlerisch verpackt. Allerhand „Kaputtes“, wie es ein achtjähriger Junge seinen Eltern erklärte, könne man da ja sehen, nachdem er sich die fahrende Schneekugel angeschaut und dem einhergehenden Audiobeitrag gelauscht hatte. Die kleine Gebirgswelt wird durch das „Theatre de la Toupine“ poetisch und „punkig“ interpretiert, das sich bewegende Kunstwerk kreierte der Schweizer Künstler Pascal Bettex. Auf der Burg angekommen fanden dann die stets sehr gut besuchten Vorstellungen von Tridiculous „Die Show“ statt. Mit geballter Kraft und Körperbeherrschung ließen die drei Darsteller das Publikum staunen – und lachen. Ob Breakdance, Slapstick oder die akustische Beat Box ergänzt durch Strapaten oder Gesang – alles fand seine spielerische Freude ganz oben auf dem Kronberger Burghügel. Musik, Artistik, Comedy – alles auf einen Haufen von drei Darstellern mit erstaunlich viel Bewegungsenergie.

Historie

Bereits seit der Antike – in etwa seit dem zweiten Jahrhundert nach Christus – waren die Gaukler in der Urform des Straßentheaters unterhaltend unterwegs, entweder als „One-Man-Show“ oder mehrköpfige Theatergruppe. Anschließend setzte im Mittelalter die Straßenkünstlerschaft zudem bereits häufig auf das Prinzip „Improvisation“. Unter freiem Himmel galt und gilt es, sich von Beginn an ein ganzes Stück mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, schließlich sind die gestalterischen Mittel und die „Bühnenmöglichkeiten“ reduziert. Da braucht es schon Stelzenläufer, Akrobaten, verspieltes Gerät, kreativ gestaltete magische Objekte, Musik und Zauberkunst, um das Publikum zu ködern und anschließend in den jeweiligen künstlerischen Bann zu ziehen.

Politische Neuzeit

Das deutsche Straßentheater der Neuzeit wiederum hat seine Wurzeln im Arbeitertheater. Dieses entstand teils als Protestbewegung, teils als politischer Informationslieferant im Untergrund während der Zeit der Sozialistengesetze zwischen den Jahren 1879 und 1890. Straßentheater wurde als „Kultur von unten“ gesehen und genutzt. Häufig waren es beispielsweise Plätze vor Fabriktoren nach Werkschluss, an denen die Arbeiterschaft direkt angesprochen wurde. Diese politischen Bewegungen wurden dann sogar über die Flucht vor den Nationalsozialisten in die Vereinigten Staaten von Amerika exportiert.

Dort entstand das sogenannte „Living Theatre“. Im weiteren Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nutzten Studentenbewegungen in Europa und Übersee die Kulturform des Straßentheaters, um sich und die im Fokus liegenden sozialpolitischen Inhalte auszudrücken, auch die Friedensbewegung nahm daran teil. Nach und nach entstand nun bis zum heutigen Tage eine gelungene Melange aus heiterem, gleichzeitig immer noch häufig genug gesellschaftskritischem Darstellen mit unzähligen Stilmitteln und Handlungsformen.

Sozialpsychologie

In südamerikanischen und südafrikanischen Landstrichen diente das Straßentheater gar als eine Art gesamtgesellschaftliche Selbsthilfegruppe. Zwischenmenschliches wurde rudimentär – nicht nur in den Armenvierteln – präsentiert und zum Anfassen nahe praktiziert. Das „Wir“ und „Du bist nicht alleine“-Gefühl war bisweilen psychotherapeutischer Ersatz. Das Miteinbeziehen des Publikums ist ein grundsätzliches Element des Straßentheaters, egal, zu welcher Zeit und völlig unabhängig, an welchem Ort. Es ist seit längerem als eigenständige Kunstform anerkannt und akzeptiert.

Durch den Reichtum an Spontanität im Sinne des Improvisierens und den kreativen Nutzen von gegebenem Raum als Bühne „vor Ort“ war es vielmehr so, dass nach und nach das Straßentheater mit seinen ihm immanenten künstlerischen Merkmalen Einfluss auf die klassischen und bis zu diesem Zeitpunkt etablierten Theaterformen ausübte. Puristische Spielszenen, Figuren- und Stelzentheater, dem Zirkus entliehene Figuren wie die des Clowns oder Narren und außergewöhnliche Großinszenierungen wie Flashmobs sind seitdem auch in den Theatern von Städten und Bundesländern feste Bestandteile.

Erfolg

An diesem Tag war es sehr schwer, im Kronberger Straßenbild um das internationale „Da Capo“ Straßentheater-Festival herum ein trauriges Gesicht zu finden. Überall wurde gelacht, gelächelt und palavert. Es war ein angenehmer Erfolg, dieses „Da Capo“ 24, und zwar von Anfang an.

Dass man keine Sorge haben musste, eine Darbietung zu verpassen, lag an dem umsichtigen Zeitplan der „Festival-Macherin“ Arden. Verpasste man mittags einen „Act“, so hatte man mindestens noch zweimal die Möglichkeit, das im Laufe des Tages nachzuholen.

Man musste nur etwas Zeit mitbringen und die im besten Sinne „verschwenden“ wollen, dann konnte man an diesem Tag wirklich einmal ab- und eintauchen und kurz Luft holen ob der vielen herausfordernden Themen in diesen Zeiten. Das taten nach inoffizieller Schätzung rund 5.000 Menschen und ließen ein wenig die „Seele baumeln“. Am 25. Mai im Jahr 2025 feiert das „Da Capo“-Straßentheaterfestival dann 25jähriges Jubiläum. Man darf schon jetzt gespannt sein.

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