Grüner Weg: Sinneswandel in Sachen Gemeinschaftsunterkunft

Kronberg (pu) – Vor wenigen Wochen erst schien das Ende des Projekts „Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft (GU) am Grünen Weg“ besiegelt, nachdem Bürgermeister Klaus Temmen und Erster Stadtrat Robert Siedler (beide parteilos) darüber informierten, dass die Vorgabe des Stadtverordnetenbeschlusses vom 21. Juli 2017, die Baukosten für eine Gemeinschaftsunterkunft „Grüner Weg“ auf 2,3 Millionen Euro brutto zu deckeln und eine kostendeckende Vereinbarung mit dem Hochtaunuskreis zu treffen, aufgrund zwischenzeitlich gestiegener Baukosten unerreichbar ist.

Die jüngste Korrektur der Baukosten hatte zum Aktualisierungszeitpunkt aufgezeigt, dass nun circa 2,8 Millionen Euro brutto aufzuwenden wären. Da mit der Baumaßnahme, aufgrund der Auflagen der Genehmigung (Rodung), erst im Oktober begonnen werden könnte, stand zu erwarten, dass sich die Baukosten bis dahin in Richtung 3 Millionen Euro brutto bewegen (wir berichteten). Vor diesem Hintergrund sahen die Mitglieder des Haupt-, Petitions- und Finanzausschusses keine andere Alternative, als in der jüngsten Sitzung der entsprechenden Dringlichkeitsvorlage des Magistrats folgend die Empfehlung abzugeben, einen Schlussstrich unter das Projekt zu ziehen. Zu diesem Zeitpunkt deutete nichts auf einen etwaigen Sinneswandel hin.

Motor FDP

In den Tagen vom 29. Mai bis 13. Juni kniete sich allerdings die FDP-Fraktion noch einmal richtig in die Thematik hinein aus dem Antrieb heraus, dass bekanntlich die Gemeinschaftsunterkunft an der Altkönigschule voraussichtlich im September geschlossen werden muss und händeringend Wohnraum für über 30 anerkannte Flüchtlinge benötigt wird. Die innerhalb weniger Tage gesammelten Erkenntnisse veranlassten die Liberalen zu beantragen, dass die Dringlichkeitsvorlage des Magistrats in der letzten Parlamentssitzung vor der Sommerpause kurzerhand von der Tagesordnung II (wegen Einigkeit im Ausschuss nur zum finalen Absegnen) auf die Tagesordnung I (Anträge mit Diskussionsbedarf) rückte.

Dementsprechend ergriff der FDP-Fraktionsvorsitzende Walter Kiep das Wort. „Wer profitiert denn von unserer Entscheidung, wenn wir dem Vorschlag des Bürgermeisters folgen?“, warf er provokant in den Raum und gab selbst unverzüglich die Antwort: „Die Stadt mit Sicherheit nicht. Es ist der Kreis, der auf diese Weise ohne jegliche finanzielle Verpflichtungen aus der mit Kronberg geschlossenen Verwaltungsvereinbarung herauskommt.“ Genau das ist allerdings den Liberalen ein Dorn im Auge und so richtete sie an die Kollegen der anderen Fraktionen den flammenden Appell, das Projekt mitnichten frühzeitig ad acta zu legen. „So lange Fragen offen sind sowie die Realisierung der GU noch immer möglich ist, sieht die FDP-Fraktion keinen Grund, dem Antrag zuzustimmen und das muss für uns alle gelten.“

Lösung, die atmet

Kiep rief in Erinnerung, Basis der in einer Sondersitzung getroffenen Entscheidung von 2017 sei zum einen eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge in Kronberg gewesen, vor allem der in den Containern an der Altkönigschule untergebrachten Flüchtlinge. Zum anderen habe die Chance bestanden, langfristig über eine Unterkunft zu verfügen, die mit einem geringen Aufwand in 19 Sozialwohnungen umzugestalten war. Insgesamt handele es sich um eine Wohnfläche von immerhin 1.037 Quadratmetern. „Wir haben damals eine Lösung geschaffen, die atmet und sowohl anerkannten als auch nicht anerkannten Flüchtlingen Platz bietet“, bekräftigte der liberale Politiker.

Aufgrund dieser Überlegungen sei die Parlamentsmehrheit bereit gewesen, diese Unterkunft im Wesentlichen über ein KFW-Darlehen langfristig zu finanzieren – die ersten 10 Jahre zinsfrei – sowie auf Mittel aus einem entsprechenden kommunalen Investitionsprogramm, welches über den Kreis angeboten wurde, zuzugreifen. Des Weiteren habe der Aspekt eine wichtige Rolle gespielt, dass der Kreis sich bereit erklärt habe, die laufenden Kosten der GU vollständig mindestens zehn Jahre zu tragen und „unabhängig von der Anzahl der Flüchtlinge für 90 Prozent der vorhandenen Plätze die Kosten zu erstatten.“

Dies sollte nach dem Wissen der FDP alle Kronberg zugewiesenen Flüchtlinge betreffen, demnach auch anerkannte Flüchtlinge, für die noch keine Wohnung zur Verfügung gestellt werden konnte. „Unter diesen Umständen waren wir bereit, Planungskosten in Höhe von 200.000 Euro zu tragen“, rief er ins Gedächtnis.

Ein Unding sei allerdings, dass in jener Sitzung der Bürgermeister und der damalige Leiter des Fachbereichs Verwaltungssteuerung, Andreas Feldmann, davon sprachen, ein entsprechender konkreter Vertragsentwurf zwischen der Stadt und der Kreisverwaltung liege vor und die Unterschriften reine Formalsache, im Endeffekt jedoch fast ein Jahr verging bis wegen erhöhtem Abstimmungsbedarf die komplexe Verwaltungsvereinbarung unterschrieben war. Eine noch bis Ende des Jahres gültige Baugenehmigung liegt, so bestätigte es Bürgermeister Klaus Temmen (parteilos), seit 12. Oktober 2017 vor, der bestätigte, die Abstimmung über den Vertragsentwurf habe sich wegen der Komplexität und weiterer Faktoren tatsächlich länger als vorher erwartet hingezogen.

Summasummarum folgerte Kiep, betrachte man alle aktuell vorliegenden Fakten, lasse das einzig den Schluss zu: „Die GU zu bauen und dort die zurzeit in Kronberg vorhandenen 33 nicht anerkannten Flüchtlinge unterzubringen. Den Rest des Gebäudes wandelt man sukzessive in Wohnungen für anerkannte Flüchtlinge um, denn für diese haben wir keine Bleibe und dies betrifft nicht nur die 34 anerkannten Flüchtlinge, sondern weitere 33 anerkannte Flüchtlinge.“ Dieser Weg sei ohne Zweifel für die Stadt vorteilhafter, als die bisher im Raum gestandene Lösung mit einer provisorischen Unterkunft für 1 Million Euro für 34 anerkannte Flüchtlinge.

Obwohl der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende die überraschende Kehrtwende der FDP ebenso überraschend fand wie weitere Kollegen, attestierte er das Vorliegen von Aspekten, die „nicht einfach zur Seite geschoben werden können.“

Viertel nach zwölf

Die Fraktionsvorsitzende des Ortsverbands von Bündnis90/Die Grünen, Petra Fischer-Thöns, machte dagegen ihrem aufgestauten Ärger Luft und sprach von einem bisher ausgesessenen „Drama“, das die Politik zu verantworten habe und dessen Folgen nun die Flüchtlinge ausbaden müssten. Angesichts insgesamt rund 170 Suchender von gefördertem Wohnraum müsse man sich die Frage stellen: „In welcher Stadt leben wir eigentlich? In Kronberg ist es diesbezüglich nicht fünf vor, sondern viertel nach zwölf!“

Die Vorwürfe Fischer-Thöns, die vor allem in Richtung CDU zielten, da sie im letzten Jahr den Antrag auf Rodungsstopp stellte, wies deren Fraktionsvorsitzender Andreas Becker zurück, denn immerhin habe sich dafür eine Parlamentsmehrheit von 19 Ja-Stimmen ausgesprochen. „Daher kann ich kein schuldhaftes Handeln erkennen!“ Gleichwohl plädierten die Christdemokraten angesichts der neuen Situation für die „sofortige Entwicklung eines Bebauungsplans Grüner Weg, um Baurecht zu schaffen!“ Bündnis90/Die Grünen-Stadtverordnete Mechthild Schwetje lenkte den Blick auf einen anderen „Skandal“, nämlich den, dass an der Frankfurter Straße Baurecht bestehe und die Lösung von dortigen Mobile Homes erst neuerdings ins Spiel gekommen sei.

Die hitzige Diskussion wurde nochmals verschärft durch die Wählergemeinschaft „Kronberg für die Bürger“ (KfB), als deren Co-Fraktionsvorsitzende Alexa Börner ihr Erstaunen über die Debatte, die fehl am Platz sei, zum Ausdruck brachte und den Magistrat aufforderte „Gas zu geben“ in der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Diese Äußerungen trieb wiederum etlichen Parlamentskollegen und dem Magistratsmitglied Hans Robert Philippi die Zornesröte ins Gesicht, der unverzüglich und murrend den Saal verließ. Die Gründe dafür lagen auf der Hand, bekanntlich hat die KfB in der Vergangenheit die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum mitnichten ganz oben auf der Agenda gesehen. Im Ergebnis votierten bei der namentlichen Abstimmung lediglich neun Parlamentarier für die Umsetzung der Vorlage bei einer Enthaltung und 17 Gegenstimmen. Der Ball liegt nunmehr erneut im Feld des Magistrats, der abklopfen muss, wie das Projekt „Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft (GU) eventuell doch umsetzbar ist.



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