Raus aus dem Paradies – Rein in den James Bond-FilmBernd Giesekings Rückblick hatte es in sich

Bernd Gieseking zog alle Register.

Foto: Michael Glebocki

Kronberg (hmz) – Bernd Gieseking hat seinen Jahreschroniken ein weiteres, dicht beschriebenes Blatt hinzugefügt. Sein Rückblick auf das Jahr 2022 mit seinen Krisen und belastet durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine waren nur schwerlich satirisch zu verpacken. Die gewohnte Rasanz seiner genialen politischen Spiegeleien war zurückhaltender, deswegen aber nicht weniger deutlich auf die Spitze getrieben. Zurzeit gastiert er wieder mit seinem Kabarett-Programm „Ab dafür“ in vielen Städten, wo er von seinem Publikum nach der Corona-Pause, die natürlich auch sein Thema war, gerne zurückerwartet wurde. Der Bestsellerautor feiert Jubiläum: Seit 25 Jahren ist Bernd Gieseking mit „Ab dafür! – der satirische Jahresrückblick“ auf den Bühnen der Republik unterwegs. Und immer wieder stellt er fest: „Wir sind aus unserem Paradies vertrieben worden, spätestens mit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine. Der Sabotageakt an der Nord Stream-Pipeline (,wer war es?‘), die Klebe-Attacken der ,Letzten Generation‘, die Prepper- und Querdenkerszene, wir leben in einem James Bond-Film. Der einzige, der uns jetzt noch helfen könnte, ist James Bond. Aber Daniel Craig hat gekündigt.“ Sein Fazit über das Hier und Jetzt in der Zeitenwende, in der noch nicht einmal Bilder richtig aufgehängt werden könnten. Gieseking spielte damit auf die Ausstellung der Piet Mondrian Werke in Düsseldorf an. Die Kunsthistorikerin Susanne Meyer-Büser war während der Vorbereitungen auf eine wenige Tage nach Mondrians Tod aufgenommene Fotografie von 1944 aufmerksam geworden. Sie zeigt ein Bild in Mondrians Atelier auf einer Staffelei – allerdings auf dem Kopf stehend. Bestimmte Indizien, wie etwa die Art und Weise, wie die von Mondrian verwendeten Klebestreifen auf der Leinwand fixiert sind, legten die Vermutung nahe, dass das Gemälde seit seiner ersten Präsentation im Jahr 1945 im New Yorker Museum of Modern Art falsch herum gezeigt und reproduziert wird.

Diverse Aufreger

Dieser Aufreger, der Tod von Queen Elisabeth II., Boris Beckers „Knastaufenthalt“ und Alfons Schuhbecks Steuerhinterziehung – das seien die „wahren Probleme“ gewesen, die die Deutschen umgetrieben hätten. Vielleicht gebe es auch „überhaupt kein richtig oder falsch“, wer wüsste das schon? Seine dreiteilige Aufteilung der Bevölkerung in Pessimisten, Optimisten und Realisten – alle würden darauf eine unterschiedliche Antwort finden, genau wie auf die Fragen: „Was wollen wir und was haben wir vergessen? Etwa die Pläne der Reichsbürger, die bereit waren, Menschen zu töten und die den Umsturz gewaltsam herbeiführen wollten? Oder den Mainzer Hofsänger, der ebenfalls dazu gehört?“ Am Neujahrsmorgen habe er zu seinen Freunden ein „Blutdruckmessgerät“ mitgenommen. „Wie alt muss man sein, wenn man so etwas tut?“ Jedenfalls alt genug, um das Renten-Dilemma von allen Seiten zu betrachten. „Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann abgewählt, Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer nicht abgewählt und Berlin musste wiederwählen“ – Gieseking wusste Worte für die allgemeine Sprachlosigkeit zu finden. Er tat es mit Wortwitz und seiner sehr eigenen Schlagfertigkeit – jeder Schlag sitzt. Die Wiederwahl des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und die Frage, „warum nach 73 Jahren männlicher Präsenz immer noch keine Frau das Amt führt, zum Beispiel eine ganz normale Frau?“

Doppeldeutigkeiten

Bernd Gieseking ist ein Meister des Wortes, das er auch in seiner Doppeldeutigkeit einzusetzen vermag. Das von Gesundheitsminister Karl Lauterbach empfohlene Glas Rotwein ist am Ende seines Kabaretts die Empfehlung, jeder gönne sich am Abend einen „Roten“.

Er kam am „Riesenerfolg des Neun-Euro-Tickets“ mit dem „Störfaktor Fahrgast“, den „vollgestopften Zügen und Verspätungs-Rekorden“ genauso wenig vorbei wie an der Hochzeitsfeier von Finanzminister Christian Lindner auf Sylt oder der Außenministerin Annalena Baerbock, die aus Würdigung der indischen Frauen die roten Punkte nicht auf der Stirn, sondern auf ihrem Kleid gehabt hätte und natürlich auch Robert Habeck und seinen Kotau vor dem Emir in Katar. Fußballmacht geht anders. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar verpasste die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am 1. Dezember 2022 nach einem 4:2 Sieg gegen Costa Rica den Einzug ins Achtelfinale und schied damit zum zweiten Mal in Folge nach der Vorrunde aus. „Kann Deutschland Brückenbauer sein? Wohl kaum bei 400 maroden Brücken.“ Wirklich erfolgreich in Deutschland seien seit Jahrzehnten die „Rodler“. Giesekings logischer Schluss: „Den Bundesadler durch einen Schlitten ersetzen.“

Im Schnellgang führte der Künstler durch Corona, Inflation, Entlastungspakete, Energieknappheit oder die Winterolympiade in Peking – „alles ein Wirrwar – die Menschen glauben an Wunder, die Welt ist ein Tollhaus“.Zwischendurch versuche er sich als „Parlamentspoet“ nach amerikanischem Vorbild.

Aus seiner Sicht habe sich in Deutschland aufgrund der Corona-Pandemie ein Kulturwandel vollzogen: „Wir sind ein Volk der Abstandshalter und Maskenträger geworden.“ Ein Seitenhieb auf das konservative Lager in der Bundesregierung, „damit hätten Abgeordnete mit Maskenverkäufen zusätzlich Geld verdient“. Seine Bühnenabstinenz nutzte er als kreative Pause auf der Insel La Gomera, auf der es „fast nur deutsche Touristen gibt, die Alt-Linken, die dort überwintern und alleinerziehende Mütter“. Und natürliche bereiste er wieder Finnland, fast seine zweite Wahlheimat, die er im Uhrzeigersinn umrundet habe. In seinem Buch „Kurioses Finnland“ sucht und findet er Antworten auf die drängendsten Fragen: Warum frieren die Finnen Birkenzweige ein? Was ist das beste Rezept für giftige Pilze? Was macht der Elch mit Reisepass?

Nicht zu bremsen

In seinem Redefluss hätte er fast vergessen, den Schlusspunkt zu setzen. Das Publikum forderte eine Zugabe: seine „sprichwörtlichen“ Sprichwörter und die Erkenntnis des Jahres 2022: die Renaissance des Waschlappens. Bernd Gieseking wechselt in seinen Bühnenprogrammen zwischen politischer Satire, literarischem Kabarett und seinen aberwitzigen ostwestfälischen Familiengeschichten. Seiner treuen Leserschaft ist der Bestsellerautor wahlweise als taz-Kolumnist oder als Finnlandkenner oder beides bekannt. Als bekennender und zurückgekehrter Ostwestfale lebt er mittlerweile wieder in seiner Geburtsstadt Minden.



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