Höheren Stellenwert für den Naturschutz: Verzicht auf „Grüner Weg“ als Bauerwartungsland

Tiefgrün ist dieser Weg zum Bolzplatz, im Gebiet des „Grünen Weg“gelegen, rechts von Obstbäumen, links von Wildwuchs gesäumt. Die Stadtverordneten haben beschlossen, dass das Grün unangetastet bleiben soll. Foto: Westenberger

Kronberg (mw) – Die Stadtverordneten haben in der zweiten Sitzung der neuen Wahlperiode mit einer Mehrheit von 16 zu 13 Stimmen bei 29 anwesenden Stadtverordneten eine richtungsweisende Entscheidung getroffen, mit der noch vor einem Jahr kaum jemand gerechnet hätte. Die Stadtverordnetenversammlung hat den Magistrat beauftragt, beim Regionalverband Frankfurt Rhein-Main die Änderung des Regionalen Flächennutzungsplans im Bereich „Grüner Weg“ von „Wohnbaufläche (geplant)“ in „Ökologisch bedeutsame Flächennutzung mit Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung“ zu beantragen. Der Regionale Flächennutzungsplan ist das gesetzlich vorgesehene Planungsinstrument des Regionalverbandes Frankfurt Rhein-Main und wird derzeit für das Zieljahr 2030 neu aufgestellt.

Eingereicht hatte den Antrag die KfB, die dazu bemerkt: „Mit dem Regionalen Flächennutzungsplan wird die zukünftige Siedlungsentwicklung unserer Gemeinde fundamental beeinflusst, unter anderem wird darüber die zukünftige Entwicklung der Verkehrs-, Wohn-, und Gewerbeinfrastruktur sowie die Sicherung des Freiraums in allen Ortsteilen gesteuert.“

Jahrzehntelang war der „Grüne Weg“ Bauerwartungsland, das im Stadtentwicklungskonzept eine nicht unerhebliche Rolle spielt, da sich das Gebiet entlang des „Grünen Wegs“ aufgrund der vergleichbar vielen Flächen in städtischem Besitz gut als Potenzialfläche für bezahlbaren Wohnraum eignet. Zu diesem Zweck hatte die Stadt, wie Erster Stadtrat Robert Siedler (parteilos) informierte, insgesamt fünfmal ihr normales Vorkaufsrecht sowie einmal ein „limitiertes Vorkaufsrecht“ genutzt, um dort in den vergangenen Jahren Flächen zu erwerben. Siedler sprach von rund 25 Prozent der Flächen, die die Stadt innerhalb der vergangenen acht Jahre erworben habe und von ungefähr 1,5 Millionen Euro, die die Stadt verliere, wenn die Flächen von Bauerwartungsland in landwirtschaftliche Fläche zurückgestuft würden. Auf die vergangenen 15 Jahre gerechnet würden außerdem Planungskosten in Höhe von 100.000 Euro zu Buche schlagen. Tatsächlich war man mit den 15 Hektar „Grüner Weg“ schon sehr weit in den Planungen. Wer erinnert sich nicht mehr an die langwierige Diskussion im Zuge der Planentwürfe, den Reitverein aus dem Gebiet herauszunehmen zwecks anderer Wohnbebauung? Oder an den prognostizierten Verkehrskollaps für den Fall, die geplante Wohnbebauung würde ohne weitere Änderungen an den Verkehrsknotenpunkt Sodener Stock angeschlossen werden. Jedes Mal, wenn der „Grüne Weg“ auf der Agenda stand, schlugen auch die Wogen in der Bürgerschaft hoch. Das Gebiet zu bebauen blieb für einen Teil in der Bürgerschaft unvorstellbar, während es ein Großteil der Politik damals jedoch für notwendig und wünschenswert hielt, den „Grünen Weg“ zu bebauen.

Wertvolles Biotop erhalten

So erinnerte der FDP-Stadtverordnete Walther Kiep in seiner Rede an die Koalitionsvereinbarung von CDU, SPD und UBG aus dem Jahr 2016, aus der er zitierte: „Die derzeit zur Bebauung festgelegten Flächen sollen grundsätzlich bestehen bleiben. Im Anschluss an die bestehende Bebauung soll Geschosswohnungsbau realisiert werden. Auf der Basis eines städtebaulichen Gesamtkonzeptes des Entwicklungsgebietes kann in Teilen eine verdichtete Bebauung erfolgen.“

Und er fragte in Richtung der damaligen Koalitionspartner: „Gibt diese Vereinbarung noch Ihre Ziele wieder oder gilt jetzt etwas anderes?“ Kiep wollte wissen, was nun gelte: „Die Bebauung des ,Grünen Weges‘ oder der Erhalt eines wertvollen Biotops?“ Beides zusammen gehe nun einmal nicht. Es sei völlig legitim, „der Verbesserung der Wohnsituation den Vorrang einzuräumen und ein wertvolles Biotop zu opfern.“ Doch man solle das dann auch klar benennen. Die FDP folgt ihrem Leitbild, das Stadtbild Kronbergs zu erhalten, sagte er. Mit der Aufstellung der B-Pläne „Altkönigblick“ und „Baufeld V“ sowie der bereits in der Umsetzung befindlichen Projekte, beispielsweise in der Friedensstraße, werde „im machbaren Umfang auch Wohnraum für durchschnittliche Einkommen geschaffen“. Kiep wörtlich: „Mehr ist nur über die Bebauung ,Grüner Weg‘ zu schaffen. Das lehnen wir ab. Wir können nicht über Klimaschutz Sonntagsreden halten und anschließend ein wertvolles Biotop für circa 500 bis 700 Wohnungen opfern.“

Die KfB und mit ihr der Co-Fraktionsvorsitzende Dr. Jochen Eichhorn nannten als Ziel ihres Antrags, „im Gebiet des ,Grünen Wegs‘ die Bauentwicklung zu stoppen“. Eichhorn: „Wir wollen Kronberg und die Natur in diesem sensiblen Gebiet vor ökologischen und stadtplanerischen Fehlentwicklungen schützen.“ Das Gebiet „Grüner Weg“ sei Grüngürtel und Naherholungsgebiet für Bürger aus Kronberg und den umliegenden Orten. Es zeichne sich durch Streuobstwiesen, Hecken und Äcker aus. „Damit bieten die Flächen wertvolle Lebensräume für viele – auch gefährdete – Tierarten und Pflanzen.“ Die Verhinderung von Artensterben habe ähnlich große Bedeutung wie der Klimawandel, werde aber seltener betrachtet. Streuobstwiesen seien zudem gesetzlich geschützte Biotope und von der Deutschen UNESCO als immaterielles Kulturgut anerkannt.

Bereits 2019 sei, als es um die Ausübung eines Vorkaufsrechts im Bereich des ,Grünen Wegs‘ ging, deutlich geworden, dass eine Mehrheit entweder generell gegen eine Bebauung gewesen sei oder diese allenfalls durch zukünftige Generationen entschieden haben wollte. Gleiches habe sich in den Wahlaussagen fast aller Parteien im Kommunalwahlkampf widergespiegelt, „wo alle das Hohe Lied auf das grüne Kronberg und den Schutz der Streuobstwiesen sangen“. Eichhorn führte aus: „Wir müssen berücksichtigen, dass in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Baugebiete mit Hunderten neuer Wohnungen entstanden sind. Zudem laufen derzeit Planungen für die Schaffung auch von bezahlbarem Wohnraum am Bahnhof im Baufeld V sowie auf dem ehemaligen Sportplatz in Oberhöchstadt.“ Es gelte nun, ein Zeichen in Richtung „maßvolle Bebauung“ und allgemein „in Klima- und Artenschutz“ zu setzen.

Prof. Heinfried Moosbrugger von der CDU-Fraktion hingegen warb dafür, eine so weitreichende Änderung des Regionalen Flächennutzungsplans nicht aus einer „Wahlprosperität“ oder „aus dem Bauch heraus“ zu entscheiden. Schließlich sei die Nutzung als Bauentwicklungsgebiet schon lange Intension. Der CDU gehe es nicht darum, dort womöglich überstürzt bauen zu wollen. Doch Stadtentwicklung sei erfahrungsgemäß ein langwieriger Prozess, so dürfe man sich der Möglichkeit, dort Bauerwartungsland für zukünftige Generationen zu bevorraten, nicht völlig verschließen und auch mögliche Aspekte hinsichtlich des Schadens für die Stadt nicht unberücksichtigt lassen, denn die Grundstücksbesitzer hätten hier seit langem mit Bauentwicklungsgebiet geplant. Bei solch einem wichtigen Anliegen sollte man mit einer „kräftigen“ statt mit einer „hauchdünnen Mehrheit“ beschließen.

Potenzialfläche nicht aufgeben

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Haas warb ebenfalls dafür, „Entwicklungsperspektive für zukünftige Generationen“ nicht wegfallen zu lassen. „Es ist ein Jammer, wenn wir diese Option aufgeben“, befand er. Auf dem 15 Hektar großen Gebiet hätte schon über drei Bürgermeister hinweg eine „strategische und gelungene Grundstücksbevorratung“ stattgefunden und genau das sei auch Aufgabe einer Stadt. Aktuell lägen die Prioritäten auf dem „Baufeld V“ und dem „Altkönigblick“. „Hier will niemand bauen, aber wir machen uns eine Option zu“, so Haas. Es sei eine „wichtige Potenzialfläche“. Verzichte man auf die Bevorratung dieser Fläche für bezahlbaren Wohnraum, „werden auch bestimmte Passagen des Stadtentwicklungskonzeptes in die Tonne getreten“, kritisierte er. Außerdem verliere man dieses Gebiet als mögliche Ausgleichsflächen, wenn an anderer Stelle für die Handwerker dringend benötigte Gewerbeflächen ausgewiesen würden.

Ausgleichsflächen bevorraten?

Auch Erster Stadtrat Robert Siedler warnte davor, die Flächen als Bauerwartungsland aufzugeben. Seiner Überzeugung nach würden als Ausgleichsflächen laut dem Regionalen Flächennutzungsplan nur solche gelten, die eben schon beplant seien und dann aufgegeben würden. Der KfB-Stadtverordnete Eichhorn hatte sich schlau gemacht und war zu einem anderen Schluss gekommen: „Das eine ist die Verwendbarkeit des Gebietes als Ausgleichsfläche. Hier ist es so, dass nach dem Bundesnaturschutzgesetz ein Ausgleich auch mit Flächen möglich ist, die nicht mehr zur Bebauung vorgesehen sind“, erklärte er nach seinem Verständnis. „Nach der aktuellen Ausgleichflächenrichtlinie mag es so sein, dass der ,Grüne Weg‘ als Ausgleichsfläche entfiele, wenn er im Regionalen Flächennutzungsplan umgewidmet wird.“ Doch werde diese Ausgleichsflächenrichtlinie für den neuen Flächennutzungsplan vermutlich nicht mehr gelten.

Kein Verständnis für den Entschluss, den „Grünen Weg“ aus dem Regionalen Flächennutzungsplan als mögliches Bauland zu streichen, hatte neben der CDU und der SPD auch die UBG. „Sie berauben sich ohne Not jeder Gestaltungsmöglichkeit“, stellte die UBG-Stadtverordnete Alexandra Sauber fest. Doch der stellvertretende Grünenfraktionsvorsitzende Udo Keil hielt dagegen: „Der irreversible Verlust von Fauna und Flora – sprich der Artenschwund – geht ungebremst weiter. Streuobstwiesen sind ein Rückzugsort für viele Tiere und Pflanzen, sie haben eine herausragende Bedeutung im Kampf gegen den Biodiversitätsverlust.“ Ihr Erhalt sei für zukünftige Generationen wichtig. „Helfen Sie doch mit, auch für unsere Nachfahren, eine bunte, eine vielfältige, eine lebenswerte Welt zu erhalten“, appellierte er an die Stadtverordneten. In der Diskussion bisher seien Begriffe gefallen wie: Die Wiesen seien „ungepflegt“ und teilweise „verwildert“ oder es sei von „einer Umwidmung des Bauentwicklungsgebietes in Ackerland“ die Rede gewesen. Keil betonte: „Es geht hier nicht um die Umwandlung in Ackerland, sondern um den Erhalt einer ökologisch wertvollen Kulturlandschaft.“ Abgesehen davon werde suggeriert, Ackerland sei weniger wertvoll. Keil führte aus: „Wann erkennen wir endlich, dass ein Wert sich nicht immer nur in Euro bemisst. Die Entstehung eines fruchtbaren, für unsere Ernährung unabdingbaren Bodens dauert mehrere tausend Jahre.“ Wenngleich diese Werte nur schwer in Euro zu erfassen seien, „haben sie für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen einen höheren nachhaltigeren Stellenwert.“ Keil forderte die Stadtverordneten abschließend zum Umdenken auf, denn, so der Grüne: „Der Naturschutz benötigt endlich einen höheren politischen Stellenwert – auch und gerade hier in Kronberg.“ Am Ende wurde namentlich abgestimmt und mehrheitlich entschieden, die Flächen, bis auf die Fläche für die bereits schon lange beschlossene Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge (FDP-Änderungsantrag), im Regionalen Flächennutzungsplan entsprechend umwidmen zu lassen.



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