Starker Zusammenhalt zwischen Geschäftsbetreibern und Kunden spürbar – doch das Bangen um die Existenz bleibt

Blick am nasskalten Samstagmorgen auf die Friedrich-Ebert-Straße Fotos: Westenberger

Kronberg (mw) – Hatten die Gewerbetreibenden den ersten Lockdown im März und April 2020 noch ganz gut verkraftet, ist der zweite Lockdown für viele doch deutlich zermürbender, er geht nicht nur an die eigene Substanz, sondern er bedroht längst Existenzen. Seit dem 16. Dezember sind nach dem bundesweit ausgerufenen Corona-Lockdown viele Geschäfte zwangsgeschlossen, ausgenommen Supermärkte, Drogerien und weitere Geschäfte, die unter die Kategorie „Sicherung der Grundbedürfnisse“ fallen. In finanzielle Nöte kommen beispielsweise die 450-Euro-Jobber, deren Arbeit vielfach einfach weggebrochen ist. Auch Angestellte in weniger gut bezahlten Branchen in anhaltender Kurzarbeit haben Mühe, sich finanziell über Wasser zu halten und manchem Geschäftsinhaber schwindet die Zuversicht, einen so langen Atem zu haben, wie die Pandemie dauert. Gewiss ist in diesen Wochen, dass nichts gewiss ist, keiner vermag zu sagen, wann wieder Normalität in den Lebensalltag einkehrt.

Durchhalten lautet die Devise

Trotzdem sind die Kronberger Gewerbetreibenden auf Durchhaltemodus. Was ihnen dabei hilft, sind ihre treuen Kundinnen und Kunden. Tatsächlich ist das Feedback von vielen Einzelhändlern positiv: Sie fühlen sich trotz Lockdown von den Kronbergern unterstützt, die neue Wege, mit Tür-zu-TürVerkauf, Lieferservice, Abholstationen, bei unterschiedlichen Öffnungszeiten (siehe www.wirliebenkronberg.de) annehmen. „Wir posten jeden Tag auf Instagram, sind auf facebook und dekorieren unser Schaufenster regelmäßig neu“, verraten Kerstin Sur und Caroline Braun-Aguado, die ein Kindermodengeschäft in der Innenstadt betreiben. „Das läuft tatsächlich ganz gut“, so Sur. Mit den normalen Umsätzen könne man das trotzdem nicht vergleichen, und der Aufwand sei viel größer. Sie arbeiten mindestens so viel wie vor der Pandemie, nur verdienen sie dabei viel weniger. Die Ware muss ansprechend fotografiert und hochgeladen werden. Bis ein Kunde auf Wunsch Bilder von verschiedenen Pullovern begutachtet hat, vergeht schon eine Weile. „Wir können aber schneller liefern als Amazon Prime“, sagt sie lächelnd. Gerade erst hatte sie ein Kuscheltier mittels Online-Schau und Telefon verkauft – und innerhalb einer halben Stunde nach Kronberg ausgeliefert. Schwierig finden es die beiden Damen, dass es keine richtige Perspektive gibt, wann die Geschäfte wieder so gut wie vor der Pandemie laufen könnten. Ware auf Kommissionsbasis gibt es in der Modebranche schon lange nicht mehr. Was eingekauft wurde, muss vorfinanziert werden, was nicht verkauft wird, ist ein Minusgeschäft. Das Weihnachtsgeschäft ist größtenteils weggebrochen und die Frühjahrskollektion ist bereits im Anmarsch und muss bezahlt werden. Hier können zwei Wochen, die man das Geschäft früher oder später aufmachen darf, finanziell stark ins Gewicht fallen. Bleibt das Wetter winterlich, lassen sich auch Ende Februar noch gut ein paar Kleidungsstücke aus der Winterkollektion verkaufen, zwei Wochen später kann es, wenn die Sonne lacht, dafür schon zu spät sein. Ähnlich verfahren auch die anderen Geschäftsinhaber. Susanne Wrays hat vor ihrer Damen-Boutique sogar einen Heizpilz aufgestellt, damit das Warten auf eine von drinnen herausgereichte Bluse nicht allzu ungemütlich wird. Mit der Regelung, die vor dem Lockdown galt, als nur eine bestimmte Anzahl von Kunden den Laden mit Maske betreten durften, war die Unternehmerin allerdings deutlich zufriedener. Die Kundinnen verhielten sich ohnehin alle äußerst vorsichtig und diszipliniert, mit ein bis zwei Kunden gleichzeitig im Laden zähle man sicherlich nicht zu den Corona-Antreibern in der Pandemie. Wray wünscht sich eine schnelle Rückkehr zur Öffnung der Geschäfte unter den zuvor geltenden Regelungen und Hygieneauflagen. Denn die extremen Umsatzeinbußen verzeichne sie erst seit dem Total-Lockdown, und die sind mit 50 Prozent auf Dauer nur schwer zu verkraften.

Solidarität der Kronberger ist groß

Die Höhe der Überbrückungshilfen, die die Bundesregierung zahlt, hängt von dem Umsatzrückgang ab, den der Einzelhändler hat und sie sollen helfen, die Fixkosten zu decken. Sowohl die Inhaberin der Kronberger Ballettschule, Andrea Wappenschmidt als auch weitere Kronberger Geschäftstreibende bestätigen allerdings, dass die erste Tranche der staatlichen Novemberhilfe erst kurz vor dem Jahreswechsel, die zweite Ende Januar, eingetröpfelt ist. Wie viele weitere befragte Kronberger Geschäftsleute zeigt sich auch Wappenschmidt sichtlich gerührt von der Solidarität der Kronberger. „Die Unterstützung, die ich aus der Elternschaft erfahre, ist zutiefst ergreifend“, sagt sie. Wer hätte gedacht, dass alle, denen es möglich ist, sie einfach weiter unterstützen würden? Von allen Seiten sei man ihr entgegengekommen, auch der Vermieter, ja sogar die Hausbank haben nachgefragt, ob sie was für sie tun können. Alle hätten begonnen, Trainingsvideos für Zuhause zu drehen und ihre Buchhalterin sei ebenfalls rund um die Uhr für sie ansprechbar und im Einsatz gewesen. Das hat ihr nicht nur Mut gemacht, sondern sie ebenfalls angetrieben, im Lockdown nach neuen Lösungen zu suchen. Schließlich wollte sie ihren Schülern und Eltern etwas für deren Hilfe zurückgeben. Entstanden ist ihr aktuelles Konzept: Sie trainiert jeweils wechselnd mit einem Kind in der Ballettschule, während die anderen, von Zuhause aus zugeschaltet, ihr Training absolvieren.

Martina Purper, die seit nunmehr 20 Jahren ihre Kunden aus Kronberg und Umgebung mit schönen Wohnartikeln und Schmuckstücken ausstattet, will trotz der schwierigen Lage ebenfalls nicht klagen. „Die Kunden, die ich habe, sind einfach bezaubernd! Sie wollen nicht im Online-Großhandel bestellen, sondern vor Ort kaufen.“ Das spornt an, weiterzumachen und sich im Laden zu zeigen, auch wenn die Tür für die Kunden geschlossen bleiben muss. Die gemeinsame Devise lautet: „Wir machen weiter, sonst ist Kronberg tot!“ Purper hat sich Hilfe bei einer jungen Frau geholt, um ihren Online-Auftritt mit einem Videofilm aufzupeppen. Auch ihre Geschäfte laufen teilweise mit Hilfe der sozialen Netzwerke. Zu bestimmten Zeiten ist sie in ihrem Geschäft, um bestellte Ware – und das Cashgerät gleich dazu – vor die Tür zu reichen. Dabei hat sie in schwierigen Zeiten das Glück, dass ihre Ware zeitlos ist – trotzdem hat sie auch bei neuen Frühjahrsartikeln zugegriffen.

Gedankenlos sind die Kronberger jedenfalls nicht, egal wo man nachfragt, wird von Unterstützung erzählt, es gibt verschiedene Finanzspritzen und Angebote aus privater Hand, die wohl schon Überleben gesichert haben.

Pandemie-Frust

Kauflustig zeigen sich die Kunden derzeit nicht, stellt Katrin von Westphalen fest, die gemeinsam mit Ulrike Domnik hochwertige Spielwaren anbietet. Das könne am Pandemie-Frust liegen, mutmaßt sie. Aber auch das winterliche Schmuddelwetter dürfte seinen Teil dazu beitragen. Man habe sich der Situation, möglichst keinen mehr zu treffen, nirgendwo hinzudürfen, eben angepasst, sei bequem geworden und bleibe einfach auf dem Sofa sitzen. Und mag die lokale Bindung der Kaufkraft in Kronberg gewachsen sein, die Konkurrenz aus dem Netz sei nicht von der Hand zu weisen, meint von Westphalen. Kaufrausch vor Ort jedenfalls sehe anders aus.

Und wer denkt, alle, die aktuell geöffnet haben dürfen, sind sorgenfrei und freuen sich über womöglich sogar über bessere Geschäfte als vor dem Lockdown, liegt ebenfalls nicht ganz richtig. „Es gibt sie, die Geschäfte in Kronberg, die jetzt richtig Glück haben“, weiß BDS-Vorstandssprecher Christian Hellriegel. Die Chance bestehe nun darin, diese stärker gewordene Kundenbindung mittels weiterer Ideen und Konzepte in die Zeit nach dem Lockdown, wenn die großen Läden und Zentren wieder öffnen, hinüberzuretten.

Doch es gibt auch Läden, in die sich zurzeit kaum ein Kunde verirrt. Dazu zählt Martin Werners Reisebüro. „Es gibt relativ wenig Leute, die derzeit Urlaubspläne machen“, sagt er, „was kaum verwundert bei der fehlenden Perspektive.“ Seit Oktober 2020 seien eigentlich keine neuen Buchungen für Reisen eingetroffen. Nur Reisestornierungen würden noch ab und zu eintrudeln. Damit verbunden sind Rückzahlungen, die das Reisebüro zu leisten hat. Seinen Franchise-Vertrag beispielsweise müsse er weiter bedienen. Darin enthalten ist Reklame. „Nur für was soll ich werben?“, fragt er sich. Solange sich die Pandemie-Lage weltweit nicht entspannt, werden sich die um 85 bis 90 Prozent eingebrochenen Umsätze wohl kaum erholen. Fixkosten muss Thomas Werner trotzdem bezahlen, er hat sich einen Kleinkredit, den das Land Hessen angeboten hat, gesichert. „Ich kann noch ein paar Monate durchhalten“, meint er und klingt noch ganz zuversichtlich, dass er es packen wird. Schließlich wollen die Leute ja nach wie vor gerne reisen. Er hofft auf seine Kanada- und Finnlandreisen. Die Hauptreisezeit sei ohnehin der Sommer, sagt er. Also abwarten und hoffen. Aber auch Finnland im Winter wurde von seinen Kunden gerne gebucht. „Und die haben mir alle gesagt, dann reisen wir eben ein Jahr später.“ Hin und wieder verkauft er sogar jetzt noch einen Hotelurlaub, beispielsweise auf die Malediven oder nach Sri Lanka. Der „Quarantäne-Urlaub“ spielt sich dann im Hotel und am hoteleigenen Strand ab – der Programmpunkt Land und Leute kennenlernen allerdings wurde ersatzlos gestrichen.

Ähnlich desaströs sieht die Lage bei einigen der Änderungsschneidereien in Kronberg aus. Erdzhan Mert aus der Friedrich-Ebert-Straße jedenfalls bestätigt, viel zu wenig Aufträge verbuchen können. Das hängt mit dem stockenden Kleidungsverkauf zusammen. Er sei ein Glied in der Kette. Wird kaum was verkauft, gibt es auch keine Änderungen vorzunehmen. Die Zusammenarbeit mit den Boutiquen vor Ort liege quasi auf Eis. „Eigentlich sind wir zu dritt, aber es gibt gar nichts zu tun. Wir haben höchstens 30 Prozent der üblichen Arbeit im Januar.“ Letztes Frühjahr seien die Geschäfte noch deutlich besser gelaufen, jetzt sei die Lage schon sehr trostlos. Durchhalten wolle man natürlich trotzdem, irgendwie.

Es gibt noch einige mehr, die hier Erwähnung finden sollten. Anja Mangold, die auch im Lockdown in der Posthauspassage ihren Tee weiter verkaufen darf, erinnert an die Schuhmacher schräg bei ihr gegenüber, die hervorragende Arbeit machen würden. „Neue Schuhe sind ja zurzeit auch ein Problem, aber ich habe selbst gerade ein Paar Wanderschuhe komplett besohlen lassen und bin glücklich.“ Sie seien jetzt wie brandneu. Lob hat sie auch für den BDS übrig: „Dessen persönliche Unterstützung finde ich outstanding“, stellt sie fest. „Ich werde nicht müde, meinen Kunden mitzuteilen, wie toll ich mich betreut fühle. Die Seite „wirliebenkronberg.de“ sei eine super Idee und die Informationen per E-Mail „sensationell“.

Bei so viel Enthusiasmus geht den Einzelhändlern die Luft hoffentlich nicht aus, bis die Politik ihnen mit Lockerungen begegnet. Schon jetzt ist spürbar, dass es den Geschäftstreibenden genauso wie den Kunden am Herzen liegt, wenigstens ein klein wenig Kommunikation aufrechtzuerhalten, damit die Frustration ob der anhaltend schwierigen Lage nicht die Oberhand gewinnt. „Ein Quäntchen sozialer Zusammenhalt wird so gelebt und ist für uns genauso wichtig wie für unsere Kunden“, sagt der stellvertretende BDS-Einzelhandelssprecher Dirk Sackis. Und Christian Hellriegel dankten den Vermietern: „Es ist eine tolle Sache, dass es Vermieter gibt, aktuell auf einen Teil ihrer Miete verzichten.“ Das sei eine „super Unterstützung“. Der Umkehrschluss sei allerdings eine Katastrophe.

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