Kronberg (mg) – Die Kinderrechte, die seitens der Vereinten Nationen (United Nations, kurz UN) im Jahr 1989 in der UN-Kinderrechtskonvention formuliert wurden, sind nicht ausdrücklich im Grundgesetz – der bundesdeutschen Verfassung – vermerkt. Im Jahr 2021 legte die damalige Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD zwar einen Entwurf hierfür vor, eine entsprechende Verfassungsänderung scheiterte jedoch. Gleichzeitig ratifizierte, wie viele andere Länder, Deutschland im Jahr 1992 diese Vereinbarung und verpflichtete sich, die Rechte der Kinder nach den Vorgaben der Konvention zu schützen und zu fördern. Dass der demografische Faktor wiederum längst negativ auf die gemeinschaftliche Verfassung und Atmosphäre der Bundesrepublik wirkt und finanzielle und strukturelle Probleme schafft, ist kein Geheimnis mehr. Jedem halbwegs bewusst durch die Straßen seiner Kommune laufenden Menschen wird klar und deutlich, dass die deutsche Gesellschaft schlicht und ergreifend überaltert ist. Das ist keine Annahme oder Wertung, sondern schlichtweg Fakt. Auch in Kronberg, das im Stadtteil Oberhöchstadt mit dem Altkönigstift sogar das größte Seniorenwohnstift im Rhein-Main-Gebiet aufweist, ist dies erkennbar. Folgen dieser zunächst statistischen Werte sind im gesellschaftlichen Alltag unter anderem überlastete Rentensysteme, Fach- und Arbeitskräftemangel, steigende Kosten im Gesundheitssystem und auch ein sinkendes Wirtschaftswachstum. Dass ungefähr 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland offiziell in Armut leben und es Stand diesen Jahres an ungefähr 430.000 Kitaplätzen bundesweit mangelt, ist ebenso Realität wie ein nicht gerade geringer Anteil an Altersarmut, der häufig genug dazu führt, dass Seniorinnen und Senioren anderenorts schambesetzt die Öffentlichkeit meiden. Nun hat die höchste deutsche Gerichtsbarkeit, das Bundesverfassungsgericht, mit ihrem „Klimaschutzurteil“ im Jahr 2021 zwar die Rechte der zukünftigen Generationen zumindest bei diesem Thema in den Fokus genommen und unterstützt, da Freiheits- und Grundrechte von morgen beeinträchtigt würden; gleichwohl ist die „Kinderlobby“ in der Bevölkerung alleine zahlenmäßig hierzulande deutlich unterlegen. Das hat Auswirkungen auf politische Entscheidungen und ob diese anschließend umgesetzt werden oder nicht und damit auch auf die Rechte von Kindern und Jugendlichen. Damit aus Kindern auch verantwortungsbewusste und selbstbestimmte Menschen werden, die sich sowohl um sich selbst als auch um den gemeinschaftlichen Sinn einer demokratischen Gesellschaft kümmern können, braucht es neben einem zugewandten und sozial kompetenten Elternhaus auch Unterstützung durch pädagogische Institutionen und Einrichtungen wie Schulen und Kindertagesstätten.
Ausstellung in der Rappelkiste
„Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.“ Dieses Sprichwort kennt man in vielen Ländern der Erde, auch im Nachbarland Italien. Dort – genauer in der Stadt Mailand – wurde auch die Leiterin der evangelischen Kindertagesstätte „Rappelkiste“ im Kronberger Stadtteil Schönberg – Cinzia Belfiore – geboren. Im Februar 2010 kam sie nach Deutschland, um dort in Marburg einen Teil ihres Philosophiestudiums zu absolvieren. Nachdem sie sowohl ihren Bachelor- als auch Masterabschluss in der Tasche hatte, arbeitete sie eine Zeit lang im forschungsorientierten Kinderhaus der Frankfurter Fachhochschule im Bereich Technik und Wissenschaft für Vor- und Grundschulkinder und sammelte vor Ort bei der Umsetzung von Projekten bereits erste Erfahrungen mit dem Gestalten von Ausstellungen. Dort stellte sie fest, dass ihr zum nachhaltigen Wirken nach außen in diesem Bereich gleichzeitig noch ein passender beruflicher Abschluss fehlte. So studierte sie zum zweiten Mal, in diesem Fall das Studienfach „Soziale Arbeit“. Nun ist Belfiore mittlerweile nicht nur akademische Philosophin, sondern auch studierte und staatlich anerkannte Sozialarbeiterin. Das scheint eine gelungene Mischung zu sein, um die Rechte ihres jungen Klientels gemeinsam mit ihrem Team, das ihr häufig den Rücken für solche Aufgaben freihält, auch der Öffentlichkeit bewusst zugänglich zu machen und zu kommunizieren. Die dreifache Mutter verbindet an dieser Stelle Intellekt, Herz und Leidenschaft für ihren Beruf, um so den Mädchen und Jungen, gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ein Forum zu bieten.
Die Idee, passend zur Woche der Kinderrechte und des Weltkindertags eine öffentliche Ausstellung in „ihrer“ Kita vorzubereiten, kam Cinzia Belfiore, als sie sich mit dem notwendigen einrichtungsbezogenen Kinderschutzkonzept Anfang des Jahres beschäftigte, damit weiterhin die Betriebserlaubnis für die Kita erteilt werde. Jede Kindertagesstätte ist verpflichtet, ein solches Regularium, welches an die Gegebenheiten vor Ort angepasst ist, zu entwickeln und umzusetzen. Hierfür sind die Kita-Leitungen verantwortlich. Unterstützung erhalten sie beim zuständigen Referat des Fachbereichs Kindertagesstätten der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau.
Kinder verstehen ihre Rechte
Für Belfiore lag es nahe, dass es im Kontext dieses abstrakten Konzepts im nächsten Schritt auch um das Thema Kinderschutz für das Kind selbst konkret gehen sollte. Es gab innerhalb der Kitabelegschaft Teamsitzungen wegen des Verhaltenskodexes, und dort fand man dann gemeinsam den Ansatz, „Kinderrechte mit den Kindern“ zu gestalten. Hierzu wurde eigens eine Arbeitsgemeinschaft (AG) ins Leben gerufen. Das Instrument „AG mit Kindern“ gibt es im pädagogischen Konzept der Kita Rappelkiste ohnehin bereits seit zwei Jahren; man findet darunter die Themenfelder Theater, Singen, Tanzen, Ostern, Basteln, Fasching und Lernwerkstatt. Die Arbeitsgruppen der Kinder befassen sich je nach Thema zwischen zwei und sechs Wochen lang mit den jeweiligen Aufgabenstellungen. Bei der AG Kinderrechte ging es in einem Schwerpunkt um Gewaltprävention. Im „Morgenkreis“ wurde der Inhalt zwar schon mit den Mädchen und Jungen besprochen und diskutiert – die „Bärengruppe“ von Helga Aranjos war hier sehr rege engagiert –, innerhalb der AG fand das Ganze nun jedoch ein vollumfängliches Gestaltungskonzept, an dessen Ende die Ausstellung samt Abschlusskonzert und Abschlussfeier mit den Eltern der Kitakinder stand. So wurde auch die häufig vielbeschäftigte Elternschaft miteinbezogen.
Weltkindertag
Der Weltkindertag selbst wurde bereits im Jahr 1954 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen und fällt in der Bundesrepublik Deutschland in jedem Kalender auf den 20. September, um auf die besonderen Bedürfnisse der Kinder und speziell auf deren Kinderrechte aufmerksam zu machen. Er wird in über 145 Staaten der menschlichen Welt ohne ein einheitliches Datum begangen. Entlang dieses Datums fand und findet nun in den Räumen der Kindertagesstätte in diesem Jahr zum ersten Mal eine informationsreiche, liebevoll und kompetent gestaltete Ausstellung mit zahlreichen verschiedenen Stationen und auch interaktiven Modulen zum Thema Kinderrechte statt, die sowohl „Klein als auch Groß“ viele Inhalte bieten und bisweilen womöglich ein Stück weit die Augen öffnen – die „Erste Kinderrechtewoche der Rappelkiste“. Auf zwei Etagen entdeckt man selbst gestaltete Lern- und Bildungsaktivitäten. Es gibt beispielsweise das „Wenn, dann“-Memoryspiel, bei dem Prämisse und Folgerecht vermittelt werden: Auf die Karte „Wenn ich Hunger habe…“ folgt beispielsweise das „Recht auf gesunde Ernährung“. Hinter jeder Karte befindet sich dann zusätzlich eine kurze Beschreibung des jeweiligen Kinderrechts. Der „Meine Grenze“-Spiegel vermittelt dem Kind, das sich davor positioniert, einen Spiegel seiner Intim- und Privatsphäre. Wenn die Frage auftaucht, an welcher Stelle seines Körpers das Kind nicht angefasst werden möchte, kann es sich selbst im Spiegel gegenüber reflektieren und die betroffenen Körperpartien aufzeigen – sich selbst und den anwesenden Erwachsenen. Um das in der Folge umzusetzen, können Kinder zukünftig ihre „Stopphand“ nutzen, um ihre Grenzen aufzuzeigen. Diese Hände wurden symbolisch von den Kitakindern auf Papier aufgezeichnet und hängen nun im Flur des ersten Stocks, mit dem jeweiligen Namen versehen. Ein anderes Mittel mit Gesangseinlage ist der „Schutz-Rap“. Im Stil des Sprechgesangs der Kunstform „Rap“ wird vermittelt, dass sowohl die eigenen Emotionen als auch die des oder der anderen „richtig und wichtig“ sind, „Grenzen sind zu setzen und nicht zu verletzen“ und der eigene Körper gehört nur dem jeweiligen Kind selbst. „Ich sag Nein, lass das sein!“ ist so ein kindgerechter Imperativ, der im Text des „Raps“ zum Vorschein kommt. Gleich zu Beginn am Eingang steht das „Haus der Kinderrechte“, das – aufgebaut und kindgerecht gestaltet – zum „lebendigen“ Betrachten einlädt. Das sind nur einige von sehr viel mehr Möglichkeiten während eines Rundgangs durch die Kinderrechteausstellung. Insgesamt 45 Artikel samt Inhalten findet man in der UN-Kinderrechtekonvention; die Kita Rappelkiste wählte zehn davon für die Bearbeitung und die Ausstellung aus. Weitere Informationen hierzu kann man unter anderem auf der Internetseite des Deutschen Kinderhilfswerks entdecken: www.kinderrechte.de/kinderrechte/un-kinderrechtskonvention-im-wortlaut.
Literatur
Unterstützt wurde die „Rappelkiste“ bei der Ausstellung auch durch das Angebot von Kinderbuchliteratur seitens Dirk Sackis und seiner Mitarbeiterinnen der Kronberger Bücherstube. Fast 30 Kinderbuchwerke konnten sich die Ausstellungsbesucher anschauen, sich so auch belletristisch über die „Kinderinhalte“ informieren und womöglich etwas finden, das auch in den heimischen „vier Wänden“ dazu dient, die Kinderrechte in Szene zu setzen.
Reaktionen
Andere Kindertagesstätten und auch die Bürgerschaft aus Kronberg wurden seitens der Kita Rappelkiste eingeladen, sich die Ausstellung anzuschauen. Und das taten sie auch. Einmal erschien eine 23-köpfige „Kindermannschaft“ der Villa Racker Acker und brachte so noch weitaus mehr „Leben in die Bude“, als ohnehin glücklicherweise schon existiert. Im Nachhinein kamen ausschließlich positive Rückmeldungen: „Vielen Dank für den tollen Vormittag in der Rappelkiste. Die Kinder sind begeistert und sprechen viel davon“. Grundsätzlich waren alle Kinder während der Begehung der Ausstellung sehr an den Themen, an „ihren“ Themen, interessiert. Sie stellten viele Fragen und setzten gedanklich einige Inhalte auch augenblicklich in den Alltag in der Kindertagesstätte um. Die Vorschulkinder formulierten aufgrund ihrer fortgeschrittenen Reife bereits klipp und klar, was ihre Bedürfnisse sind. Und sie standen auch direkt dafür ein. Sie dürften beispielsweise gewiss selbst entscheiden, ob sie nun „Nudeln mit oder ohne Soße“ essen möchten. Und auch, mit wem sie spielen wollen oder eben auch nicht. Sie hatten schlicht und ergreifend gelernt, auch Nein zu sagen. Die Erwachsenen, darunter viele Elternteile der Kitakinder, waren ebenfalls sehr von der Ausstellung der „Rappelkiste“ angetan. Man hatte den Eindruck, dass es kind- und altersgerecht gestaltet sei, stellte noch weitere Fragen zum Konzept und war interessiert, noch mehr zu den einzelnen Themen zu erfahren.
Vielfältigkeit
Das Team der Kita Rappelkiste besteht aus zehn Mitarbeiterinnen und einem Mitarbeiter und ist im Durchschnitt ein recht junges. Die Pädagoginnen und der Pädagoge sind zwischen 30 und 45 Jahre alt. „Wir probieren aus, was funktioniert“, formuliert es die Kitaleitung und spricht damit den kreativen und flexiblen Umgang mit den Kindern an. Es finden sich ausgesprochen zahlreiche Nationen im Team wieder. Das hilft gewiss auch beim Umgang mit den vielen verschiedenen kulturellen Ursprüngen der Kitakinder.
Das Fachpersonal weiß selbst, wie es ist und „sich anfühlt“, sich in verschiedenen Kulturen zurecht zu finden und die eine oder andere Sprachbarriere überwinden zu müssen. Ursprünge finden sich im Mitarbeiterteam unter anderem in Frankreich, Polen, Rumänien, Mauritius, Ghana, Ungarn, der Slowakei, Bosnien, der Türkei und Italien. Die Sprache Deutsch und alles, was damit verbunden scheint, ist gleichzeitig der gemeinsame Nenner.
„Uns ist vor allem wichtig, dass Kinder begreifen, dass man in einer demokratischen Gesellschaft Möglichkeiten und Rechte der Mitbestimmung besitzt und diese nutzen darf und soll. Dies vermitteln wir im gesamten Team auf unseren „Kinderkonferenzen“, im kontinuierlichen Morgenkreis und auch in der „Beschwerdestunde“, die wir für die Kinder ins Leben gerufen haben“, fasst es Cinzia Belfiore abschließend zusammen. Pfarrer Lothar Breidenstein, der auch auf dem Abschlusskonzert der Kinderrechtewoche war, schätzt das Engagement des Teams nach eigenen Aussagen sehr und ergänzt: „Kinder leben nicht in einer heilen Welt. Sie sind ebenfalls mit Ungerechtigkeit konfrontiert und erleben, dass ihre Bedürfnisse mitunter ignoriert werden. Und natürlich erleben Kinder auch Gewalt und Missbrauch. Gerade die Kirchen, die in der Vergangenheit hier viel Schuld auf sich geladen haben, stehen in besonderer Verantwortung, Kinder so zu stärken, dass sie solche Zusammenhänge verstehen und erkennen und in der Lage sind, sich Hilfe zu holen“.