Kronberg (hmz) – Unwirklich erschien der Moment der Freiheit dem österreichischen Psychiater Victor Frankel: „Freiheit, wiederholten wir und konnten es nicht fassen. Wir hatten dieses Wort in all den Jahren so oft gesagt, hatten davon geträumt…“ Doch völlig frei von Auschwitz konnten viele der Ex-Häftlinge nicht mehr werden. „Auschwitz ist für uns, seine einstigen Insassen, keine Vergangenheit“, schrieb der österreichische Schriftsteller Jean Amery. „Es ist unsere Gegenwart, vielleicht sogar unsere Zukunft.“ Das Gedenken an die Befreiung der Überlebenden des Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee am 27. Januar jährte sich zum 80. Mal. Die Gedenkstätte des früheren Konzentrationslagers ist ein wichtiger Erinnerungsort, denn zukünftige Generationen werden bei der Aneignung der NS-Geschichte ohne Zeitzeugen auskommen müssen. Schon jetzt tun sich laut Studien und Umfragen Wissenslücken in Bezug auf die NS-Geschichte auf. Wie also steht es um das historische Verständnis jüngerer Generationen? Und wie kann eine zeitgemäße Erinnerungskultur aussehen?
Wenn die Zeitzeugen selbst nicht mehr da sind, lässt sich anhand von zurückgelassenen Habseligkeiten von den Verbrechen erzählen. Schülerinnen der Altkönigschule und aktive Mitglieder der Kreisau-AG schilderten im Rahmen der Gedenkveranstaltung in der Stadtbücherei ihre Eindrücke und Emotionen von einem Besuch im Arbeitslager „Groß-Rosen“ und sprachen für diejenigen, die es selbst nicht mehr können. „Wir haben die vielen Knöpfe gesehen, die nicht mitverbrannt sind.“ Der Steinbruch, in dem die Häftlinge Zwangsarbeit verrichten mussten, sei ein stummer Zeuge menschlicher Grausamkeit. Einige hätten sich in den Tod gestürzt, um den Qualen zu entkommen. „Wir hatten zwar über den Holocaust gelesen, aber es hat uns sehr bewegt, an dem Ort zu sein, an dem das alles geschah. Er brachte uns zum Nachdenken über die menschliche Fähigkeit zum Bösen, aber auch über den Mut derer, die Widerstand leisteten.“ Schülerinnen und Schüler der Kreisau-AG beteiligen sich seit 1994 an den Programmen der internationalen Jugendbegegnungsstätte im polnischen Kreisau, deren Ziele Völkerverständigung und die Erinnerung an Unrecht und Widerstand sind. Kreisau war ein Gut der Familie von Helmuth James Graf von Moltke, einem Widerstandskämpfer im sogenannten „Kreisauer Kreis“.Dabei werden sie von den beiden Lehrern Daniel Keiser und Martin Fichert unterstützt.
Parallelen zu heute
Stadtarchivarin Susanna Kauffels fragte: „80 Jahre. Eine lange Zeit. Was haben diese Ereignisse dann noch mit uns zu tun? Haben sie noch eine Bedeutung für uns?“ Das Bedeutsame und Wichtige an diesem Gedenktag sei nicht das Totengedenken, sondern das Erinnern an menschenverachtende Ideologien, Missachtung von Menschenwürde, Hetze mit Vorurteilen, Lügen, fehlende Zivilcourage und die Angst vor lebensbedrohender Willkür. „Die Ähnlichkeiten und Gefahren sind inzwischen offensichtlich und deutlich wahrnehmbar. Heute darf man Anschauungen, die angesichts von Auschwitz unsagbar waren, wieder äußern und erntet nicht Empörung, sondern Wahlerfolge“, so Susanna Kauffels weiter. Auschwitz sei vielleicht der furchtbarste unter den vielen fürchterlichen Orten, Konzentrationslagern und Gestapogefängnissen gewesen, in denen Menschen zu Tode gequält und ermordet wurden. „Wir gedenken in dieser alljährlichen Gedenkstunde am 27. Januar gemeinsam der Todesopfer der Verfolgungen des Nationalsozialismus aus Kronberg. Soweit wir es wissen, waren es 16 Menschen, fünf von ihnen wurden in Auschwitz ermordet. Maria Borsch, Anni Franck, Julius Grünebaum, Elise Roth, und Frieda Weil. Welches Leid wie viel mehr Menschen, die diese Zeit überlebt haben, erdulden mussten, können wir nicht erfassen.“
Gegen Hass und Hetze
Stadtverordnetenvorsteher Andreas Knoche, Geschäftsführer einer Einrichtung für behinderte Menschen, richtete seine Botschaft an den bevorstehenden Wahlkampf: „300.000 Menschen mit Behinderungen sind ermordet worden. Hass und Hetze grenzen uns aus. Es ist wichtig, die Gedenkkultur in Kronberg lebendig zu halten, damit es nie wieder passiert.“
Bürgermeister Christoph König mahnte: „Jeder von uns hat Verantwortung und wir kennen die Muster von Abwertung und Ausgrenzung. Wer Rassisten und Faschisten wählt, bekommt sie.“ Wer ganze Völker rechtlos stelle, „mache sich mitschuldig an dem, was kommt, wenn er sie wählt“. so König.
Stolpersteine
Zu den nachhaltigsten Gedenkorten im Alltag gehören die Stolpersteine, 16 davon gibt es im gesamten Stadtgebiet. Namentlich erinnern sie an die einstigen jüdischen Nachbarn, die Opfer der NS-Zeit wurden. Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs legten Blumengebinde auf die Stolpersteine, davon waren viele am Abend leider bereits wieder verschwunden.
Bürgermeister König und Stadtverordnetenvorsteher Andreas Knoche legten im Beisein von Gästen und Magistratsmitgliedern einen Kranz am Mahnmal im Rathausgarten nieder.
Der Verwaltungschef verlas zwei Kirchentexte zum Nachdenken – am 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz. „Wenn der Hetzer verstummt, weil er nachdenkt, und der Brandstifter seinen Plan aufgibt, ja, dann wird es sein, als träumten wir….“ (Pfarrer Otmar Schulz).
„Gib Mut zum Händereichen, zur Rede, die nicht lügt, und mach aus uns ein Zeichen dafür, dass Friede siegt…“ (Ernst-Moritz Arndt).