Der Jahrgang 1938 ist Zeitzeuge der Geschichte

Beim diesjährigen Treffen des Jahrgangs 1938 teilten die Anwesenden unter anderem ihre Erinnerungen zum Zweiten Weltkrieg. Foto: privat

Kronberg (kb) – Beim diesjährigen Treffen des Jahrgangs 1938 sprachen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch über die derzeitige Vielfalt der Medienberichte, das 80 jährige Ende des Zweiten Weltkrieges und stellten überrascht fest, dass sie jetzt auch Zeitzeugen der Geschichte geworden sind.

Der Jahrgang 1938 ist ja direkt in die Kriegsjahre 1939 bis 1945 hineingeboren worden. Schon mit dem Besuch des Kindergartens wurden sie mit nationalsozialistischem Gedankengut konfrontiert. Bei deren Gedenkfeiern (1.Mai, Heldengedenktag, Hitlers Geburtstag und ähnliches) mussten sie in der Kindergarten- und Schulzeit teilnehmen. Wer dort den Hitlergruß nicht richtig machte oder mit dem linken Arm den rechten unterstütze, wurde beispielsweise in Schönberg mit dem Stock bestraft. Mit großen Augen sahen sie auf die Hitlerjugend, die schon eine Uniform trugen und über ein Messer verfügten. Mit dem Schulbeginn ging es dann weiter. Der Unterricht begann immer mit dem Hitlergruß, bevor schreiben gelernt wurde, musste man das Hakenkreuz zeichnen können. Die Lehrer hatten ihre Anordnungen und gestalteten den Unterricht entsprechend. In Erinnerung blieb eine Lehrerin, die nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 weinend vor der Klasse saß und keinen Unterricht halten konnte. Als das dritte Reich zu Ende ging und die Luftangriffe auf Frankfurt und Umgebung immer häufiger wurden, war wegen der dauernden Fliegeralarme (in 1944 wurden an einem Tag 480 Alarme bei Tag und Nacht gezählt) ein geregelter Unterricht nicht möglich. Die meiste Zeit verbrachte man im Luftschutzkeller. So wurde der Schulbetrieb bis Herbst 1945 eingestellt, da nach dem Einmarsch der Amerikaner am 29. März 1945 das ganze Schulsystem umgestellt werden musste. Lehrer mit Nazi-Vergangenheit wurden verhaftet. Die neuen jungen Lehrer kamen meist von der Front und waren entsprechend traumatisiert. Nazi-Lehrbücher wurden eingezogen, neues Lehrmaterial gab es noch nicht. Hefte gab es nur gegen Altpapier, eine Schiefertafel war eine Kostbarkeit und Federhalter sowie Bleistifte gab es selten. Erst nach der Währungsreform gab es dann wieder Lehr- und Lernmittel.

Das Schlimmste jedoch war der Hunger. Die Versorgung der Bevölkerung fiel nach dem Kriegsende komplett zusammen. Es mussten „Beschaffungsmaßnahmen“ gefunden werden, um das Überleben zu sichern. So wurden auf abgeernteten Feldern „Kartoffeln gestoppelt“ und Ähren gelesen. Für Bucheckern im Wald gesammelt gab es Öl, Heiz- und Brennmaterial. Holz aus dem Wald wurde zugeteilt und um das „Restholz“ und die Kiefernzapfen im Wald gab es Streitereien. Der Waldboden war wie leergefegt. Wer einen Garten hatte, konnte einen Teil der Ernährung damit decken. Die Kinder wurden eingesetzt, um Kartoffelkäfer und ihre Larven von den Pflanzen zu befreien, auch von den Kohlpflanzen wurden die Raupen abgenommen und beides wurde an die Hühner verfüttert. Allein in Oberhöchstadt gab es 100 unterernährte Kinder. An den Schulen wurde dann zuerst die von den Amerikanern gekochte „Schulspeisung“ ausgegeben. Danach erhielten die Gemeinden dafür die Lebensmittel (Mais und Sojamehl) und kochten selbst. Je nach Ernährungszustand wurde man in Gruppen (1-4) eingeteilt. Gruppe 1 war „bevorteilt“ und wenn etwas übrigblieb, erhielten sie einen Nachschlag.

Mit dem Einzug der Amerikaner lernten die Kinder den Geschmack von Schokolade kennen und kauten zum ersten Mal mit Begeisterung einen Kaugummi. Auch lernten sie Menschen kennen, die eine dunkle Hautfarbe hatten. Aus heutiger Sicht alles Selbstverständlichkeiten für die Menschen – damals aber eine neue Welt.

Nach der Währungsreform wurde die Schulspeisung eingestellt. Den Kindern wurde vermittelt, was es heißt in einer Demokratie zu leben, da sie ja nur die Nazi-Diktatur und Krieg kannten. Die ersten Zeugnisse gab es 1949. Bedingt durch den Unterrichtsausfall während des Krieges wurde das 10. Schuljahr ab dem Jahrgang 1936 beschlossen. Da die Schulen in Oberhöchstadt und Schönberg dafür nicht ausreichten, mussten die Schüler zur Abschlussklasse nach Kronberg. Dadurch entstanden neue Gemeinschaften, die federführend von der „Kaffeeklatsch-Runde“ (Britta Schaar, Karola Roth, Helga Nikolaus, Gisela Schneider, Elfriede und Ludwig Bettenbühl, und Detlev Geißel) seit 1978 geführt wurde. Sie organisieren für den Jahrgang 1938 regelmäßige Treffen und gemeinsame Fahrten. Darüber hinaus betreuen sie Jahrgangskameraden, die krank sind und an den Treffen nicht teilnehmen können. Diese Arbeiten sind vorbildlich und werden von allen anderen Jahrgangskameraden immer besonders gewürdigt.



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